Wer derzeit mit wachen Augen durch die Städte und Dörfer geht oder fährt, sieht, wie sich viele Obstbäume biegen unter der überreichen Last ihrer Früchte. Ja, manchmal sind die Zwetschen-, Birnen- oder Apfeläste sogar an- und abgebrochen , weil sie das Gewicht ihrer Produkte nicht mehr tragen können. Oder sie nicht von stützenden Holzpfählen gerettet werden. Dieses Bild regt zu mancherlei Gedanken an, denn es kann offensichtlich ein Zuviel geben, das schädliche Folgen hat.
Unser auf ständiges Wachstum programmiertes Denken, das gerne in jedem Minus einen Rückschritt sieht, wird mit den Gesetzen der Natur konfrontiert. Diese sind nicht linear angelegt, sondern zyklisch im ständigen Wechsel von Werden und Vergehen, nicht hierarchisch, sondern eher komplex-vernetzt. Auf Rekordernten folgen oft Ruhejahre mit sehr mäßiger Ausbeute. Oder wie der bairische Volksmund sagt: „Es hängt net oiwei auf oa Seitn.“ Es gibt kein „ewiges“ Wachstum, nur ein exponentielles bei Krebszellen.
Die hitzige Diskussion um das Bienen- und Insektensterben mit Monokulturen in der modern-hochtechnisierten Landwirtschaft, den artgerechten Umgang mit der Tierwelt in Zeiten der Massenproduktion, zunehmende Wetterextreme mit Hitzeperioden, Starkregen-Ereignissen und die unaufhaltsame Flächenversiegelung unserer heimatlichen Kulturlandschaft zeigt, das wir uns dringend fragen müssen, ob wir in Zukunft einfach unseren rohstoff- und energieintensiven Lebensstil ungerührt weiterpflegen wollen. Oder uns besinnen auf ein bescheideneres Maß mit langfristiger Über-Lebensperspektive.
Die überreiche Obsternte 2018 könnte uns auch wieder einmal anregen, die kulturelle Vielfalt der gemeinschafts- und sinnstiftenden Verarbeitungsformen zu schätzen: vom Obstpressen über´s Einmachen, Einwecken bis zum Dörren. Gerade die niederbayerische Kulturlandschaft mit ihren fruchtbaren Böden, dem ausgeglichenen Klima mit ausreichenden Niederschlägen hat im deutschland- und europaweiten Vergleich eine erfolgsversprechende Zukunft vor sich. Wenn das immer mehr VerbraucherInnen wertschätzen, werden sie vielleicht künftig auch wieder mehr regional bewährte Obstbäume und heimische Wildblumen pflanzen, vorhandene Streuobstwiesen schützen und pflegen. Oder sich freuen, wenn sie ganz neue Geschmackserlebnisse erleben, wenn sie in lokal typische Sorten beißen.
Das bevorstehende Erntedankfest ist wie jedes Jahr ein guter Anlass, sehr dankbar zu sein für die besonderen Schätze der Obstkultur, die wir heuer in so großer Fülle geschenkt bekommen haben.
HW