Der Verleger der Passauer Neuen Presse, Hans Kapfinger (1902-1985), hatte 1961 die Wochenzeitschrift „aktuell“ gegründet, um Konrad Adenauer zum Gewinn der Bundestagswahl im gleichen Jahr zu verhelfen. Das Magazin sollte als politisch rechts stehendes Pendant zum „Spiegel“ agieren. Eines der explizit ausgesprochenen Ziele war es, den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt politisch zu diskreditieren. Dessen Biografie bot dafür vielfältige Angriffspunkte: Brandt war als uneheliches Kind zur Welt gekommen, während der NS-Zeit nach Norwegen und Schweden geflohen und hatte erst 1948 die deutsche Staatsbürgerschaft zurückerhalten. Fortan waren vor allem Brandts angebliche Tätigkeiten als „Vaterlandsverräter“ während des Krieges und seine Frauengeschichten samt unehelichen Kindern Themen in „aktuell“. Zudem wurde Brandt als Kommunist dargestellt, der im Gegensatz zu den „aufrechten Deutschen“, die im Krieg gedient hatten, nie eine Waffe in der Hand gehabt hätte. Die Artikel dienten als Steilvorlage für Politiker wie Franz Josef Strauß, der im Februar 1961 auf einer Kundgebung in Vilshofen erklärte: „Eines wird man doch Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie in den zwölf Jahren draußen gemacht? Wir wissen, was wir gemacht haben.“ Subtil wurde das Misstrauen der Leser geschürt, die sich vielleicht mit schlechtem Gewissen an ihre eigene Rolle im Dritten Reich erinnerten, während Brandt als Emigrant eine weiße Weste hatte. Artikel in „aktuell“ legten deshalb nahe, dass Brandt in Norwegen als Agent gearbeitet habe.
Der Passauer Verleger Kapfinger war journalistisch keineswegs neutral, sondern Teil des konservativen Wahlkampfteams um seinen Duzfreund Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer. In der Passauer Neuen Presse bewarb Kapfinger ausführlich die Gründung von „aktuell“: „SPD-Genossen, nun wird zurückgeschlagen! Jetzt wird euch die Maske vom Gesicht gerissen.“1 Finanziert wurde das Magazin unter anderem mit Geldern der Union und sogar Konrad Adenauer selbst soll zugesichert haben, insgesamt 1,8 Millionen D-Mark beizusteuern. Kapfinger versprach ihm daraufhin in einem Brief: „,Aktuell‘, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, wird ihr treuester Bundesgenosse sein. […] Die Zeitung ist auf Dr. Adenauer verpflichtet, nicht aus Parteigründen, sondern weil ich Ihre Politik für richtig halte.“2
Kapfinger stellte sich das Redaktionsteam für das Magazin selbst zusammen. Außer zwei PNP-Redakteuren gehörten ihm ehemalige NS-Propagandisten an. Sie unterfütterten die bundesweite Hetzkampagne gegen Willy Brandt mit immer neuen Artikeln zu dessen Privatleben oder seiner Emigration nach Norwegen. Es gab kaum eine Ausgabe, die nicht seitenlange Attacken auf Brandt, die SPD oder die Gewerkschaften3 enthielt. Konservative Politiker wie Strauß und Ludwig Erhard erhielten dagegen eine Bühne und ihre Argumente wurden in ausführlichen Artikeln vorgestellt. Streitgespräche zwischen Politikern verschiedener Lager gab die Redaktion durch die Überschrift einseitig wieder.4 Daneben wurden wohlwollende Rezensionen zu Büchern von konservativen Autoren wie Kurt Ziesel oder Hans Frederik gedruckt, ohne zu erwähnen, dass diese selbst für „aktuell“ schrieben. Der Stil war boulevardesk und orientierte sich an der „Bild“-Zeitung. Die Redaktion von „aktuell“ versuchte ebenso Leser zu gewinnen mit vermeintlich unpolitischen Themen, die aber dennoch die konservative Weltanschauung wiedergaben. Ein negativer Artikel über die sich zunehmend emanzipierende Frau kam beispielsweise zum Fazit, dass Frauen sich eher unterordnen und selbst körperliche Gewalt des Mannes akzeptieren würden. Der Autor brachte das gefettete Zitat: „Wir wollen über’s Knie gelegt werden.“5
Ähnlich wie bei der rechtsextremen „Deutschen National-Zeitung“ wurde Aufrechnung statt Aufarbeitung betrieben. NS-Verbrechen wurden zwar benannt, jedoch wurde versucht diese mit angeblich ähnlich schlimmen kommunistischen Verbrechen gleichzusetzen. Anzeigekunden lehnten das ihnen politisch zu rechts stehende Magazin größtenteils ab. Zudem hielten ständige Verleumdungsklagen von angegriffenen Personen die Redaktion auf Trab. Auch Willy Brandt strengte Prozesse gegen die Berichterstattung von „aktuell“ an. Allein in Österreich wurden fünf Ausgaben verboten. Finanziell konnte das Magazin diesem Druck nicht lange Stand halten. Bereits nach etwas über einem Jahr war der Angriff auf den „Spiegel“ beendet und „aktuell“ musste das Erscheinen einstellen. Die letzte „aktuell“ erschien am 1.9.1962. Brandt hingegen verlor zwar die Bundestagswahlen 1961 und 1965, wurde aber letztlich 1969 zum Bundeskanzler gewählt.
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1 „Der rote Rufmord“, PNP vom 8.7.1961.
2 Brief von Kapfinger an Konrad Adenauer vom 16.9.1961, BArch NL Höcherl N/1407/11.
3 z.B. „Millionen im Rücken – Deutscher Gewerkschaftsbund auf ideologischem Vormarsch“, aktuell vom 22.7.1961. & „Deutschland deine Gewerkschaften – sie zerstören deinen guten Ruf“, aktuell vom 1.9.1962.
4 „Geschichte mangelhaft – Rückblende auf das Streitgespräch Strauß-Brandt am Starnberger See“, aktuell vom 22.7.1961.
5 „Abgewirtschaftet?“, aktuell vom 15.7.1961.
Der vorliegende Text ist eine Zusammenfassung eines Kapitels aus Michael Hellsterns Dissertation „Meinungsmacher mit dunkler Vergangenheit: Die Heimatpresse in Bayern von 1945 bis 1962 am Beispiel der Passauer Neuen Presse und der Mittelbayerischen Zeitung“, die am 30. März 2025 im Pustet-Verlag erschienen ist.
Michael Hellstern