Niederländische Seefahrer hatten im südamerikanischen Amazonasgebiet einen wohlschmeckenden Likör der indianischen Ureinwohner, hergestellt aus Avocadofrüchten, kennengelernt. Versuche, den Avocado-Strauch im 17. Jahrhundert auch in Europa heimisch zu machen, scheiterten, aber findige Flamen kamen auf einen idealen Ersatz: Sie mischten Eidotter mit Branntwein, Zucker und anderen Gewürzen zu einer genialen Komposition, der Eierlikör „Advocaat“ war erfunden.

Die Anfänge der Weltfirma Verpoorten liegen im deutschen Städtchen Heinsberg bei Aachen, wo der flämische Kaufmann und Schnapsbrenner Eugen Verpoorten 1876 eine „Liqueur-Fabrik“ gründete. Sein Enkel Wilhelm heiratete 1920 die Berlinerin Elly Matishock und errichtete in Kreuzberg die „Verpoorten & Waschkin Fabrik für Tafelliköre und Holländische Spezialitäten nach Originalrezepten“. Von Berlin aus versorgte Willi Verpoorten nun ganz Deutschland per Pferdewagen und Eisenbahn mit Schnäpsen, Kräuterlikören und natürlich mit Advocaat.

Straubinger Belegschaft der Fa. Verpoorten, um 1938 (rechts vorne stehend: Elly Verpoorten) (Stadtarchiv Straubing)

Straubinger Belegschaft der Fa. Verpoorten, um 1938 (rechts vorne stehend: Elly Verpoorten) (Stadtarchiv Straubing)

In den 1930er Jahren wurde es immer schwieriger im Gebiet um die Hauptstadt Berlin Eier zu bekommen, da sie der „gesunden Volksernährung“ vorbehalten waren. Niederbayern hingegen wurde vom Reichswirtschaftsministerium zum Überschussgebiet für frische Eier deklariert. So kam am 1. März 1936 Elly Verpoorten in Straubing an, um hier eine neue Produktionsstätte für Eierlikör aufzubauen. Die neue Eierlikörfabrik wurde in der Heerstraße, im ehemaligen Maschinenhaus der Brauerei Setz, eingerichtet. Als die Berliner Fabrik zerbombt wurde, zog auch Willy Verpoorten im Dezember 1944 nach Straubing. Trotz der Kriegswirren lief die Eierlikörproduktion in Straubing weiter; man fabrizierte das beliebte Stärkungsmittel zum Beispiel für das Deutsche Rote Kreuz. Am 28. April 1945 marschierten die Amerikaner in Straubing ein. In den folgenden drei Tagen war Straubing für die Plünderung freigegeben. Auch die Verpoortens wurden nicht verschont, amerikanische Soldaten, befreite Fremdarbeiter und auch die Bewohner der Nachbarschaft halfen eifrig mit, die Bestände eimerweise wegzuschaffen. Zeitzeugen berichten vom „knöchltiefen“ Eierlikörsee im Setzkeller. Als Sohn Viktor Verpoorten, entlassen aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft, 1945 ebenfalls nach Straubing kam, renovierte und erweiterte man den Betrieb. Bis zur Währungsreform produzierte man Essig- und Senfgurken und handelte mit heißen und kalten Getränken. Im Sommer 1948 konzentrierte man sich als „Fa. Destillerie Verpoorten OHG. Straubing, Heerstraße 2“ dann wieder auf die Eierlikörherstellung. Schwierig war es nun aber, ausreichend Eier zu bekommen: Niederbayern war kein „Überschussgebiet für Eier“ mehr, der große Flüchtlingsstrom musste versorgt werden, zudem verschoben die Einheimischen ihre Ware lieber nach München, wo die „naturfrischen Hühnereier aus dem Gäuboden“ ein lukratives Geschäft waren. So wurden nun mit dem „Verpoorten-Lastwagen“ unermüdlich Eier aus Holland, Belgien und Norddeutschland geholt.

25 bis 30 Leute, vor allem Frauen, arbeiteten für die Verpoortens. Waren vor dem Krieg unter Aufsicht der „Chefin“ die Eier per Hand aufgeschlagen worden, gab es nun eine halbautomatische „Eierköpfmaschine“. Während sich das Eigelb mit Branntwein und geheimen Zutaten zum berühmten Advocaat wandelte, wurde das Eiweiß in Kübeln aufgefangen und nach Nürnberg in die Lebkuchenfabriken oder an einheimische Bäckereien verkauft. Die Eierschalen holten sich Straubinger Bauern und Bürger, von denen vor allem in der Kriegs- und Nachkriegszeit viele eigenes Federvieh hielten, als Hühnerfutter.

1953 verlegten die Verpoortens ihre Firma nach Bonn. Die Verpoortens wollten zwar lieber in Straubing bleiben, das ihnen zur neuen Heimat geworden war. Versuche, in Straubing ein geeignetes Grundstück für ein neues großes Werk zu finden, waren aber gescheitert. Die junge Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland hingegen warb um Industrieansiedler, war zudem für die Verpoortens auch ein strategisch günstiger Standort: Fracht- und Vertriebswege wurden kürzer; der Hauptlieferant für Glasflaschen saß im Ruhrgebiet.
Elly Verpoorten, die tatkräftige und angesehene „Gründerin“ der Straubinger Eierlikörfabrik, starb 1968. Ihr Sohn Viktor Verpoorten erinnerte sich an die Straubinger Epoche als eine „sehr glückliche Zeit“: „Weil wir so viele, viele Jahre dort als Unternehmer tätig waren, hörte ich einmal von einem unserer Freunde den schönen Satz zu meiner Mutter sagen: ‘Elly, du bist a Preussin mit mildernden Umständen, weil’st scho so lang in Straubing bist und weil’st katholisch bist.’“

Eierlikörproduktion in Straubing mit Maria Sturm (Vorarbeiterin) und Emmy Kuglmeier, um 1950 (Stadtarchiv Straubing)

Eierlikörproduktion in Straubing mit Maria Sturm (Vorarbeiterin) und Emmy Kuglmeier, um 1950 (Stadtarchiv Straubing)

Eierlikör wurde wie Nierentische und Tütenlampen zum Symbol der Wirtschaftswunderzeit. Und die Firma Verpoorten entwickelte sich mit dem von Viktor erfundenen Werbeslogan „Ei. Ei, ei – Verpoorten“ zum weltgrößten Hersteller von Eierlikör. Sie ist nach wie vor – mittlerweile in der fünften Generation – ein Familienunternehmen. Der Eierlikör wird hierbei übrigens nach dem seit 1876 unveränderten Geheimrezept produziert.

 

Dr. Dorit-Maria Krenn