Der Gaumen hat ein langes Gedächtnis. Gerüche und Geschmäcker bleiben lebenslänglich erhalten, die guten wie die weniger angenehmen. Nach Leibspeisen befragt, fallen einem wohl meist nicht ungewöhnliche exotische Gerichte ein, sondern schlichte Speisen aus der Kindheit, vielleicht ein Erpfezwirl, Maultaschen oder Zwetschgenknödel. Und trotz ernsthafter Bemühungen, weniger Fleisch zu essen, kann mich hie und da nichts von Leber- und Blutwurst mit Kraut und Kartoffeln abhalten.
Die traditionelle regionale bayrische Küche ist nicht fleischlastig, wie das manchen Schweinshaxenfans in ihren Träumen erscheinen mag. Sie richtet sich nach Kulturlandschaften, Bräuchen und Jahreszeiten. Nach dem Krieg brachten die Zuwanderer aus dem Osten ihre Kochtraditionen mit, später dann kamen Einflüsse aus Italien und Jugoslawien, aus Griechenland und der Türkei und auch aus der asiatischen Küche hinzu und haben dazu beigetragen, dass der Spagat zwischen traditioneller und moderner, leichter Küche gelingen konnte.
Das Bewusstsein für regionale und saisonale Produkte ist gewachsen, immer mehr Köche entdecken vergessene Genüsse neu. Sie besinnen sich wieder auf ihr Handwerk, machen sich die Mühe, Innereien aufzutischen, wenn auch dazu manchmal außer dem Aufwand in der Küche zusätzlich Überzeugungsarbeit beim Gast geleistet werden muss. Dafür verschwinden zuagroaste Zutaten langsam wieder aus den Töpfen und den Köpfen der bayerischen Köche, die Gemüse und Obst, Milch und Käse aus der Region bevorzugen. Und wenn endlich unsere niederbayerischen Bauern und Metzger stolz sind auf ihre Produkte und sehen, dass sich ihr Käse nicht verstecken muss hinter einem Pecorino, ihr Gselchtes es aufnehmen kann mit einem Pastrami, dann wird alles gut.
Küche und Kochen hat viel mit Identität zu tun. Das Essen ist ein Gradmesser für Kultur. Dass sich unsere Küche durch vielerlei Einflüsse verändert und dazugewonnen hat, ist ein Indikator für die Vielfalt der Gesellschaft. Die hat dazu beigetragen, dass Rezepte keine Dogmen mehr sind. Am Herd herrscht nicht die Vorschrift, sondern die Freiheit. Der Kochlöffel ist der Dirigierstab, Nase und Gaumen, Hände, Augen und selbst die Ohren sind beteiligt an dem, was im Kochtopf passiert. Der Duft der Gewürze, die Textur eines Teigs, die Farben der Gemüse und das Knistern von heißem Fett – hier sind alle Sinne beteiligt und vereinen sich zum guten Ende am Gaumen des Genießers. Essen macht glücklich, ist Gemeinsamkeit und Heimat!
Ines Kohl
Illustration: Claudia Weigert-Trinkler
Die Illustration ist entnommen dem „Koch-Kunst-Sammelsurium“ – Kulinarrisches (!) und Kurioses.
Rezepte und Texte: Ines Kohl / Bilder: Claudia Weigert-Trinkler / Druck: Verlag Ebner, Deggendorf ISBN:978-3-934726-83-3