Heutzutage sind es Horrorfilme, Fantasy-Geschichten und Science-Fiction-Romane, welche Spannend-Schauriges bis Märchenhaftes erzählen und in mythische Welten entführen. So aufgeklärt sich unsere Gesellschaft auch wähnt, dem Faszinosum des Übernatürlichen kann sie sich kaum entziehen. Dies beweisen die zahlreichen Blockbuster und Bestseller stets aufs Neue. Vom künstlerischen Anspruch ihrer Urheber einmal abgesehen, sind es weniger pädagogische Absichten, die dazu motivieren. Es geht um kommerziellen Nervenkitzel. Letzterer bemisst sich nicht zuletzt in barer Münze.

Anders bei den überlieferten, teils dramatischen Volkssagen, die man sich nicht nur im Bayerischen Wald zu Hauf erzählte. Sie sollten ihren Zuhörern aus der alten Agrargesellschaft vor allem Respekt einflößen. Die Schilderungen wollten auf drastische Weise vor Augen führen, was mit Draufgängern, Querköpfen und Ungläubigen passierte, sobald sie die vorgegebenen Spielregeln der Dorfgemeinschaft oder gesetzte religiöse Normen missachteten: Im regional überlieferten Erzählgut werden sie von der „Wilden Jagd“ mitgenommen, versinken von geheimnisvollen Lichterscheinungen irregeleitet im Moor, oder es holt sie der Teufel höchst persönlich. Dieser hinterlässt zur ewigen Warnung an die Zurückgebliebenen gerne seinen tierischen Fußabdruck als quasi höllische Visitenkarte auf Ziegel- und Pflastersteinen.

Viele Menschen mögen in diesen Überlieferungen den skurrilen Aberglauben aus vergangener Zeit erblicken. Doch wer sich die Sagen der Moderne, die „urban legends“ ansieht, wie sie im Internet kursieren und sich über soziale Medien verbreiten, staunt darüber, was angeblich wahr sein soll, weil es zum Beispiel „der Mutter der Freundin einer Bekannten so und nicht anders widerfahren“ sei: Diese wollte während einer nächtlichen Heimfahrt durch ein abgelegenes Waldstück im Rückspiegel plötzlich eine Schwarze Frau in ihrem Auto gesehen haben. Erschrocken angesprochen, wer sie sei, verschwand die geheimnisvolle Gestalt. Am nächsten Tag entdeckte die Autofahrerin ein schwarzes Band auf dem Rücksitz. Man habe herausgefunden, dass es jenes Band war, das auf dem Grabkreuz einer jüngst verstorbenen Nachbarin fehlte.

Es sind immer dieselben alten Motive, die von Untoten und Dämonen, Zauberern und Helden handeln, und es gibt sie weltweit. Deshalb liefern auch die beiden Großgruppen, die historisch-mythischen und die dämonologischen Sagen, die besten Storys. Man denke an die 1995 verfilmte König Artus-Sage aus der Völkerwanderungszeit mit ihrer Starbesetzung Sean Connery (Artus), Richard Gere (Lanzelot) und Julia Ormond (Guinevere). Und wer kennt nicht den US-amerikanischen Thriller „The Devil’s Advocate“, in den Hauptrollen Keanu Reeves als Anwalt und Al Pacino als Teufel?

Unsere entzauberte moderne Welt, in der jedes Phänomen seine Erklärung findet, zeigt sich genau aus diesem Grund dem scheinbar Übernatürlichen und Phantastischen gegenüber aufgeschlossen. So wundert es nicht, dass man die alten Sagen, die seit den Tagen der Brüder Grimm gesammelt werden und ganze Bücherschränke füllen, immer wieder neu erzählt.

MS