Tracht bedeutete lange Zeit nichts anderes als Kostüm oder Kleidung. Das änderte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts. Der bunte Festtagsstaat der ländlichen Oberschichten geriet zunehmend in den Blick von Bürgertum und Obrigkeit. Die Landbevölkerung wurde nicht länger mehr als tölpelhaft, rückständig und altmodisch gekleidet verachtet wie ehedem, sondern samt ihrer Kultur zum Inbegriff von Natürlichkeit stilisiert. Dies war die bürgerliche Antwort auf die fortschreitende „Verstädterung“ im aufblühenden Industriezeitalter.
Maler bereisten jetzt das Land und fertigten Genrebilder mit pittoresken Trachtenpaaren für Salons und biedermeierliche Wohnzimmer. Die romantische Vorstellung von den bäuerlichen Trachten als unveränderliche, den städtischen Moden trotzende Lokaluniformen verfestigte sich. Nicht zuletzt auch, weil die hübschen Bilder der späteren Trachtenpflege zur Inspiration und als Quellen dienten. Bis heute kann mit Trachten der Wunsch nach regionaler Identität zum Ausdruck gebracht und erfüllt werden.
Auch die Obrigkeit trug zum bayerischen Trachtenkult bei. Weil es dem jungen Königreich Bayern mit seinen neuen Landesteilen an „Nationalbewusstsein“ mangelte, sollten kulturpolitische Maßnahmen der Wittelsbacher Monarchen abhelfen. Anlässlich der Vermählung des Kronprinzen Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen veranstaltete man am Namenstag von König Max I. im Jahr 1810 ein „Nationalfest“ mit Pferderennen und huldigenden Kinder-Trachtenpaaren aus allen bayerischen Kreisen. Dieses erste „Oktoberfest“ erfreute Herrscherhaus und Landeskinder gleichermaßen. Auf ihm gründen alle weiteren Volksfestkonzepte mit Trachtenumzügen, Blasmusik, Verköstigung, Vergnügungen, landwirtschaftlichen Leistungswettbewerben, Vieh-, Geräte- und Maschinenausstellungen. Erste Ableger gab es im Unterdonaukreis, dem heutigen Regierungsbezirk Niederbayern, bereits ab 1812 in Straubing, 1814 in Passau und später auch in Landshut.
Die Pflege der Volkskultur zählte insbesondere bei König Max II. zum innenpolitischen Programm. Bereits als Kronprinz ließ er Landeskunde und Volksleben erforschen. Die Ergebnisse erschienen ab 1860 im Monumentalwerk „Bavaria“. Mit einem „Trachtenerlass“ versuchte er sich ab der Jahrhundertmitte an der „Hebung bayerischen Nationalgefühls“. Seine Berater hatten deshalb über geeignete Maßnahmen zur Erhaltung und Belebung der Landestrachten zu sinnieren. Davon war allerdings eine zunehmend liberale Bevölkerung schwer zu überzeugen. Sie kleidete sich lieber modisch und bevorzugte industriell gefertigte Stoffe. Hier sollte schließlich eine ideologisch-emotionale Überhöhung Abhilfe schaffen: Trachtentragen wurde zum „Heimat-Bekenntnis“ umgedeutet, das Pfarrer und Lehrer als erzieherische Autoritäten dem Volk einzupflanzen suchten. Im 19./20. Jahrhundert ist dieses Gedankengut vor allem bei der bayerischen Trachtenbewegung auf fruchtbaren Boden gefallen. „Treu der Sitt, treu der Tracht“ hält man beherzt am Bekenntnis fest. Die postmoderne Gesellschaft legt indes einen spielerischen Umgang mit Trachten und deren Moden an den Tag.
MS
Bild: Toni Scholz