Was ist ein Erdstall? Fakten – Vermutungen – Spekulationen

Erdställe sind künstlich angelegte Höhlen und sie bestehen aus niedrigen Gängen und Kammern, die scheinbar in sinnloser Reihenfolge im Untergrund angelegt worden sind. Im Volksmund werden sie auch als „Schrazlgänge“ bezeichnet, benannt nach den „Schrazln“, zwergenartigen Schutzgeistern, die angeblich in den Erdlöchern wohnen. Mit Erdställen begeben wir uns, so viel ist jetzt schon klar, auf schwankenden Boden und müssen aufpassen, dass wir Sein und Schein nicht miteinander verwechseln.

Erdställe bestehen aus schmalen, niedrigen Gängen mit Spitz- oder Rundbögen, sind in standfestem Gestein (Fels oder Löss) ohne Mauern oder Stützen angelegt. Zudem verbinden enge Schlupflöcher die verschiedenen Teile oder Ebenen miteinander. Kleinere und größere Verbreiterungen, so genannte Kammern, sind durch Gänge miteinander verbunden. Immer wieder gibt es kleinere Ausbuchtungen (Nischen) in den Seitenwänden, größere Nischen haben das Aussehen von Sitzbänken. Bei vielen Erdställen gibt es Hilfsschächte, durch welche beim Bau der herausgehauene Fels abtransportiert wurde, nach Fertigstellung wurden sie oft mit einer Trockenmauer wieder geschlossen. Der Einstieg erfolgt in der Regel senkrecht.

 

Die Interessengemeinschaft Erdstallforschung (IGEF), die am 27. Juli 2022 mit 20 Mitgliedern in Aldersbach tagte, kennt die unterschiedlichen Hypothesen, die immer wieder bemüht werden: Am einfachsten wäre eine Deutung als Versteck. Dagegen spricht ihre Architektur. Sind es dann unterirdische Kultstätten? Vieles deutet darauf hin, dass Erdställe nie betreten wurden. Kann also eine derart mühsame Arbeit unter Tage (die Anlage in felsigem Untergrund) lediglich einem symbolischen Zweck gedient haben? Eine andere (Hypo-) These deutet die Erdställe als nicht weiter definierte Seelenkammern. Als Vorrats- oder Fluchtraum können sie jedenfalls wegen der Enge und der niedrigen Höhe nicht gelten. Ernsthafte Höhlenforscher bleiben da bei den Fakten. Sie nehmen die unterirdischen Höhlen in Augenschein, vermessen und dokumentieren die Erdställe, vergleichen Maße und Formen mit anderen Vorkommen und sind nicht enttäuscht, wenn ein vermeintlicher „Schrazlgang“ sich plötzlich, wie 2022 bei Klafferstraß, Gemeinde Neureichenau geschehen, als ehemaliger Bergbaustollen entpuppt.

Karl Schwarzfischer aus Roding hat im November 1973 den Arbeitskreis Erdstallforschung gegründet. Eine Vielzahl von Heimatforschern insbesondere aus Bayern, Österreich, Frankreich, Tschechien und Irland befassen sich seither gemeinsam mit diesem Thema. Erdställe sind künstlich geschaffene unterirdische Gangsysteme. Sie sind im Hochmittelalter unter bäuerlichen Anwesen, aber auch neben und unter Kirchen und kleinen Burganlagen zu finden. Sie sind „fundleer“. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen aus der Entstehungszeit. Weil man meist nur Fragmente vorfindet ist es nicht einfach ein vorgefundenes Gangstück eindeutig zu bestimmen.

Erdställe in Niederbayern

Auf der Grundlage des Erdstallregisters für Bayern, aufgestellt in langjährigen Recherchen durch den Arbeitskreis Erdstallforschung und ergänzt durch die Interessengemeinschaft Erdstallforschung wurden für Niederbayern 403 registrierte unterirdische Gänge untersucht.

 

Nikolaus Arndt und Alfred Baierl haben in jahrelanger Arbeit die 403 registrierten unterirdischen Gänge besichtigt, Daten gesammelt und daraus 151 Objekte als „Erdställe“ klassifiziert. Bemerkenswert ist die Häufung von Erdställen im donaunahen Bayerischen Wald. Aber auch südlich der Donau finden wir in sämtlichen Landkreisen Erdställe. Das Ergebnis der Untersuchungen, auch für die Oberpfalz, ist detailliert einsehbar: www.erdstall-kataster-bayern.com

Nikolaus Arndt