Der Friedhof St. Peter in Straubing ist ein eindrucksvoller und eindringlicher Ort, an dem Kultur und Natur miteinander verwoben sind. Kaum mehr bewusst ist, dass die Entwicklung des naturhaften Friedhofes eine Folge der konsequenten Schließung des Bürgerfriedhofes für eine Neubelegung im Jahr 1879 war. Der ebenfalls aus dem Mittelalter stammende Armenfriedhof St. Michael wurde damals zum neuen Zentralfriedhof der Stadt ernannt.
Den bisher fast baumlosen Friedhof St. Peter konnte bzw. durfte „die Natur“ erobern. Samen von Eschen und Ahornen gingen auf, symbolträchtige und typische Grabbepflanzungen wie Thujen, Buchsbäume oder Holunder strebten ungehindert hoch. Die Grabstellen wurden zur Wiese, Efeu und Moose umwuchsen die über 1350 Grabdenkmäler vom frühen 14. bis zum späten 19. Jahrhundert. So gingen auf dem Friedhof Natur und Denkmal eine enge Verbindung ein. Es entwickelte sich durch Baum-, Sträucher- und Efeubewuchs der stimmungsvolle Charakter der Anlage, zu der auch die romanische Basilika St. Peter und drei spätgotische Kapellen gehören, als „romantisches Gesamtkunstwerk“. Besucher von nah und fern zog und zieht es in seinen Bann. Auch namhafte Schriftstellerinnen und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wie Günter Eich, Gertrud Fussenegger oder Richard Billinger ließen sich von ihm inspirieren und hinterließen kleine literarische Denkmäler.
Im Mai 1926 schrieb die bekannte Schriftstellerin, Lyrikerin, Historikerin Ricarda Huch an ihre Freundin Marie Baum: „Ich möchte ein Buch schreiben, das ein Bild von Deutschland gäbe, die Schönheit seiner Städte, seiner Dörfer, seiner Landschaft, daran anknüpfend geschichtliche Erinnerungen, sagenhafte Anklänge. … Wie wäre es, wenn wir zusammen auf diese Wanderung durch Deutschland gingen?“ In den Jahren 1926 bis 1928 verwirklichte Ricarda Huch diese Reise. 69 „Lebensbilder deutscher Städte“ entstanden. In Bayern hielt sie nur einige wenige Orte besuchens- und beschreibenswert: Würzburg, Ochsenfurt, Nördlingen, Amberg, Regensburg. Als einzige Stadt Niederbayerns wählte sie Straubing aus.
Ricarda Huch, geboren 1864 in Braunschweig, studierte in Zürich – in Deutschland war Frauen der Zugang zu den Universitäten noch verwehrt – Geschichte, Philologie und Philosophie, promovierte 1891 und veröffentlichte im gleichen Jahr ihren ersten Gedichtband. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt zunächst als Bibliothekarin und Lehrerin und lebte nach ihrer Heirat mit einem italienischen Zahnarzt erst in Triest, dann ab 1900 in München. Hier entwickelte sie sich zur anerkannten, selbstbewussten und selbständigen Autorin von „geschichtsdichterischen“ Werken, der die Stadt München bereits 1924 eine Straße widmete und die der Schriftstellerkollege Thomas Mann als „erste Frau Europas“ pries. Ricarda Huch starb 1947 in Schönberg/Taunus.
Huch beschrieb ihre schriftstellerische und historische Tätigkeit folgendermaßen: „Mein Bestreben war nicht das des eigentlichen Historikers, schlechtweg festzustellen, wie es gewesen ist; ich suchte das Poetische in den geschichtlichen Vorgängen, also das Ewige.“ So war es vielleicht das Schicksal des Liebespaares Albrecht und Agnes, des bayerischen Herzogssohnes und der unstandesgemäßen Agnes Bernauer, die ihr Schwiegervater Herzog Ernst am 12. Oktober 1435 in der Donau ertränken ließ, das Huch ausgerechnet nach Straubing gelockt hatte; denn es ist der rote Faden, anhand dessen sie die Sehenswürdigkeiten Straubings erkundet und vorstellt, eben auch den Friedhof St. Peter:
„Als Sühne für seine Untat und zum Gedächtnis der unglücklichen Agnes erbaute Herzog Ernst auf dem Friedhof der Pfarrkirche von Straubing eine Kapelle und stiftete eine ewige Messe. Die Pfarrkirche lag in der Altstadt, die niemals ummauert war und wohl immer den dörflichen Charakter hatte, der die Gegend heute noch kennzeichnet. … Jetzt scheiden die Mauern die Burg des Todes von dem Getümmel der Lebendigen draußen. Eine grüne Wildnis schlägt über dem Eintretenden zusammen, schmiedeeiserne Kreuze und halbversunkene Grabgestalten tauchen daraus hervor. … Die Bernauerkapelle mit spitzem gotischen Giebel enthält nicht die Gebeine der Agnes, nur den Grabstein mit ihrem Bilde, so daß man annimmt, daß sie einem gelegentlich ausgesprochenen Wunsche gemäß in der Karmeliterkirche beigesetzt ist. Auf dem Gesicht, das sehr verwittert ist, erscheint ein klägliches Lächeln wie bei Kindern, die weinen wollen, die schlaff herabhängenden Hände sind besonders schön. Die Verstorbene trägt die Kleidung einer vornehmen Frau der damaligen Zeit. … Die Totenkapelle am Südrand des Friedhofs bewahrt ein Kleinod in dem Grabstein der Anna Ulein. Die mädchenhafte Frau, die wie ein hingewehtes Blatt auf ihrem Monument liegt, war die Frau des Jordan Utz oder Ulein, der bei dem hohen Turm auf dem Marktplatz ein Haus hatte. … Die Totenkapelle, die ihren Namen davon hat, daß sie mit einem Totentanz aus dem 18.Jahrhundert ausgemalt ist, hat eine unterirdische Gruft, aus der es schaurig kühl aufhaucht, als käme es aus dem Bodenlosen. Der, den die Bilder an den Wänden langbeinig und schadenfroh darstellen, ist hier gegenwärtig. Draußen brennt das lautlose Feuer des Mittags. Die weißen Urnen, die Marmorfiguren, die spitzen Zypressen sind unter der Lava des Efeus, die darüber hinströmt, gluterstarrt; aber der unsichtbare Schatten, den der Geheimnisvolle wirft, macht frösteln. Dies ist sein Garten, hier mischt er einen Rausch aus Vergangenheit und ewigem Gedenken.“
Der Friedhof St. Peter, Petersgasse 50, ist bei Tageslicht geöffnet. Die Kapellen sind nur mit Führungen betretbar, aber durch Gittertüren einsehbar.
Literaturhinweis:
Ricarda Huch, Im alten Reich. Lebensbilder deutscher Städte, Bremen 1960; Cordula Koepcke, Ricarda Huch. Ihr Leben und ihr Werk, Frankfurt a.M.1996.
Dorit-Maria Krenn
Fotos: Wikimedia Commons, Bruno Mooser, Stadtarchiv Straubing.