Wie bei allen Einzelarten in der Tier- und Pflanzenwelt geht es in der modernen Kultur- und Agrarlandschaft um den immer noch ungebremsten Verlust von Lebensräumen. Wenn die Lieferkette von nährstoffarmen, blütenreichen Wiesen oder Wegesrändern, Insekten- und Strukturreichtum mit hohen Stauden, Pfählen, Einzelbüschen abreißt, dann verschwinden auch die Nutznießer und Kulturfolger wie das Braunkehlchen.
Während deutschlandweit noch geschätzte rund 20.000 bis 35.000 Brutpaare v.a. in Mecklenburg-Vorpommern leben, brüteten 2021 im Freistaat Bayern nur noch kümmerliche 420 Braunkehlchenpaare – Tendenz weiter fallend. Zum Beispiel rund um Landshut finden sich aktuell höchstens Nachweise von ein bis zwei Exemplaren als Durchzügler im Isarmoos – ohne Brutnachweise. Es muss schon sehr frustrierend sein, wenn der kleine Langstreckenzieher südlich der Sahara rund 5.000 (!) Kilometer fliegt, um im April z. B. in Niederbayern feststellen zu müssen: „Mist, schon wieder ein neues Gewerbe-, Industrie- oder Baugebiet oder schon wieder eine weitere EU-Einheitswiese mit 2-5 Gräserarten in meinem letztjährigen Wohnzimmer!“ Ohne Räumungsklage oder Whats-App-Nachricht nach Afrika sitzt so das Braunkehlchen am kürzeren Hebel. Was geht wohl in so einem Vogel vor, dessen schwarze Augenbinde, der sogenannte Überaugenstreif, ihm den Namen „Wiesenclown“ eingebracht hat?
Gibt es Zeichen der Hoffnung? Können die kleinen Anteile von neuen Blühstreifen oder immer noch nicht relevanten Anteile ökologische bewirtschafteter Flächen den radikalen Schwund aufhalten? Oder Bambusstäbe als Sitzwarten, die anscheinend gerne angenommen werden, wenn die einst natürlich vorkommenden Elemente fehlen? Die Verbände NABU, LBV oder Bund Naturschutz fordern v.a. Feuchtwiesen-Schutzprogramme mit großen zusammenhängenden Wiesenflächen, den Erhalt von Altgras- und Brachestreifen mit Mahdrythmen nur alle drei bis vier Jahre, Wiedervernässungen, extensivere Grünlandnutzungen ohne Einsatz von Spritzmitteln und möglichst späte Mahdtermine erst ab Mitte Juli. Doch dafür fordern Landwirte und ihre Verbände wie der Bayerische Bauernverband (BBV) kostendeckende Ausgleichszahlungen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat im Herbst letzten Jahres einen neuen Strategieplan vorgestellt, der ab heuer die in der EU gemeinsam verabschiedete Agrarpolitik (GAP) umsetzen soll. Um künftig die volle Zuschusshöhe zu erhalten, müssen Landwirte einen Mindestanteil an Flächen nachweisen, „die der Natur zur Verfügung“ stehen. Dagegen laufen die Agrar-Verbände derzeit Sturm. Warten wir es also ab, ob das Braunkehlchen schon bald aus Niederbayern verschwunden sein wird, oder ob die Agrarwende – auch dank eines anderen Verbraucher- und Einkaufverhaltens – gelingt.
Helmut Wartner
Foto: https://pixabay.com/de/photos/braunkehlchen-vogel-singvogel-natur-2405176/