Es gibt ein Buch aus dem Jahr 1972 mit dem Titel „Große Niederbayern“. Es handelt von niederbayerischen Säulenheiligen: Ludwig der Kelheimer, Hans Leinberger, Joseph von Frauenhofer, Hans Carossa, und, und, und. Aber Stopp! Fällt Ihnen etwas auf? Nicht? Doch! Lauter Männer, nicht wahr? Und die Frauen? Gibt es keine bekannten Niederbayerinnen?
Und ob! Herzogin Ludmilla, die das Kloster Seligenthal in Landshut gründete, Elisabeth von Bayern (1227-1273), Königin des Heiligen Römischen Reiches, Agnes Bernauer, Berta Hummel, Marlene Reidel, Anna Wimschneider, Uschi Glas, Luise Kinseher, die Olympiasiegerin Barbara Engleder, und, und, und.
Ist doch gar nicht so schwer, oder? Und da sind einige dramatische Lebensgeschichten dabei, die sich spannend erzählen lassen. Aber früher wollte man das nicht. Geschichte war etwas für Männer. Da hatten Frauen nichts zu suchen. Allmählich aber sind die Historiker/innen draufgekommen, dass Geschichte nicht nur aus Napoleons und Caesars besteht. Die Alltagsgeschichte, das Leben der normalen Menschen, wie es Anna Wimschneider beschreibt, ist mindestens genauso spannend. Mit der Zeit haben die Historiker/innen immer weitere dieser vielen Geschichten entdeckt, die unter der politischen Geschichte liegen.
Ist Ihnen vorher bei der Liste etwas aufgefallen? Richtig! Da fehlt doch eine große Niederbayerin, die wir auf gar keinen Fall übergehen dürfen. Und das ist Emerenz Meier! 1874 ist sie in Schiefweg geboren. Schiefweg liegt ungefähr bei Waldkirchen. Schief ist auch ihr Leben verlaufen, immer schiefer mit der Zeit. In ihrer ersten Erzählung, „Juhschroa“ heißt sie, hat sie mit 19 Jahren eigentlich ihre eigene Zukunft erzählt: da geht es um eine Bauerstochter, die alles verliert, bloß ihr gute Laune nicht. Am Ende ihrer Tage, muss sie von Haus zu Haus ziehen, bettelarm, ihre einzige Hoffnung, die Gnade der Menschen. Und trotzdem: Selbst als ihr letztes Stündlein geschlagen hat, geht sie mit einem „Juhuhu!“ in die Ewigkeit:
Es ist nun schon an die zehn Jahre her, dass das lustigste Weib, das je auf dieser traurig-lustigen Welt gelebt, seinen letzten Jauchzer ausgestoßen hat. Ich war damals elf Jahre alt und hatte meine Freude an jenem schrillen, markerschütternden Schrei, dessen Ausklang die Knochenfaust des Todes in der röchelnden Kehle erstickte.
„Juhuhu!“ tönte es von dem elenden Lager, auf das die noch elendere Gestalt der achtzigjährigen Frau gebettet war, und wir Kinder, die wir ahnungslos fröhlich wie an sonstigen Tagen im Kreis herum standen, stimmten laut lachend mit ein.
„Juhuhu“ – das war der letzte Seufzer des Hanserl Enzls.
Emerenz Meier ist auf einem Bauernhof groß geworden. Schon ganz früh hat sie angefangen begeistert zu lesen und zu schreiben. Der Bayerische Wald, die Armut, und die Not der Menschen, die dort leben, das war ihr Thema. Ihre erste Erzählung, „Juhschroa“ hat sie noch heimlich, anonym, ohne Namen, bei einer Passauer Zeitung eingesendet. Aber lange hat es nicht gedauert, bis sie sich einen Namen erschrieben hat. Bloß mit dem Geld hat es nie so wirklich geklappt. Nicht nur Emerenz, auch ihre Eltern waren pleite. Als einzige Möglichkeit blieb die Neue Welt. Mit 32 Jahren ist sie schließlich mit ihren Eltern nach Amerika ausgewandert. Zurückgekommen ist sie nie.
Dort wurden sie nicht besonders freundlich empfangen. Ans Schreiben war nicht zu denken. Als Putzfrau und Fabrikarbeiterin musste sie sich durchschlagen. Das einzige was da noch blieb, war der Alkohol, einige von Niedergeschlagenheit gebeugte Gedichte und spärliche, sarkastische Briefe in die Heimat. Vor 93 Jahren, am 28. Februar 1928 ist sie mit nur 53 Jahren in Chicago gestorben.
Was bleibt, das sind ihre Gedichte und Erzählungen. Sie handeln von einer längst vergangenen Zeit, als noch keine Bundesstraßen den Wald durchzogen, es noch keinen Strom gab und noch kein fließendes Wasser und von ganz normalen Menschen, die versuchen, sich irgendwie in dieser tragikomischen Welt durchzuwurschteln.
Christoph Goldstein