Vor 250 Jahren starb mit Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) ein Wegbereiter der Kunstgeschichte und Archäologie, der bis heute unser Kunstverständnis prägt. Er erkannte als erster, dass der Stil, der sich in der Gestaltungsweise zum Beispiel einer Bildhauerarbeit niederschlägt, verrät, ob ein Werk zur gleichen Zeit entstand, jünger oder älter ist als ein zu Vergleichendes – der Traum jedes Kunstgeschichts-Erstsemesters: klar abgrenzbare Epochen, eine überschaubare Systematik und schnelle Erfolge in der Zuordnung zu Entstehungsorten und -zeiträumen. Freilich, im Laufe der Zeit offenbaren sich die Tücken dieser Vereinfachung. Viele von Winckelmanns Ansichten sind heute widerlegt. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass auch die vergangenen Jahrhunderte ein fröhliches Neben- und Durcheinander von Stilen und Moden kannten. Doch die Erkenntnis, dass auch die Kunst eine Geschichte hat und dass Kunstwerke Auskunft geben können über Geisteshaltung, Vorlieben und kulturelle Eigenheiten einer vergangenen Gesellschaft begründete letztlich die moderne Bildwissenschaft.
Dabei war Winckelmann selbst weniger Formalist als Ästhet. Übersättigt von Formenpracht und Farbenspiel der Barockzeit versuchte er einen neuen ästhetischen Maßstab für die Kunst seiner eigenen Zeit aufzustellen. Als Idealbild galt ihm die griechische Antike und die ihr zugeschriebene „edle Einfalt und stille Größe“ – darin lag nach Winckelmanns Vorstellung die Vollendung wahrhaft künstlerischen Schaffens.
Und heute? Wohin man blickt eine noch nie dagewesene Vielfalt an Formen, Farben, Stilen und Richtungen – von den klassischen Disziplinen Architektur, Malerei und Bildhauerei über Druckgraphik und Fotokunst hin zu Multimedia-Installationen, Performances und Konzeptkunst. Die Kunst tobt sich aus, feiert sich selbst. Kaum eine Stadt – und sei sie auch noch so klein – kommt aus ohne Kunstsymposium, Galerie, Skulpturenpark, Kunstbi- und -triennalen, …
Der Zugang zu bildender Kunst ist heute leichter und dadurch schwerer denn je. Der didaktisch aufbereiteten Kunst im Museum steht eine Vielzahl von Ausstellungs- und Aktionsräumen, auch im öffentlichen Raum, gegenüber, die zwar Schwellenängste nehmen können, oft aber auch allein lassen mit der Frage „Ist das Kunst, oder kann das weg?“
Einen ersten Schritt aus diesem Dilemma kann der direkte Kontakt mit Kunstschaffenden sein, zum Beispiel bei einem der zahlreichen Symposien zu Kunst im öffentlichen Raum, die in der Regel ebendort stattfinden und die Möglichkeit bieten, den Schaffensprozess zu begleiten und mit dem Kopf auch die Idee dahinter kennen zu lernen; oder beim „Tag des offenen Ateliers“, den das Kulturreferat des Bezirks Niederbayern alle zwei Jahre veranstaltet. Nur Mut – Hingehen und Hinschauen lohnt sich!
CLL