Kulturheimat: Wie muss man sich die Kunstszene im Bayerischen Wald während der Nachkriegsjahre vorstellen?

Michel: Es waren damals hier, in der engeren Umgebung, Maler, die sich zur Donau-Wald-Gruppe zusammengeschlossen haben, zum Beispiel Heinz Theuerjahr, Reinhold Koeppel und Hermann Erbe-Vogel, Walter Mauder, Wilhelm Niedermayer. Das waren die Leute, die die Gruppe aktiv vertreten haben. Also es war schon eine gewisse Aktivität da. Es gab da einen Grafenauer Notar, der hat die Gruppe finanziell über Wasser gehalten. Die Donau-Wald-Gruppe war damals schon eine bekannte Gruppe. Sie ist dann später von Wörlen betreut worden, der das Museum Moderner Kunst in Passau gestiftet hat. Mit Egon Wörlen bin ich auch sehr gut ausgekommen. Und dann haben ich 1966, da waren dann in der Zwischenzeit, durch den Zwieseler Buntspecht doch ziemlich viele Künstler beieinander, mit Oskar Langer, einem der Gründer des Zwieseler Buntspechts, gesprochen, dass es doch schade sei, dass nur die Donau-Wald-Gruppe besteht. Wir könnten doch versuchen hier eine regionale Gruppe aufzuziehen. Und dann haben wir das gemacht. Jeder hat in seinen Bereich geschaut und dann hat ein Wort das andere gegeben und zum Schluss war es dann so, dass wir, Hans Wölfl, Oskar Langer, Konrad Klotz, Josef Fruth, Karl Mader, Rupert Kamm, Hermann Eller, Erica Steppes und ich, am Josefitag (19. März) 1966, hier in Schönberg, die Gruppe aus der Taufe gehoben haben.

Kulturheimat: Waren die anderen denn auch im Nebenberuf Künstler?

Michel: Teilweise neben, teilweise hauptberuflich. Und weil ich halt Verwaltungsbeamter war, haben die anderen dann gesagt, ich muss der Geschäftsführer sein und die ganze Arbeit machen. Und so ist es dann 31 Jahre lang geblieben. Man muss sich vorstellen, was wir für Idealisten waren. Ich habe eine Aufwandsentschädigung als Geschäftsführer des Bayerwaldkreises, 25 Jahre lang, 50 DM im Jahr bekommen, im Jahr!

Kulturheimat: Nicht sehr üppig.

Michel: Das andere war, wir haben dann einen Fördererkreis gegründet. Die Mitglieder haben 30 DM im Jahr bezahlt, da hatten wir 30 Leute, also 900 DM. Bei den Ausstellungen, musste jeder, der etwas verkauft hat 10% in die Förderkasse einzahlen. Wir hatten eigene Podeste und Stellwände und haben im Lauf der Jahre in Bayern und ganz Deutschland, aber auch in Österreich und Böhmen Ausstellungen organisiert, insgesamt 71 Ausstellungen.

Kulturheimat: Was sind ihre Pläne für die Zukunft?

Michel: Ich bin jetzt 101 Jahre alt. Was soll ich jetzt überhaupt noch wollen. Ich will jetzt noch einige Arbeiten auf meine Weise. Erica Steppes hat immer gesagt: „Du hast ein Talent und das ist auch eine Pflicht! Mal nicht immer aus dem Bauch heraus, sondern mal mit dem Kopf. Und versuche mit deinen Bildern die Menschen zu erfreuen. Das ist deine Aufgabe.“ Und danach richte ich mich. Meine Probleme habe ich nie an die Wand gehängt. Es ist doch so: Wenn du eine Begabung hast, das ist nicht dein Verdienst. Da kann man nicht sagen, ich bin ein außergewöhnlicher Mensch. Ich kann vielleicht Sachen, die ein anderer vielleicht nicht kann. Aber das ist kein Grund zur Einbildung.

Kulturheimat: Haben Sie Vorbilder?

Michel: Ein Künstler ist kein Erfinder. Wir stehen immer auf den Schultern Anderer. Völlig unbewusst. Etwas Anderes ist es, wenn jemand einen Anderen bewusst kopiert. Aber natürlich, man hat Vorbilder. Maler von denen man beeindruckt war. Ich habe mich immer für Reinhold Koeppel begeistert. Der Koeppel stammte ja aus dem Harz, aus Oschersleben. Ich habe mich immer gewundert, warum sind die Künstler, die hier einen Namen haben von Außwärts? Koeppel, Erbe-Vogel aus Hof, Teuerjahr aus Pommern, etc. Es waren meistens Leute, die hier nicht heimisch waren. Das ist ja beim Tourismus dasselbe, nicht? Die Leute begeistern sich für eine Landschaft und Anderen fällt das gar nicht mehr auf. So war das bei mir auch mit dem Bayerischen Wald. Ich habe mich so für den Wald begeistern können. Ich war jedes Wochenende auf dem Lusen oben. Und der Keoppel hat den Wald in einer Art und Weise dargestellt, das kann man nicht nachmachen! Ich hatte genau den gleichen Eindruck. Wie der Koeppel den Wald erfasst hat, so habe ich ihn auch gesehen.

Kulturheimat: Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie eine gewisse Zeit verstärkt abstrakt gemalt haben?

Michel: Die abstrakte Phase ging bei mir los, wie ich nach Honduras gereist bin. Ich bin zuerst nach New York gekommen und habe die Skyline bei Nacht erlebt. Die Wolkenkratzer waren so ausgesprochen hässlich und da habe ich angefangen diese Schluchten zwischen den riesigen Häusern zu malen.

Kulturheimat: Ist es leichter ein gegenständliches Bild zu verkaufen als ein abstraktes?

Michel: Ich habe auch viele abstrakter Bilder verkauft. Man kann nicht sagen, dass die Leute nur Gegenständliches haben wollen. Ein abstraktes Bild ist immer ein geistiges Gebäude. Dass man Farben durcheinander schmiert, hat nichts mit Abstraktion zu tun. Ich habe bei meinen abstrakten Bildern immer einen kleinen realen Hintergrund gelassen, sodass es nie 100% abstrakt war, sondern vielleicht bloß 95%. Eine Zeit lang habe ich viel abstrakt gemalt, aber es muss irgendwie ein bisschen eine Kopfarbeit sein. Wenn einer aus dem Bauch heraus abstrakt malt, das ist eine Katastrophe. Aber: Gerade in Bezug auf die Kunst, da darf man nicht hergehen und darf meinen, jeder muss so malen wie man selbst. Toleranz ist die höchste aller Tugenden.