Am 11. April 1692 berichtete der kurfürstliche Rat und Oberrichter zu Straubing, Hans Friedrich von Preysing zu Hubenstein, über die Festnahme eines kleinen Mädchens in der Gäubodenstadt. Es hieß Maria und war acht oder neun Jahre alt. Die Straubinger Amtsknechte verhafteten es, weil es in der Stadt „mit seltsamen Reden des Hexenwerks belanget“ umherstreunte. Das Verhör des Mädchens durch den Oberrichter ergab: „das sein des Maidls Vater und Mutter zu Abendsperg gewohnt, welche alda vergangenen Jars der Vater mit dem Strang, und die Mutter als ein Unhold zu Aschen verprannt worden.“
Das Waisenmädchen hatte also seinen Vater verloren. Er wurde durch den Strang hingerichtet, eine damals typische Strafe für einen Straßenräuber oder Pferdedieb. Die Mutter wurde Opfer des damaligen Hexenwahns. Marie stand nun ebenfalls in Verdacht, eine „Hexe“ zu sein. Laut eigener Aussage hätte sie bereits über 15 Wochen hinweg wegen Hexerei in der Stadt Landshut im dortigen Verlies gesessen. Ein unvorstellbar harter Umgang mit dem kleinen Mädchen. In den Kerkern der frühneuzeitlichen Gefängnisse mit ihren primitiven Strohlagern war es nicht nur gewöhnlich dumpf, kalt und voll von Modergeruch, sondern auch bevölkert mit Ratten, Mäusen und Ungeziefer aller Art.
Letztlich hatte die Stadt Landshut Maria wieder aus dem Kerker entlassen. Ein Auskunftsersuchen an das Oberrichteramt der Stadt Landshut vom 13. April ergab, dass Mädchen „khönne viel Hexenwerk und Abscheisliches Gott und der Welt verschaffen lassen, der Zauberei umgehen hab von seines Eltern gelernt.“ Laut Auskunft des Landshuter Oberrichters hätte sich Maria in Hagelstadt, Rottenburg und in Braunau aufgehalten. Dort hätte sie ein Pfarrer noch einmal getauft, woraufhin sie sofort „alle Crafft verlohren und daher auch nichts mehr verrichten möge“. Ihre Zauberkraft wäre also durch die erneute Taufe verloren gegangen. Der Oberrichter bestätigte die 15-wöchige Haft in Landshut. Letztendlich habe man sie aber wieder freigelassen und ihr einen ewigen Stadtverweis erteilt. Zuvor wurde sie jedoch mit geweihten Ruten ausgepeitscht. Wie die Stadt Straubing nach Einholung der Auskünfte mit der armen kleinen Marie verfuhr und welches Schicksal sie hatte, ist unbekannt. Quellen und Akten zur weiteren Klärung fehlen.
Die Hexenverfolgungen waren vor allem eine Erscheinung der Frühen Neuzeit, denn im Mittelalter fanden nur selten Hexenprozesse statt. Für die Stadt Landshut existiert bis heute keine zusammenfassende Geschichte der lokalen Hexenverfolgungen. Laut dem verstorbenen Landshuter Historiker Heinrich Egner (1940–2017) gab es zumindest 41 Hexenprozesse mit mindestens elf Hinrichtungen in der Stadt. Diese fanden zwischen den Jahren 1601 und 1756 statt. Im Jahr 1756, als der berühmte Philosoph und Aufklärer Immanuel Kant (1724–1804) bereits als Privatdozent an der Universität Königsberg lehrte, wurde am 2. April noch Veronika Zerritsch das letzte Opfer des Hexenwahns in der Stadt. Weil Veronika erst 14 Jahre alt war, hatte man ihr noch eine letzte besondere Gnade gewährt: Das Köpfen mit dem Schwert durch den Scharfrichter. Erst ihr Leichnam wurde anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Veronika Zerritsch war vermutlich auch das letzte Hinrichtungsopfer dieser frühneuzeitlichen Geistesverwirrung auf deutschem Boden, denn Anna-Maria Schwegelin wurde zwar 1775 in Kempten noch zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch nicht vollstreckt. Anna-Maria Schwegelin starb 1781 in Kempten in der Haft.
Mario Tamme