Heuer sind es 30 Jahre, dass die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den „Tag des offenen Denkmals“ ausruft. Der sogenannte „Denkmaltag“, der seit 1993 an jedem zweiten September-Sonntag begangen wird, ist das größte Kulturevent Deutschlands. Er ist Teil einer gemeinsamen europäischen Idee, des „European Heritage Day“, an dem jedes Jahr 50 europäische Länder teilnehmen. Allein in Deutschland fanden am „Tag des offenen Denkmals“ 2022 rund 8.000 Veranstaltungen statt; mehr als 5.000 Denkmale, viele davon in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich, waren für die interessierte Bevölkerung geöffnet.
Ziel der großangelegten Aktion ist es, auf die Bedeutung des kulturellen Erbes in Gestalt von Denkmalen aufmerksam zu machen und Interesse für die „gebaute Kultur“ vergangener Epochen zu wecken. Schließlich sind diese historischen Bauwerke Teil der Geschichte, der Kultur und Identität nicht nur unseres Landes.
Dabei geht es übrigens nicht allein um sogenannte Sehenswürdigkeiten, wie wir sie in Tourismusprospekten so häufig abgedruckt finden, also um beeindruckende Kathedralen und kunstvoll ausgestattete Kirchen, mächtige Burgen und prunkvolle Schlösser. Zum Denkmalbestand zählen neben diesen Sakral- und Herrschaftsbauten auch einfache Bürger- und Bauernhäuser, ausrangierte Industriebauten, historische Gartenanlagen und vieles mehr. Die „Denkmallandschaft Deutschlands“, von der die Deutsche Stiftung Denkmalschutz spricht, ist umfassend und vielfältig.
Vor allem liegt diese „Landschaft“ nicht irgendwo in der Ferne, sondern sie beginnt bereits in nächster Nähe – in der Nachbarschaft, im eigenen Wohnviertel oder Ort. Denn wer kennt kein Baudenkmal in seinem unmittelbaren Umfeld? Das kann ein verlassenes Gebäude sein, das so lange dem Verfall preisgegeben ist, bis sich ein Interessent, Liebhaber oder Investor zur Instandsetzung findet.
Das kann aber ebenso ein bereits vorbildlich saniertes Haus sein, vor dem Vorübergehende ob seiner historischen Qualität und Besonderheit bewundernd stehen bleiben, um es näher zu betrachten. In welchem möglicherweise erbärmlichen Zustand es sich wahrscheinlich zuvor zeigte, wie vielleicht darum gestritten und um seinen Erhalt gerungen werden musste, ist zu diesem Zeitpunkt vergessen.
Auch der Bezirk Niederbayern engagiert sich seit 1956 in der Denkmalpflege durch die finanzielle Förderung von Denkmalinstandsetzungen. Zusätzlich lobt er seit 2002 jedes Jahr am „Tag des offenen Denkmals“ einen eigenen Denkmalpreis aus. Damit werden Personen bedacht, die (ihre) Denkmale fachgerecht und vorbildlich hergerichtet haben. Der Denkmalpreis des Bezirks Niederbayern geht heuer ins Rottal, und zwar nach Arnstorf. In der dortigen Scheibengasse befinden sich zwei nebeneinanderstehende historische Blockbauten, die nach jahrzehntelanger baulicher Vernachlässigung in ihrem Bestand höchst gefährdet waren.
Warum sie als Denkmale eingestuft und für erhaltenswert befunden wurden, liegt nicht einfach nur kategorisch an ihrem Alter: Hausnummer 2 stammt aus dem Jahr 1550, Hausnummer 4 aus 1638. Zweifellos sieht man Blockbauten aus dieser Zeit nicht mehr alle Tage. In der Gesamtschau der denkmalpflegerischen Bewertung kommt aber hinzu, dass sie ebenso von ortsgeschichtlicher und volkskundlicher Bedeutung sind: Es handelt sich nämlich um sogenannte Handwerker-Häuser. Sie wurden von den ortsansässigen Grundherren für die Weinzierle, also für die Winzer, gebaut. Diese waren im 15. und 16. Jahrhundert als Arbeitskräfte der Hofmarksherren in den umliegenden Weinbergen tätig. Noch für das frühe 17. Jahrhundert sind in den Handwerkslisten des Arnstorfer Marktarchivs sieben solcher Weinzierle nachweisbar. Die Weinzierl-Häuser in der Scheibengasse sind also materielle Zeugnisse der einstigen Arnstorfer Weinbaukultur. Ihre architektonische Gestalt, die Holzbauweise, der Standort, der ortsgeschichtliche Bezug sowie der volkskundlich handwerkliche und landwirtschaftliche Hintergrund machen diese unscheinbaren und – wie könnte es anders sein – bescheidenen Häuser zu einmaligen Denkmalen. Wer bereit ist, solche Aspekte nachzuvollziehen, wird auch verstehen, worum es bei der Denkmalpflege geht: nicht nur um das Kunstvolle, sondern ebenso um das Einfache. Schließlich lebt/e der Großteil der Bevölkerung in eher einfacheren, in bescheidenen Verhältnissen. „Volkskultur“ ist und bleibt ein wesentlicher Teil unserer Kulturgeschichte, zur der selbstverständlich auch die in Schul- und Lehrbüchern vermittelte Herrschaftsgeschichte und Hochkultur zählen – aber eben nicht nur. Insofern ist es Eigentümern wie denen der Arnstorfer Weinzierl-Häuser hoch anzurechnen, dass sie sich um deren Instandsetzung und damit um deren Fortbestand kümmerten. Ohne diese Häuser wäre der Markt um zwei wichtige Zeugnisse seiner Kulturgeschichte ärmer. Auch deshalb geht der Kulturpreis 2023 des Bezirks Niederbayern nach Arnstorf.
Maximilian Seefelder
Fotos: Sabine Bäter, S. Zuber und Maximilian Seefelder