Einer der Schätze, die das Niederbayerische Hügelland birgt, ist der Ton. Wenn mit der Zeit, über viele Millionen Jahre, alte Gesteinsschichten verwittern, wird aus ihnen Kies, Sand oder eben Ton.
Im Mittelalter haben die Menschen ihre Häuser aus Holz gebaut und die Dächer mit Stroh gedeckt. Backsteine und Ziegel hingegen waren ein Luxus. Wenn überhaupt hat man sie beim Bau von Kirchen, Klöstern und Burgen verwendet. Mit der Zeit stieg die Nachfrage an Backsteinen und Ziegel, denn immer mehr Menschen zogen in die Städte. Stadthäuser wurden seit dem ausgehenden Mittelalter nicht mehr aus Holz gebaut und mit Stroh gedeckt. Die Feuergefahr war einfach zu hoch. Backsteine und Ziegel waren so gefragt, dass Bauern den Zehent, den zehnten Teil ihrer Ernte in Ziegeln entrichten mussten, die sie neben der Feldarbeit herstellten. Schon bald orientierten sich die Bauern an den Stadthäusern und fingen an ihre Höfe mit Backstein und Ziegel zu errichten. Immer mehr Ziegeleien entstanden. Auch der Staat kurbelte die Ziegelproduktion an: Weil das Holz knapp wurde und andauernd Brände wüteten, war es in Bayern ab 1791 verboten reine Holzhäuser zu bauen: Zumindest teilweise musste ein Haus aus Backsteinen bestehen und mit Dachziegeln gedeckt werden.
Die Nachfrage wurde im 19. Jahrhundert so groß, dass man händeringend nach Arbeitern suchte. Und schon bald kamen die ersten Gastarbeiterfamilien aus den armen Regionen Norditaliens nach Niederbayern; zuerst zu Fuß, später mit der Bahn. Die Saison begann an Josefi, am 19. März und endete am Gallus-Tag, am 16. Oktober. Die Verpflegung, zweimal am Tag Polenta, war kümmerlich und das bei unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Es gab fast keine Ruhetage und die Menschen arbeiteten von 4 Uhr früh bis 9 Uhr abends, oft bis zu 15 Stunden am Tag, Kinder und Frauen 10 Stunden, – und das mit den primitivsten Werkzeugen. Mit Spitzhacken und Schaufeln bauten die Arbeiter den Ton ab, dann musste er mit den Füßen getreten, mit den Händen geschlagen, in die Form „gepatscht“, zum Trocknen getragen, meist die Aufgabe der Kinder und Frauen, und dann später zum Brennen gebracht werden. Und so stellt „ein jeder Gesell bis tausend Ziegel auf eine Tag-Arbeit“ her, schrieb Christoph Weigel 1698 in seinem Buch „Abbildung der gemein-nützlichen Haupt-Stände […]“.
Niederbayern blieb lange von der Industrialisierung verschont. Aber am Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit des handgeschlagenen Ziegels allmählich vorbei. In den Ziegeleien ersetzten nach und nach Maschinen menschliche Hände. Die alten Ziegeleien, in denen man alles von Hand machte, verschwanden. Sie waren einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Ein fleißiger Arbeiter mochte pro Tag über 1000 Ziegel herstellen, aber eine Maschine das zehnfache. Und es dauerte nicht lange, da waren die Kassen immer öfter leer und folgendes Sprücherl machte in den Ziegeleien die Runde.
„Die Rose blüth
der Dorn der sticht,
wer gleich bezahlt,
vergisst es nicht.“
Heute gibt es nur noch wenige große und hochspezialisierte Ziegelfabriken wie zum Beispiel in Vatersdorf oder in Neufahrn.
Christoph Goldstein
Foto: FLM