Weiß-blauer Himmel über grasgrünen Wiesen, die sich durchbrochen von glitzernden Seen und Flüssen vor einer imposanten Bergkulisse erstrecken, dazwischen zwiebelturmbewehrte kleine Kirchlein inmitten holzverkleideten, weiß getünchter Bauernhäuser mit leuchtend roten Geranienkästen vor den Fenstern – so kennt man Bayern in der ganzen Welt. Niederbayern präsentiert sich ähnlich schmuck mit den goldgelben Weizenfeldern des Gäubodens vor dunkel bewaldeten Bayerwaldbergen.
Ob im Unterland, an der Elbmündung oder in der Toskana: Regionen definieren sich gerne über naturnahe Landschaften und darin eingebettete charakteristische Versatzstücke der Kulturgeschichte. Historische Bauwerke und Siedlungen sollen uns an die „gute alte Zeit“ erinnern und in Kombination mit ästhetischen Naturbildern positiv stimmen. Industriegebiete, Plattenbausiedlungen und Autobahnzubringer passen da nicht ins Bild.
Die Eigenart einer Kulturlandschaft und damit insbesondere das kulturelle Erbe ist eine entscheidende Grundlage für die Identifikation der Bevölkerung mit „ihrer“ Kulturlandschaft und damit für die Entwicklung und Bewahrung eines „Heimatgefühls“. Zum ideellen Wert kommt dabei vielfach indirekt auch eine ökonomische und politische Dimension hinzu. Die vermeintliche Unberührtheit der Natur dient in Werbeprospekten als Verkaufsargument, die dokumentierte Ursprünglichkeit der Landschaft steht auf Wahlplakaten als Garant für Lebensqualität.
Mit dem Wissen um den Lauf der Geschichte und die Wandelbarkeit von Kultur fällt es jedoch oft schwer, an die Authentizität solcher Bilder – gleichwohl ob sprachlich formuliert oder optisch vor Augen gehalten – zu glauben. Wo hört Natur auf, wo fängt Kulturlandschaft an? Erkennen wir kulturell geschaffene Strukturen in der mythisch verklärten Natur überhaupt noch? Können wir akzeptieren, dass auch industrielle Produktionsstätten Zeugnisse unserer kulturellen Identität, ja sogar Kultur-Landschaft sind?
Kulturlandschaften sind mehr als ein Mosaik aus touristisch verwertbaren Glanzstücken. Sie sind lebendiger Spiegel unseres menschlichen Gestaltungswillens. Wir allein entscheiden, ob wir uns mit umzäunten Landschaftsreservaten zufrieden geben oder auch hinter der Fototapetenidylle auf Vielfalt, Nachhaltigkeit und Lebensqualität setzen. Wenn aus immer mehr Feldwegen geteerte Harvester-Bahnen werden, dann ist auch dies Ausdruck einer sich wandelnden Kulturlandschaft – gefallen muss es nicht.
Christine Lorenz-Lossin