Das Schandlfilz in Binabiburg – von der Rossweide zur Restnatur

Die Bina ist ein kleiner Bach südlich von Vilsbiburg. Früher hieß sie „Pyna“. Das ist keltisch. An einem Westhang in unmittelbarer Nähe zur Bina und der Wallfahrtskirche St. Salvator liegt das „Schandlfilz“. Im Bayerischen Wald und Oberbayern sind Filze Hochmoore, die bei niedrigen Temperaturen, erhöhten Niederschlägen und schlechter Wasserabfluss entstehen. Hier handelt es sich eher um Quellwasseraustritte am Hangfuß, die im Lauf der Zeit zu einer solchen Vernässungen geführt haben. Selbst die Flurbereinigung konnte diesem sumpfigen Gelände nichts anhaben. Die Entwässerungsgräben um den gut ein Hektar großen, seit 1986 gesicherten schützenswerten, Landschaftsbestandteil laufen auch heute noch Richtung begradigte Bina. Einst war die Fläche eine komplett unbewaldete Weide für Kühe und Pferde. Das gute Quellwasser floss, in einem Brunnen gefasst, im natürlichen Gefälle bzw. pumpenfrei, bis zum Ortsmittelpunkt. Die seit 1820 im Ort ansässige Familie Schandl betrieb damit bis vor Jahrzehnten auch eine Brauerei samt Wirtshaus – heute mit die größten historischen Gebäude in Binabiburg, die die Eigentümer denkmalgerecht erhalten.

Die Biotopkartierung beschreibt diese Restfläche inmitten der ausgeräumten Fluren ohne Kenntnis der Vorgeschichte „als naturnahe Hecke (60%), naturnahes Feldgehölz (25 %), Feuchtwald incl. degenerierte Moorstandorte (10 %) und feuchte/nasse Hochstaudenfluren (5 %).“ Im Frühjahr finden sich hier noch vereinzelt Schneeglöckchen, Buschwindröschen, Scharbockskraut, viel Giersch, Brennnesseln und Schilf. Bei den Gehölzen dominieren Schwarzerlen. Daneben wachsen auch Eschen, Birken, Traubenkirschen und an den steilen, trockeneren Stellen Stiel-Eichen. Für Singvögel und Spechte ist dieser Flecken Erde ein willkommener Rückzugsort und Lebensraum.

Wer dorthin einen kleinen Ausflug machen will, der sollte sich die Zeit nehmen und die nahe gelegene Wallfahrtskirche „Zu unserem heiligen Herrn“ St. Salvator zu besuchen. Einfach den Herzogsweg nehmen, der einst von Landshut Richtung Burghausen führte. Der geschichtsträchtige Hohlweg mit seine steilen von mächtigen Eichen dominierten Flanken ist ebenfalls als Naturdenkmal geschützt. Der Legende nach soll einst ein Pferd in einem Wacholderbusch eine Hostie aufgespürt und sich fortan nicht von der Stelle gerührt haben. Es entstand eine Kapelle zu Ehren des Erlösers und oberhalb des einstigen Burgstalls mit Feste und später 1856 abgebrochenen Schlosses 1710 die heute tiptop renovierte Barockkirche. Der fantasiebegabte Kupferstecher Michael Wening hat sie im selben Jahr bereits portraitiert, obwohl damals erst der gelegt war. Das zentrale Deckengemälde des Eggenfeldener Anton Scheitler zeigt das einstige Hostienwunder.

Helmut Wartner
Foto: Helmut Wartner

Was ist schlimmer als Motorradlärm?

Ist der Krach, den ein vorbeirasendes Motorrad macht, Ihr Lieblingsgeräusch? Dann lesen Sie jetzt besser nicht weiter. Denn es geht um akustische Umweltverschmutzung; und zwar um eine der sinnlosesten Arten von Lärm und Krach neben Laubbläsern: Es geht um Motorradlärm.

Auf der einen Seite sind da die Motorradfahrer/innen, deren sehnlichster Wunsch es ist, sich elegant in die Kurve zu legen und dann zu beschleunigen. Auf der anderen Seite sind da die Lebewesen, Mensch und Tier, die von früh bis spät unter dem Jaulen, Knattern und Donnern leiden.

Lärm macht krank, das wissen wir. Und Motorräder sind ja nicht gerade leise. Dezibelmäßig spielen sie in der Kreissägen-Liga, nicht viel leiser als ein Presslufthammer. Deswegen gibt es auch seit 2016 eine Grenze. Sie lautet: 77 dB. Problem gelöst? Im Gegenteil. Die 77 dB gelten für den Standbetrieb. Bei Vollgas zum Beispiel sieht das ganz anders aus. Ruckzuck ist man da bei über 100dB! Deswegen gab es auch vor fast einem Jahr genau dazu eine Initiative im Bundesrat: Motorräder dürfen nicht lauter als 80dB sein; zusätzlich für besonders geplagte Regionen: Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen. Und was ist seither passiert? Nichts. Der Verkehrsminister blockiert und in Bayern sieht es auch nicht besser aus. Ein Minister sagte einmal in einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“:

„Man muss nicht alles reglementieren und man muss mal alle fünfe gerade sein lassen. Sonst schleicht sich eine Verbotskultur ein, wo Menschen alles stört, vom krähenden Gockel bis zum Läuten der Kirchenglocken.“

Nun wenn aber der Gockel den ganzen Tag mit einer Stimmgewalt von weit über 100dB krähen würde, dann wäre er doch schon längst heiser, oder? Und Kirchenglocken sind auch nicht so ausdauernd wie Motorräder. Es bleibt also nichts Anderes übrig, als sich selbst darum zu kümmern. So wie in St. Englmar im Bayerischen Wald. Dort hat die Polizei Lärmdisplays aufgestellt, die die Motorradfahrer/innen höflich darauf hinweisen, dass sie zu laut sind. Schon längst gibt es Lärmblitzer. Das funktioniert dann so wie bei der Geschwindigkeitskontrolle, die jeder kennt. Und was auch stimmt: Nicht alle Motorradfahrer sind zu laut. Wie immer im Straßenverkehr gibt es die bösen Buben und die, die einfach nur in Ruhe den Fahrtwind genießen. Trotzdem: Wäre es nicht besser statt aufs Motorrad öfters auf den Drahtesel zu steigen? Das ist nicht nur besser für die Ohren, sondern auch besser für die Wadeln und fürs Klima sowieso.

Christoph Goldstein
Foto: https://pixabay.com/de/photos/motorrad-harley-davidson-harley-1148963/

KULTURMOBIL 2021 – Mit dem kleinen Prinz unterwegs durch Niederbayern

Sommer ist KULTURmobil-Zeit! Auch diesen Sommer reist KULTURmobil wieder kreuz und quer durch ganz Niederbayern. Abends um 20:00 Uhr wird Molières Komödie „Der Geizige“ gegeben. Ein Stück, in dem ein Vater so von Gier, Geiz und Geld besessen ist, dass er dafür sogar das Glück seiner Kinder aufs Spiel setzen würde. Seine Kinder aber versuchen ihn zu überlisten…

Nachmittags um 17:00 Uhr bringt die Schauspielerin Christine Reitmeier die Geschichte „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry auf die Bühne, eines der bekanntesten Bücher für Kinder und Jugendliche, die es gibt: Der kleine Prinz ist auf einem klitzekleinen Asteroiden zu Hause. Auf der Suche nach einem Freund besucht er verschiedene Planeten, bis er zu uns auf die Erde kommt. Auf seiner Reise begegnet er einem verrückten Gelehrten, einem geldgierigen Geschäftsmann und einem herrschsüchtigen König. Der kleine Prinz ist für ihn ein Untertan. Erinnert man sich an dieses und letztes Jahr, ist diese Episode besonders interessant: Der kleine Prinz ist müde von der Reise und muss gähnen. Der König ist empört und will es ihm verbieten. Der kleine Prinz erwidert, er könne es nicht verhindern. Nun befiehlt ihm der König zu gähnen. Im Text heißt es da ironisch: „Aber da er [der König] sehr gütig war, gab er vernünftige Befehle.“ Was sagt uns das? Nun, unser Staat hat keinen absolutistischen Herrscher, wie der König in der Geschichte; aber auch unsere Politiker müssen Verbote aussprechen. Und ihre Verbote in den letzten Monaten konnten nur so vernünftig sein, wie es die Bürgerinnen und Bürger auszuhalten bereit waren. Beide, Mensch und Staat, sind aufeinander angewiesen. Denn der König, den der kleine Prinz trifft, hat recht, wenn er sagt: „Befiehlst du einem Volk, sich ins Meer zu schmeißen, so wird es eine Revolution anzetteln.“

Vielleicht sind diese Gedanken ein Grund, das Buch wieder einmal zu lesen oder sich die Geschichte bei einem der Tourneestopps live anzusehen. Denn das ist ja das Schöne an der Kunst, dass sich der Blick auf sie mit der Zeit ändert und wir nach der Lektüre oder einem Theaterabend manchmal unser Leben, unsere Welt ein klein bisschen anders sehen als vorher.

Tourneeplan und viele weitere Informationen unter www.kulturmobil.de

Christoph Goldstein
Foto: Harry Zdera

Wir alle verbrauchen Fläche, Böden und gewohnte Heimatbilder

Seit Jahrzehnten versuchen diverse Regierungen, Kommissionen und Fachgremien das Thema Flächenverbrauch in den Griff zu bekommen. Unterm Strich erfolglos. Noch immer werden in Bayern und der Bundesrepublik hektarweise zum Teil hoch wertvolle landwirtschaftliche Böden durch neue Verkehrs-, Gewerbe- oder Wohnbauflächen unwiederbringlich zerstört. 2019 waren es 10,8 ha pro Tag oder 39 km² im Jahr. Das heißt: 15 Fußballfelder unbebaute Landschaft verschwinden täglich unter Beton, Kies, Asphalt.

Dabei gehen auch vertraute, weniger berührte, Landschaftsausschnitte verloren. Je langsamer die Fortbewegungsart der Betrachterin oder Betrachters ist, umso auffälliger ist der Verlust erkennbar. Auch die Vogelperspektive hilft manchmal, das ganze Ausmaß der Veränderungen zu erkennen. Doch wie lässt sich das ungebremste Wachstum der Vernichtung stoppen?

Ohne gründliches Hinterfragen unserer scheinbar unveränderbaren Gewohnheiten wird es nicht gehen. Gerade in einem Flächenland wie Bayern ist die Mobilität dabei ein zentrales Thema. Bestellungen im Internet sind praktisch und bequem? Das eigene Auto ist unverzichtbar? Also brauchen wir dafür neue Straßen. Und neue Flächen für Autohändler oder Logistikzentren aller Art. Mitten auf dem Land. Exemplarisch zum Beispiel im Markt Röhrnbach, wo derzeit die erneute Ausweitung eines bestehenden Sondergebietes diskutiert wird, ein Gewerbegebiet, in dem sich ein Unternehmen mit der Zweckbestimmung „Fahrzeug- und Transportlogistik“ angesiedelt hat. Dort parken hektarweise Autos, die durch den Einbau begehrter Extras veredelt werden sollen.

Das obige Luftbild zeigt das ganze Dilemma: ein kleiner Ort bekommt in exponierter Hanglage auf einen Schlag eine Ortserweiterung um mehr als das Doppelte. Als Baufläche für eine neue überdimensionierte Schuhschachtel samt gigantischen Stellplatz. Das bringt kurzfristig ein bisschen neue Steuereinnahmen. Alles ist abgesegnet vom örtlichen Gemeinderat, nachdem der Flächennutzungs- und Bebauungsplan alle behördlichen Hürden genommen hat, samt Umweltbericht und sogenannter Ausgleichsflächen im Rahmen der Kompensation für Verluste an Kultur- und Naturgütern: „Eine umfangreiche Eingrünung soll dazu beitragen, dass sich der Betrieb gut in das Landschaftsbild eingliedert“ schreibt die Gemeindeverwaltung dazu in einer Stellungnahme. So entstehen ganz legal auf demokratischem Weg landesweit täglich neue anachronistische Versiegelungsruinen.

Der unleugbare Klimawandel, die Corona-Pandemie und die anhaltende Krise der Landwirtschaft mit dem anscheinend zwangsläufigen Gesetz vom „Wachsen oder Weichen“ zwingen uns zu einem radikalen Kurswechsel. Immer mehr besorgte Bürgerinnen und Bürger haben das erkannt. Gefragt sind intelligente Ansätze, die die persönliche Verantwortung für die not-wenigen Veränderungen belohnen und die egoistischen Anspruchshaltungen nach dem Motto „Ich will alles am nächsten Tag geliefert haben“ so verteuern, dass sie künftig unwirtschaftlich sind.

Unsere „Zuvielisation“ missbraucht den Begriff Wachstum, der aus der Biologie kommt. Bäume wachsen bekanntlich nicht in den Himmel und das Leben findet in Kreisläufen statt. Sprache und Begriffe verändern die Welt. Deshalb sollten wir statt vom Wirtschaftswachstum eher von Vermehrung, Vergrößerung oder Aufblähung reden. Und von Mitwelt statt Umwelt. Oder vom Gebrauch statt Verbrauch.

Mit diesem neuen Verständnis müssen sogenannte Sondergebiete wie das obige Beispiel nicht mehr erweitert, sondern könnten eines nicht so fernen Tages vielleicht sogar rekultiviert und rückgebaut werden. Zugunsten einer geheilten Wunde in der Heimatlandschaft vor der Tür.

Helmut Wartner
Foto: Klaus Leidorf

Maisfreier Weitblick

Nackt liegt das Land unter der Aprilsonne, nackt und braun. Nur da und dort sprießen jugendlich die Halme des Wintergetreides, Weizen, Gerste, selten Roggen, zart wie Flaum. Die meisten Äcker sind noch leer, sie sind aber schon bestellt. Ihre Furchen sind geglättet. Man hat sie gut eingeodelt: Mit Schleppschuh- und Schlitzverteilern hat man wieder Energie in die Erde gepresst. Jedes dieser Felder ist ein Motor, dessen Tank immer wieder vollgepumpt werden muss, damit er weitermacht. Nicht einmal ein halbes Jahr brauchen diese Felder, um Pflanzen in die Höhe zu trimmen, höher als Hünen. Mais wird bis zu drei Meter hoch.

Für die Bauern scheint Mais immer noch heilbringend zu sein, obwohl Agrarpropheten schon vor Jahren einen Rückgang der Maisanbauflächen vorhersagten. Laut Proplanta, einem landwirtschaftlichen Informationsportal, wurde in Deutschland im vergangenen Jahr auf einer Fläche von 2.670.632 Hektar Mais angebaut.

Zweimillionensechshundertsiebzigtausendsechshundertzweiunddreißig, eine unfassbare Zahl. Fast drei Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bayerns Maisfläche war mehr als eine halbe Million Hektar groß. Körnermais, Silomais, Biogasmais – der Anbau ist profitabler als bei allen anderen Getreidesorten. Zumindest kann man davon ausgehen, dass die Landwirte nicht primär die Landschaft verschönern oder ihre Böden verwöhnen wollen, wenn sie Ende April Mais säen und die Felder dann mit Herbiziden behandeln.

Ein österreichischer Auktionator, der früher in der Agrarbranche tätig war, hat mir mal erzählt, dass diese chemischen Pflanzenschutzmittel oft gar nicht nötig wären und die Bauern sich viel Geld sparen könnten, wenn sie hin und wieder das Mikroklima auf ihren Feldern prüfen würden statt gleich zu spritzen. Aber sie vertrauten lieber der Chemie als den Messgeräten, sagte der Österreicher. Er habe dann die Geduld verloren. Heute versteigert er erfolgreich altes Kunsthandwerk und historische Uniformen.

Von Straßen und Wegen aus betrachtet wirken Maisfelder wie Mauern. Sie machen ganze Gegenden zum Labyrinth. Das ist noch der kulturellste Aspekt, der mir zum Maisfeld als Produkt unserer Kulturlandschaft einfällt. Die Kulturlandschaft und die Landeskultur haben sich über Jahrhunderte entwickelt. Mit dem Mais, dem geldsegenspendenden Ackergiganten aus Lateinamerika, sind wir nun fraglos bei einem Extrem angelangt. Auch wenn er das Land prägt wie kaum eine andere Kulturpflanze, ist er kein echter Bayer, sondern ein Neophyt, eine eingeführte Pflanze aus Lateinamerika.

Mit seinem irrwitzig schnellen Wachstum in eine ebenso irrwitzige Höhe für ein Getreide symbolisiert er den eklatanten Wandel – manche sprechen von Niedergang – in der Landwirtschaft, ausgerechnet in der Branche, die Landeskultur maß- und stilgebend verantwortete. Denn ohne Bauern wären Bayerns Fluren unkultiviert. Andererseits fragt sich, wie profitabel Kultur unbedingt sein muss. Und spielen die Böden auf die Dauer mit? Das Absurde am Mais ist, dass er auf landwirtschaftlichen Flächen oft zur Energieerzeugung produziert wird und gleichzeitig Soja aus Südamerika importiert werden muss, um heimische Viehbestände zu füttern.

Das menschliche Auge gewöhnt sich an die Monotonie der Maisfeldschluchten, doch schöner werden sie dadurch auch nicht. Für Hasen sind Maisfelder tödliche Fallen und somit eine wahre Landeskulturkatastrophe. Wo sie dem Fuchs auf der Wiese locker entkommen, indem sie zackig ein paar Haken schlagen, hat er sie im Maisfeld schnell eingeholt. Ob Hasen, Rad- oder Autofahrer, wir sollten die Zeit und den Blick in die Ferne noch genießen, solange der Mais kurz ist wie Klee.

Andererseits, wenn wir das ganze Jahr immer den gleichen unverstellten Blick hätten, wer weiß, ob wir ihn dann zu schätzen wüssten. So gesehen ist der Mais gar nicht mehr wegzudenken. Also dann: wachsen! Und zwar schnell!

Rudolf Neumaier
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St. Georgs Bauchumfang oder die Eiche von Marterberg bei Vilshofen

Die monumentale Stieleiche von Marterberg bei Vilshofen – ein wahrer Gigant am Waldrand: Mit einer Höhe von 26 Meter und einem gewaltigen Kronenumfang von fast 100 Metern erblickt man die riesige Eiche schon von Weitem. Kommt man näher, zieht der massiv wirkende und rund sieben Meter Umfang messende Stamm die Blicke auf sich. Seine leichte Drehwüchsigkeit lässt ihn noch uriger erscheinen. Kurz: ein Monument von einer Eiche, das die durchaus gut gewachsenen Waldbäume in seiner Nachbarschaft zu Statisten degradiert. Unwillkürlich drängt sich mir die Frage nach dem Alter auf. Und ja, es fällt mir schwer, nicht den Verlockungen der magischen Zahl 1000 zu erliegen. Im Geiste sehe ich Kreuzritterheere und Pilger an der Eiche vorbei ins Heilige Land ziehen.

Genug geträumt: Tatsächlich dürfte die St. Georgseiche ganze 350 Jahre alt sein. Woher man das weiß? Nun genau genommen weiß man es eben nicht. Niemand hat den Zeitpunkt der Pflanzung dokumentiert und die übliche Altersbestimmung durch Zählen der Jahresringe scheidet bei dieser Eiche natürlich genauso aus wie bei fast allen anderen wirklich alten Eichen oder Linden. Der Grund: Die Stämme sind hohl. So beständig Eichenholz auch sein mag: Nach spätesten 300 Jahren, oft schon viel früher, beginnen Mikroorganismen, Pilze und später auch Insekten, das harte Kernholz von innen her abzubauen. Für den Baum ist das nicht weiter schlimm. Seine lebenden Zellen befinden sich nur in der äußeren Holzschicht. Bäume können mit völlig ausgehöhlten Stämmen noch jahrhundertelang leben. Ja, nicht einmal die Standsicherheit muss gefährdet sein: Hohlzylinder sind nach dem Eulerschen Gesetz der Biegung massiven Zylindern sogar überlegen. Nur Jahresringe kann man bei den wahren Methusalems nicht mehr auszählen.

Also muss man ein wenig Detektiv spielen und kombinieren: Im Falle der Eiche von Marterberg sieht das so aus: 1990 hat der Baumforscher H. J. Fröhlich einen Stammumfang von 6,40 Meter gemessen. 2017 betrug der Umfang genau sieben Meter. Also 60 Zentimeter Zuwachs in 27 Jahren machen nach Adam Riese knapp über zwei Zentimeter pro Jahr oder eben sieben Meter in 350 Jahren.

Und was, wenn die Eiche früher viel schneller oder viel langsamer gewachsen ist? Ganz einfach, dann liegen wir mit unserer Rechnung voll daneben und werden nie erfahren, wie alt die St. Georgseiche wirklich ist. Aber ehrlich gesagt, halte ich das für recht unwahrscheinlich. Denn zwei Zentimeter jährlicher Zuwachs an Stammumfang ist für eine gesunde Eiche auf gutem Boden der zu erwartende normale Wert. Genau wie ihn Forstbotaniker bei vielen Vergleichsmessungen an vielen Stieleichen immer wieder festgestellt haben.

Von daher hat die St. Georgseiche sicher keine Kreuzritter gesehen und natürlich auch nicht den Heiligen Georg getroffen – der legendäre Drachentöter lebte schon vor rund 1700 Jahren und wahrscheinlich eher in der heutigen Türkei.

Aber die mächtige Eiche war schon da, als 1715 in Frankreich König Ludwig, 14. starb und war schon alt, als im Jahr 1809, nur einen Tagesmarsch entfernt, Napoleon die österreichische Armee bei Landshut vernichtend schlug. Und so werde ich doch ehrfürchtig, wenn ich mich beim Fotografieren unter der Eiche wie ein Zwerg fühle und mir vorstelle, dass sie in 200 oder 300 Jahren vielleicht noch immer ihre markanten Äste in den abendlichen Aprilhimmel reckt.

Artikel und Foto: Jürgen Schuller

Wenn Sie Jürgen Schullers Baumgeschichten aus der Oberpfalz lesen möchten, dann folgen Sie diesem Link:  https://www.baumgeschichten.net/

 

 

Klimaschutz aus der Region

2020 war das wärmste Jahr, das es in Europa je gegeben hat. Im Vergleich zu den letzten 40 Jahren waren es 1,6 Grad über dem Durchschnitt. Jetzt könnte man sagen: „Aber der Sommer war ja gar nicht so heiß wie 2018 oder 2019!“ das nicht, aber dafür der Winter. Der Winter 2019/20 war ganze 3,4 Grad wärmer als normal. Und es wird immer wärmer. Also: Höchste Zeit etwas fürs Klima zu tun!

Was tut sich in Niederbayern beim Thema Klimaschutz? Viele Menschen haben den Eindruck, dass da zu wenig passiert. Deshalb schließen Sie sich zu Bürgerbegehren zusammen: in ganz Deutschland, in ganz Bayern, in ganz Niederbayern. Ihr Ziel: Bis 2035 Klimaneutral. Wie soll das gehen? Die Initiative „German Zero“ macht dazu ganz konkrete Vorschläge und hat dazu auch einen Klimarechner entwickelt. Er zeigt auf, was in welchem Ausmaß getan werden müsste, was es kostet, welche Arbeitsplatz-Effekte das alles erzielen könnte. Klimastadtpläne gliedern sich in vier große Bereiche: Strom. Gebäude und Wärme, Verkehr und Industrie. Es geht erneuerbare Energien, eine Verkehrswende weg von der einseitigen Bevorzugung des PKWs, Gebäudedämmung oder klimaeffizientere Geschäfts- und Produktionsprozesse.

Auch in Landshut hat sich, neben vielen weiteren deutschen Städten, deshalb ein Aktionsbündnis engagierter Klimabewegter gebildet, das dazu ein Bürgerbegehren auf den Weg bringen will. Ein möglichst breit unterstützter Klimaaktionsplan soll die Stadtpolitik mit ganz konkreten Einzelmaßnahmen dazu bewegen, in 10 Jahren rechnerisch klimaneutral zu werden. Stichworte hierfür sind unter anderen Fahrrad-Stadt, Bio-Stadt, ein eng getakteter kostengünstiger ÖPNV oder eine ökologischere und klimaverträglichere Bauleitplanung.

Wie sieht es auf dem Land aus? Auch in den Landkreisen engagieren sich die Menschen. Zum Beispiel im Landkreis Landshut in Altdorf, Adlkofen, Buch am Erlbach, Kumhausen, Wurmsham, und, und, und.

Eine parallele Öffentlichkeitsarbeit wirbt mit Aktionsständen vor Ort und im Netz dafür. Dazu gehören auch analoge Postkarten, die zum Um-Denken anregen sollen. Alle, die mitmachen hoffen, die Zukunft der Kinder und Enkelkinder retten zu können und unsere Lebenswelten noch lebenswerter zu machen.

Helmut Wartner
Foto: Helmut Wartner

https://klimaplan-landshut.de/klimastadtplan/

https://www.germanzero.de/

Maria, Patrona Bavariae

Bei fast allen Bräuchen und Traditionen, die wir heute so liebgewonnen haben, hatte irgendwann mal die Politik ihre Finger im Spiel: Bei der Volksmusik war es so, bei der Tracht auch, beim Oktoberfest sowieso und natürlich beim Marienkult.

Maximilian I. war es, der damit angefangen hat. Maria musste dafür herhalten, dass Maximilians Soldaten am 8. November 1620 ein militärisches Wunder vollbrachten und den als uneinnehmbar geltenden Weißen Berg erstürmt hatten. Das war der Anfang einer der größten Katastrophen Mitteleuropas: der Dreißigjährige Krieg. Ein bisschen später, 1638, wandte sich Maximilian in höchster Not wieder an die Mutter Gottes: Wenn München und Landshut nicht von den Schweden dem Erdboden gleichgemacht werden würden, dann würde er aus Dankbarkeit am Münchner Marienplatz eine elf Meter hohe Mariensäule errichten lassen; gesagt getan. Ab jetzt war Maria endgültig die Schutzheilige Bayerns, die Volksheilige, die Patrona Bavariae. Wie Pilze schossen seitdem die Marienwallfahrten aus dem Boden und es gab bald fast kein Haus, in dem nicht irgendwo eine kleine Madonna stand.

Am 1. Mai wird das Hochfest der Patrona Bavariae gefeiert. Dass das so ist, liegt wieder am Krieg: 1916 war es wieder so weit. Eigentlich war der Krieg längst verloren, bloß eingestehen wollte man es sich nicht. Also sollte es Maria richten. Wer, wenn nicht sie? Verzweifelt wandte sich Ludwig III. an Papst Benedikt XV. Ein Wunder musste her! Und der Papst? Er ernannte Maria hochoffiziell zur Hauptpatronin Bayerns. Seitdem feiern wir am 1. Mai jedes Jahr das Hochfest der Patrona Bavariae.

Was ist heute vom Marienkult übrig? Da sind die vielen Kirchen und Kapellen, die Maria gewidmet sind, die Marianische Männerkongregation, Maiandachten, Marienlieder und der Name selbst. Und: In Bayern dürfen nicht nur Frauen Maria heißen, auch Männer dürfen das. In Gegenden, in denen die Mehrheit der Menschen katholisch ist, dürfen die Eltern ihren Söhnen den Beinamen Maria geben.

Christoph Goldstein
Foto: https://pixabay.com/de/photos/statue-gold-mariens%C3%A4ule-m%C3%BCnchen-4346975/

Kunst und Krempel im Kloster Metten

Der Titel sagt bereits alles: Es geht um Kultur, und zwar in Niederbayern. Anfang Juni 2021 ist der Bayerische Rundfunk wieder einmal im Festsaal des traditionsreichen Kloster Metten zu Gast: Aufgezeichnet wird „Kunst + Krempel“, die älteste Antiquitätensendung Deutschlands. Weil sie so beliebt ist, flimmert sie nach 35 Jahren noch immer über die Bildschirme und hat dadurch selbst schon Kultstatus erreicht. Tausende interessierte Menschen freuen sich jeden Samstag im Vorabendprogramm des Bayerischen Fernsehens auf die Gegenstände und Artefakte, welche von ausgewiesenen Sachkundigen begutachtet, beschrieben und bewertet werden. Dies ist aufschlussreich und für die Gäste, die mit Ihren Antiquitäten zur Teilnahme eingeladen werden, ebenso attraktiv. Denn wer aus der Bevölkerung gelangt schon mal am Samstag zu einer Sendezeit, die hohe Einschaltquoten verspricht, ins Fernsehen? Interessierte können sich noch bis zum 3. Mai beim Bayerischen Rundfunk bewerben.

Der Sendetitel ist Programm, denn in der Tat ist die Bandbreite des Mitgebrachten und Gezeigten groß: Skulpturen, Bilder, Uhren, Spielzeug, Musikinstrumente, Geschirr, Gläser, Möbel etc. Und manchmal ist auch die Überraschung groß. So, um nur ein Beispiel zu nennen, bei dem als verschollen gegoltenen Gemälde „Rathausplatz Breslau“ des Romantikers Eduard Gaertner. Es hängt mittlerweile im Kunstforum „Ostdeutsche Galerie“ in Regensburg. Wert: 500.000,- €. Aber neben Kunst darf es eben auch Krempel sein, der den Reiz dieser Sendereihe ausmacht. Was man gemeinhin und manchmal vielleicht vorschnell als Trödel, Kram oder Plunder bezeichnen wollte, muss deshalb noch lange nicht minderwertig sein. Außerdem besitzen solche Dinge vielfach ideellen Wert, weil in den meisten Fällen Erinnerungen daran hängen, die ihre Eigentümerinnen, ihre Besitzer nicht missen möchten. „Diese Schatulle hat meiner Urgroßmutter gehört; mein Großvater hat sie mir geschenkt.“ – „Dieses Teeservice konnte ich auf dem Flohmarkt erwerben. Es erinnert mich an meine Tante, die das gleiche besaß, und ich habe noch immer den Duft ihres besonderen Gebäcks in der Nase, das sie bei ihren Einladungen zum Tee reichte.“ – Solche und ähnliche Geschichten hört man nicht selten, und sie zeigen uns, dass das Leben nicht nur aus Materie bzw. Sachkulturgütern besteht. Nehmen wir zu Beispiel eine Geige. Im Kulturjargon handelt es sich nüchtern betrachtet um ein Objekt, das der Sachkultur zugeordnet wird. Aber man kann ihr die schönsten Klänge und Melodien entlocken – Musik eben. Sie wiederum zählt man zur immateriellen Kultur, die uns in all ihren Facetten täglich umgibt: Sprache, Lieder, Geschichten, Gedichte, Rituale, Feste, Gebete. Damit wieder zurück zum Kloster Metten – ein Ort mit Geschichte, des Glaubens, der Kontemplation, der Traditionen, der Bildung, des Gesprächs, aber auch der Kunst und Architektur. Hier kann selbst der sogenannte Krempel in würdevollem Rahmen präsentiert werden. Es ist lediglich eine Sache der Inszenierung, und darauf versteht man sich beim Bayerischen Rundfunk.

 

Maximilian Seefelder
Foto: Ralf Wilschewski

Wird die Kultur ausgebremst?

Die Süddeutsche Zeitung hat am 20. April über eine geheime Beschlussvorlage des neuen Infektionsschutzgesetzes des Bundes berichtet.[1] Darin kommt auch die Kultur vor; aber sie kommt nicht gut weg; überhaupt nicht gut.

Veranstaltungen sind anscheinend nur möglich, wenn die Inzidenz 14 Tage unter 100 liegt. Na gut, denkt man sich, aber jetzt kommt der Hammer: Open-Air ist nur erlaubt, wenn die Inzidenz 28 Tage unter 50 liegt. Und selbst dann dürfen nur 50 Menschen kommen. Ein Skandal, ein Schlag ins Gesicht, könnte man jetzt sagen. Waren es nicht die Künstler, die letztes Jahr mit die besten Hygienekonzepte ausgearbeitet hatten?

Schimpfen, jammern und klagen bringt jetzt gar nichts. Eine andere Frage ist doch viel interessanter. Wie kann es sein, dass die Kultur immer zuletzt kommt? Und woran liegt das eigentlich?

Künstler/innen sind meistens schlechte Verhandlungspartner; schon zum Beispiel bei Gagen-Verhandlungen merkt man das. Nicht umsonst haben viele bekannte Künstler/innen auch Manager, die sie vertreten, die für sie sprechen und die für sie verhandeln. Wer aber vertritt die 99,9% aller Künstler/innen, die keinen Manager haben? Künstler/innen brauchen, wie die Wirtschaft das ja auch hat, starke Verbände und Vereinigungen, die ihre Interessen vertreten. Ganz einfach gesagt: Künstler/Innen brauchen Lobbyisten!

Natürlich gibt es nicht „den Künstler“ oder „die Künstlerin“ genauso wenig wie es „die Politik“ gibt, über die man immer gerne schimpft. Es gibt Musik und bildende Kunst, es gibt Theater und Kino etc.; und es gibt all die, die zwar nicht auf der Bühne stehen, ohne die es aber gar keine Bühne gäbe: Licht, Ton, Aufbau, Organisation.

Da ist aber noch ein Problem: Künstler/innen sind Einzelkämpfer. Nur ein Bruchteil von ihnen ist in Verbänden organisiert. Außerdem hat jede Kultursparte ihren eigenen Verband. Ist die Zeit nicht reif für einen Dachverband, der wirklich Gewicht hat? Die Kultur braucht Vertreter/innen, die den Weg des Diskurses gehen, Politiker/innen nerven und überzeugen. So wie das TUI, Adidas&Co auch gemacht haben. TUI und Adidas stehen zwar nicht, so wie die Kultur in Bayern, in der Verfassung, aber sie haben knallharte Lobbyarbeit betrieben. Sie haben das gemacht, was die Künstler/innen nicht gemacht haben.

In den 1960er Jahren hat ein großer Künstler im Alleingang den Abriss der Carnegie-Hall in New York verhindert. Es war Isaac Stern. Die Carnegie Hall, das ist für klassische Musiker das, was Mekka für die Muslime und der Petersdom für die Christen ist. Und Isaac Stern war damals der bekannteste Geiger Amerikas, dessen Einfluss bis ins Weiße Haus reichte. Wo aber sind unsere bekannten, großen Künstler? Wo ist ihr Einfluss? Wo sind ihre Beziehungen und ihre Netzwerke, wenn es darauf ankommt? Wo sind die Isaac Sterns unserer Zeit? Vor Gericht zu ziehen, wie es Gerhaher&Co gemacht haben, bringt gar nichts. Aber das hat Moritz Eggert ja bereits vor Monaten klug beschrieben.[2]

Was die Kultur braucht, das ist knallharte Lobbyarbeit; von Verbänden und großen Künstlern – und zwar schnell!

[1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-corona-regeln-kultur-aufregung-1.5269222

[2] https://blogs.nmz.de/badblog/2021/02/25/standhaftigkeit-oder-aufstehen-offener-brief-an-aufstehen-fuer-die-kunst/

Christoph Goldstein
Foto: https://pixabay.com/de/photos/notbremse-zug-gefahr-2111981/