Der Mohr muss weg. Muss er wirklich?
Der Mord an George Floyd und die Black Lives Matter-Bewegung haben eine Menge Menschen dazu gebracht, über unsere Gesellschaft nachzudenken, über Rassismus und Diskriminierung. Viele sind überzeugt, der Mohr im Stadtwappen, der Mohr im Hemd, das Mohrengässchen, die Mohrenapotheke, all das hat keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft. Im ganzen Land knöpfen sich Aktivisten gerade den Mohr vor. Haben sie Recht?
Vor einiger Zeit hat eine amerikanische Streaming Plattform den Film „Vom Winde verweht“ aus ihrem Programm gestrichen. Die Begründung: Rassismus. Keine Frage, „Vom Winde verweht“ ist rassistisch. Aber verschwindet der Film deswegen? Nein! Der Film verschwindet nicht aus dem Internet und Rassismus nicht aus unserer Gesellschaft, bloß wegen eines Verbots. Was kann man tun?
Einige Menschen sind auf die Idee gekommen, man könnte dem Film doch einfach einen warnenden Vorspann hinzufügen und die Sache sei erledigt. So könnte man es ja auch mit dem Stadtwappen, dem Gässchen und dem Mohr im Hemd machen.
Darf man es sich so einfach machen? Und: Wo fängt man an, wo hört man auf? Müsste man dann nicht auch vor Shakespeares „Othello, der Mohr von Venedig“ warnen? Oder vor Kant, der in seiner „Physischen Geographie“ von der Überlegenheit der weißen Rasse schreibt? Oder vor Luthers Feindseligkeit gegenüber Juden? Müssten wir nicht auch vor Goethes Faust warnen, weil sich die Hauptfigur am 14-jährigen Gretchen vergeht? Müsste man nicht auch vor jedem T-Shirt warnen, das in den Textilfabriken Asiens hergestellt wird, in denen Menschen wie Sklaven schuften? Oder vor Apple, VW und BMW, die in China uigurische Zwangsarbeiter beschäftigt haben? – Wo anfangen, wo aufhören?
Verbannt man das M-Wort aus dem Wortschatz, bleibt die Wurzel des Problems unberührt. Sigmund Freud und Max Weber haben schon vor mehr als 100 Jahren beschrieben, dass nicht allein Tradition, Sprache und Kultur, sondern auch die Feindseligkeit gegen Minderheiten eine Gesellschaft zusammenschweißen. Die Gesellschaft bringt beständig neue Ausgrenzungsmuster hervor. Alte vergehen, neue entstehen. Die einzige Handhabe, die wir gegen diese Muster haben heißt Bildung. Erst ein gebildetes Bewusstsein kann die Welt und die Menschen nicht nur von seinem eigenen Standpunkt aus sehen, sondern sich in andere hineinversetzen. Bildung führt den Menschen über das hinaus, was er unmittelbar weiß und erfährt. Bildung, das bedeutet auch, etwas anderes ohne eigennütziges Interesse gelten zu lassen und in Gebieten heimisch zu werden, die einem vorher fremd waren, kurz: Zu lernen, im Fremden das Eigene erkennen zu können. Ganz einfach gesagt: Erkennen zu können, dass ein jeder Mensch nicht mehr oder weniger wert als ein anderer ist.
Christoph Goldstein
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Niederbayern – Land der Tauben
Wuschelige Lockentauben, graziöse Perückentauben, schneeweiße Luzerner Tauben, der Aidenbacher Taubenmarkt ist ein Paradies für Taubenzüchter. Hier trifft sich Jung und Alt, um zu kaufen, zu tauschen und zu fachsimpeln; seit über 100 Jahren, jeden Sonntag.
Tauben zu halten, das war immer schon etwas zum Herzeigen, etwas zum Auftrumpfen – und natürlich zum Essen. Wer Tauben hielt, wer sonntags gebratene Taube servieren konnte, der war etwas. Früher waren es die Adeligen, später die reichen Bauern rund um Straubing und Dingolfing, die es sich leisten konnten, Tauben zu halten. Kein Wunder, denn allein ein Taubenpaar verputzt im Jahr mindestens 100kg Samen, Körner und Hülsenfrüchte.
Niemand auf dem Hof hatte es so gut wie die Tauben. Richtige Paläste mit Türmchen, Wetterfahnen, Fensterläden und Balkonen, errichteten die Bauern inmitten ihres Hofs, gleich neben Hundehütte, Brunnen und Misthaufen.
Aber die Taube verschwindet aus Niederbayern, nicht laut, sondern ganz leise und allmählich, ohne Protest. In den meisten Höfen sind Schlag oder Kobel verwaist. Oft mussten sie den Traktoren und Mähdreschern weichen. Und was früher des Bauern ganzer Stolz war, der Taubenkobel, das ist heute der BMW.
Warum der ganze Rummel um die Taube? Wo dem Züchter beim Anblick einer langbeinigen, eleganten Malteser Taube das Herz höher schlägt, läuft dem Genießer bei einer zarten Hubbeltaube das Wasser im Mund zusammen. Aber allein das ist es nicht. Schon seit vielen tausend Jahren, seit den alten Ägyptern, sind die Tauben treue Begleiter des Menschen und lange haben sie auf der ganzen Welt seine Briefe in sagenhafter Geschwindigkeit hin und her geflogen. Als Zeichen des Friedens und des Heiligen Geists flattert die Taube durch die ganze Bibel, als Begleiterin der Venus steht sie für Liebe und Treue.
Die Taube gehört zu unserer Kultur, seit Jahrtausenden. Lange wurde sie in Niederbayern von den Bauern hofiert. Dann hat sie die Industrialisierung der Landwirtschaft von vielen Höfen vertrieben. Den Züchtern fehlt der Nachwuchs. Tauben sind nicht cool. Dazu kommen immer kompliziertere Vorschriften, die den Züchtern in den letzten Jahren das Leben schwer machen.
Sind Sie neugierig geworden? Dann besuchen Sie den Aidenbacher Taubenmarkt oder setzen Sie sich aufs Fahrrad! Im Landkreis Dingolfing-Landau gibt es seit einigen Jahren zwei verschiedene Radtouren, die an einigen der schönsten Taubenkobel Niederbayerns vorbeiführen.
https://www.ferienland-dingolfing-landau.de/natur-entdecken/radtouren/alle-radtouren/
Christoph Goldstein
Foto: Christian Melis
KULTURmobil 2020 – überall Masken
Sommer ist KULTURmobil-Zeit! Auch diesen Sommer wird KULTURmobil wieder kreuz und quer durch ganz Niederbayern reisen. Für Kinder gibt es am Nachmittag um 17:00 Uhr spannende Märchen von und mit „Theater Maskara“.
Abends um 20:00 Uhr geht es um Geld und um Liebe: Die Komödie „Der Geizige“ von Molière handelt von einem Vater, der so von Gier, Geiz und Geld besessen ist, dass er dafür sogar das Glück seiner Kinder aufs Spiel setzt. Schaffen es seine Kinder ihn zu überlisten?
Dieses Jahr unternimmt KULTURmobil auch eine kleine Zeitreise; und zwar ins 17. Jahrhundert. Zu dieser Zeit zogen Schauspieltruppen durch ganz Europa. Sie spielten überall, wo es eben ging: auf Marktplätzen, Jahrmärkten, in Theatern, und, und, und. Im Gepäck hatten sie lustige und kurzweilige Theaterstücke, die bis auf eine lose Handlung, vollkommen improvisiert waren. In ihren Stücken kamen immer dieselben Charaktere vor. Jeder kannte sie. Die Menschen im Publikum freuten sich schon auf den tollpatschigen „Arlecchino“ oder den „Dottore“, den schwatzhaften Gelehrten. Damit der „Arlecchino“ noch tollpatschiger wirkte und der „Dottore“ noch lächerlicher, trugen die Schauspieler Masken. Diese Form des Theaters nannte man damals „commedia dell’arte“. Molières Komödien sind eine Art französische „commedia dell’arte“. Die Mimik ersetzte die Masken und statt einer einfachen, improvisierten Handlunge gab es einen verbindlichen Text.
Auch wegen Corona kehrt KULTURmobil dieses Jahr auf der Bühne ganz zu den Masken zurück. Die Schauspieler, die abends Molières „Geizigen“ aufführen, werden durchsichtige Visiere, sogenannte „face shields“, tragen. Am Anfang der Proben waren sie als Schutz für die Schauspieler gedacht. Nun sind sie Teil der Inszenierung, ähnlich wie vor 300 Jahren bei der „commedia dell’arte“.
Die „commedia dell’arte“ ist auch das Vorbild der Schauspieler von „Theater Maskara“. Es wird immer nur ein Schauspieler auf der Bühne sein. Und dieser schlüpft mit Hilfe von selbstgebastelten, kunstvollen Masken in die unterschiedlichsten Rollen: vom König über den Auerochsen bis hin zum Teufel mit den drei goldenen Haaren.
Tourneeplan und viele weitere Informationen unter www.kulturmobil.de
Christoph Goldstein
Foto: Sabine Bäter
Der Sandmann – verdrängt vom Putzmittel
Heute kennen wir den Sandmann nur noch als kleines, lustiges, rührendes Märchenonkel-Männlein aus dem Fernsehen. Daran ist Hans Christian Andersen schuld. In seinem Märchen besucht der Sandmann Ole Augenschließer ganz leise und sachte auf Söckchen die Kinderzimmer und bringt braven Kindern herrliche Träume.
So gar nicht traumhaft war der Beruf des Sandmanns. Heute ist er, dank Andersen und der chemischen Reinigungsindustrie vergessen. Früher, als es noch keine Scheuermittel gab und Wasser zu kostbar war um damit den Boden zu putzen, da putzte und scheuerte man mit Sand. Überall wo es schmutzig war, hat man einfach so lange mit Sand herumgerubbelt, bis es sauber war. Selbst das Scheuermittel ATA, das es vor genau 100 Jahren zum ersten Mal zu kaufen gab, bestand eigentlich nur aus Sand und Soda. Bis dahin mussten die Menschen sich mit Sand begnügen. Allein in Stuttgart verbrauchten scheuerwütige Menschen im Jahr 1860 drei Millionen Kilo Sand.
Aber wo kam dieser viele Sand her? Es gab Männer, Frauen und Kinder, die überall, wo es nur ging, Löcher gruben und Sand mitnahmen. Dann musste der Sand gehackt, gesiebt, gereinigt und gemahlen werden, bis er ganz fein und weiß war. Die Hände waren rot, die Augen brannten, bald war die Lunge voller Sand. Aber was blieb den Menschen übrig? Von irgendetwas mussten sie ja leben. Mit dem Sand im Gepäck zogen sie dann durch die Dörfer und Städte und riefen:
„Sand, Sand, Sand, Scheuer, weißer stummer Sand. Ham de Kinder in de Stuben gschissn, wird ne handvoll druff geschmissen. Sand, Sand, Sand.“
Im Lauf des 20. Jahrhunderts hat dann die chemische Reinigungsindustrie den Sandmännern die Arbeit abgenommen. Heute erinnert nur noch das eingängige Kinderlied „Der Sandmann ist da“ an den furchtbaren Beruf des Sandmanns. Das Thema des Liedchens ist nämlich nicht das süße, knuddelige, kleine Sandmännchen aus dem Kinderkanal sondern die aufreibende Arbeit der Sandmänner.
Christoph Goldstein
CC BY-SA 3.0
Neues Landschaftsgefühl dank Corona
Zur Kultur gehört auch die Landschaft. Oft als Kultur-landschaft bezeichnet, obwohl das eigentlich ein weißer Schimmel ist: Landschaft ist von Menschen gedacht und gemacht – eine Kopfgeburt. Das zeigt schon die Silbe -schaft; sie bedeutet: vom Menschen gemacht und geschaffen. Kultur-landschaft und ihr Gegenpart, die Natur-landschaft, sind gar nicht so leicht voneinander abzugrenzen. Der menschliche Einfluss auf die Natur ist oft nicht bekannt oder nicht mehr sichtbar.
Mitte März mussten Wirtschaft, Kultur, öffentliches Leben und Konsum eine Vollbremsung hinlegen. Draußen war es sonnig und warm und so haben sehr viele Menschen Gelegenheit gehabt, ihrer unmittelbaren Umgebung neu zu begegnen. Die Luft war klarer und gesünder, Flugzeuge und Autoverkehr haben geschwiegen. Die Vogelwelt aber hat so vernehmlich und fröhlich gezwitschert und gebalzt wie angeblich seit Langem nicht mehr. Oder wie es Bernhard Setzwein im vor wenigen Wochen erschienenen Tagebuch „Das gelbe Tagwerk“ ausdrückt, „Da werden eure Ohren Augen machen!“ Haben wir die Vögel bisher einfach überhört?
Der Gründungsdirektor des Naturkundemuseums Bayern, Michael John Gorman, ruft gerade alle im Lande dazu auf, für das Projekt „Dawn Chorus“ möglichst viele balzende Vogelstimmenaufnahmen mit dem Handy aufzunehmen und an die entsprechende Plattform zu schicken (https://dawn-chorus.org/mitmachen/). Dank einer möglichst breiten bürgerschaftlichen Beteiligung – neudeutsch „Citizen-Science-Project“ genannt – sollen aktuelle Daten für die Forschung gesammelt und die Öffentlichkeit für das dramatische Artensterben sensibilisiert werden. „Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang hört man das schönste Konzert, das war auch für mich ein neues Erlebnis“, sagt er. Auch seine kleinen Kinder sind begeistert, als kleine Forscher auf Stimmenfang zu gehen.
Und so kommt es vielleicht auch zu einem Perspektiven- und Lebensstilwechsel; oder gar zu einem stärkeren Engagement für die Erhaltung der Reste einer Kulturlandschaft, die wir so gerne als unsere Heimat bezeichnen.
Helmut Wartner
Foto: Johannes Selmansberger
Kleine Geschichte der Verschwörungstheorie
In jeder Verschwörungstheorie schlummert auch etwas Gutes: Die Tugend, Dinge kritisch zu hinterfragen. Und das ist etwas Positives, Verschwörungstheorie hin oder her.
Wenn man aber nur auf der Suche nach schnellen Antworten ist, dann sind Verschwörungstheorien gefährlich. Dann kann es leicht passieren, dass der Glaube an Verschwörungstheorien zu einem verzweifelten Versuch wird, die immer komplizierter werdende Welt irgendwie zu erklären.
Verschwörungstheorien ziehen sich durch die Geschichte der Menschheit wie ein roter Faden: Im Mittelalter hat man den Juden die Pest in die Schuhe geschoben. Angeblich hätten sie Brunnen vergiftet. Erst viel später hat man herausgefunden, dass Flöhe die Pest übertragen haben. Als das Aids-Virus um die Welt ging, waren sich viele Menschen sicher, die Amerikaner hätten das Virus in einem Geheimlabor gezüchtet. Irgendwie kommt uns das doch bekannt vor! Versuchen im Moment nicht auch Chinesen und Amerikaner sich gegenseitig die Schuld an der Corona Pandemie zuzuschieben?
Der Mensch ist ein Sinnsucher. Ungewissheit hält er nicht aus. Und wenn er aus seiner scheinbaren Sicherheit herausgerissen wird, wird er ärgerlich. Deswegen sind Verschwörungstheorien gerade dann beliebt, wenn es drunter und drüber geht.
Ganz früher hat der Mensch Dinge, die er sich einfach nicht erklären konnte, auf die Götter geschoben. So hatte alles scheinbar seinen Sinn. Alles war geordnet. Dagegen haben schon die antiken Philosophen gewettert. Sie waren die ersten, die begonnen haben, kritisch zu hinterfragen. Viele von ihnen wurden wegen Gotteslästerung angeklagt, verbannt oder zum Tode verurteilt. Auch der christliche Gott musste immer wieder dann herhalten, wenn sich die Menschen etwas nicht erklären konnten.
In unserer Zeit werden Menschen oft vorschnell als Verschwörungstheoretiker bezeichnet. Oft nur, weil sie einfache Antworten von offizieller Seite kritisch hinterfragen. Dabei ist gerade das so wichtig! Ohne kritisches Nachfragen hätte niemand die offiziellen Begründungen für den Überfall auf Polen 1939, für den Eintritt der USA in den Vietnam-Krieg oder für den Irak-Krieg 2003 als Lügen entlarven können.
Wer also kritisch nachfragt, wer sich seine eigenen Gedanken macht, der ist noch lange kein Verschwörungstheoretiker. Nicht die kritische Frage, sondern die einfach Antwort sollte uns misstrauisch machen. Aber das hat Günter Eich schon 1959 gesagt, als er den Büchner-Preis bekommen hat. Was er da sagt, ist aktueller denn je:
„Das Verzwickte unserer Situation ist es, daß die Antworten da sind, bevor die Fragen gestellt werden, ja, daß viele uns wohlgesinnte Leute meinen, da es so gute Antworten gäbe, solle man auf die Fragen überhaupt verzichten. Man verzichtet also und die Antworten tummeln sich und wachsen kräftig heran. Sie läuten uns morgens schon wach, essen Vollkornbrot und atmen richtig, blasen Märsche, brennen Weihrauch und tragen rote und andersfarbige Fahnen. Nein, ich bin nicht auf Antworten aus, sie erregen mein Mißtrauen. Ich optiere für die Frage, für die Kritik […]“
Christoph Goldstein
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Lieder, die die Welt nicht braucht
Derzeit schlägt die Diskussion um das sogenannte Donau-Lied, besser bekannt durch seine Ansingzeile „Einst ging ich am Ufer der Donau entlang“, hohe Wellen. Man kann es von pubertierenden Pennälern, kasernierten Soldaten und angetrunkenen Bierzeltbesuchern hören. Dort wird es aber sonderbarerweise nicht nur von Männern gegrölt. Die ausgelassene Stimmung lässt Bedenken fallen oder erst gar nicht aufkommen, sodass auch Frauen in dieses Lied einstimmen, das ganz offensichtlich einen Vergewaltigungsakt besingt, nach dessen Vollzug sich der Täter aus dem Staub macht.
Die Ursprungsfassung stammt aus den 1830er-Jahren; sie ist harmlos-sentimental und handelt lediglich von einer verlassenen Liebe. Die derzeit diskutierte Donau-Liedvariante ist eine von mehreren Umdichtungen. Sie dürfte in den Kasernen des Ersten Weltkriegs entstanden sein.
Heutzutage, im freien Spiel der Kräfte, lässt sich ein Lied, und sei es noch so geschmacklos, nicht einfach verbieten. Zensur gibt es keine. Es gilt abzuwarten, was die initiierte Online-Petition bewirkt, wonach das Donau-Lied nicht mehr in Festzelten erklingen soll. Wie wird unsere Gesellschaft nach der Thematisierung der Geschichte damit umgehen?
Tatsache bleibt, dass eine Vergewaltigung, wenn auch nur eine fiktive wie im besagten Lied, nicht zu beschönigen ist. Und die Berufung auf „Volkslied- oder Traditionspflege“ ist abwegig.
Aus heutiger Sicht gibt es etliche Lieder, deren Pflege sich verbietet, weil sie zum Beispiel frauenfeindlich, politisch nicht korrekt oder schlichtweg überholt und altbacken sind. Unsere Gesellschaft wandelt sich eben, und mit ihr Ansichten, Verhaltensweisen, Moden, Bräuche und vieles mehr.
In einem bayerischen Ehestandslied mit dem Titel „Wenn i amoi heirat“ schildert der angehende Hochzeiter in fünf Strophen, wie er sich seine Traumfrau vorstellt: wohlhabend, sparsam, fügsam, fleißig und stets willig (4. Str.). Die zweite Strophe lautet:
„An Kaffee wenn‘s ma trinkat,
i schlagat’s maustot,
dafür kann’s ja essen
a schwarz Stückl Brot.
Den Zucker vernaschen,
s‘ Geld stehl’n aus da Tasch’n.
A so wenn sie’s machat mei Wei,
i jagat ‘s davo, und des glei.“
Der Typ Mann, der fiktiv aus diesem Lied spricht, erweist sich als autoritär, ausbeuterisch und gewalttätig. Vielleicht wird es diesen Typus immer geben. Aber sollte man deswegen derartige Geschlechter-Rollenbilder auch noch in Liedern bedienen? Und muss man wirklich darüber diskutieren, ob solche Lieder noch zeitgemäß sind?
Maximilian Seefelder
CC BY-NC-SA 2.0
Der „Brotjacklriegel“
Der Brotjacklriegel ist fast jedem ein Begriff: sei es als Ausflugsziel oder wegen dem riesigen Fernsehmast auf dem Gipfel. Bloß, wie kommt der Berg zu seinem kuriosen Namen?
Man erzählt sich, ein kleiner, bärtiger Mann – Der Jackl – hat einst ganz oben, am Gipfel, in einer Höhle als Einsiedler gehaust. In schlechten Zeiten hat er den Armen immer Brot gebracht. Aber niemand konnte sich erklären, wo er das Brot her nahm. Bald erzählte man sich: der Jackl, der müsse magische Kräfte haben! Als im Dreißigjährigen Krieg die Schweden durchs Land zogen, warteten die Armen vergebens auf den Jackl. Aber er blieb aus. Er weigerte sich, den Schweden Brot zu geben. Die Schweden wurden ärgerlich und wälzten einen schweren Felsbrocken vor seine Höhle. Als sie lachend ihres Weges gehen wollten, da gab es einen ohrenbetäubenden Donnerschlag und die Schweden wurden vom Jackl in Felsbrocken verwandelt. Die Felsbrocken liegen noch heute auf dem Gipfel. Der Jackl aber verhungerte qualvoll in seiner Höhle. Und nie mehr brachte er den Armen Brot. Man sagt, wenn man auf dem Gipfel steht, soll man ganz fest an den Brot-Jackl denken, der den Armen so viel Gutes getan hat.
Ob es den Brot-Jackl wirklich gegeben hat, das lässt sich nicht feststellen. Wie der Berg zu seinem Namen gekommen ist, das war wahrscheinlich ein akustisches Missverständnis. Und dazu war auch kein Donnerschlag nötig: 1806 wurde Bayern Königreich. Montgelas befahl seinen Beamten, das Königreich bis in den hintersten Winkel zu vermessen. Und so kamen sie auch am „Broaden Jagariegel“ vorbei. Leider haben die Münchner Beamten die „Waldler“ nicht so recht verstanden. Und so wurde, weil es mit dem Dialekt doch eine verzwickte Sache ist, aus dem „Broaden Jagariegel“ (hochdeutsch: „Breiter Jägerriegel“) der „Brotjacklriegel“. Und als „Brotjacklriegel“ ist der Berg seitdem auch auf jeder Karte verzeichnet.
Wegen der besonders schönen Aussicht, die man bei gutem Wetter vom Gipfel aus hat, wurde 1924 ein 27 Meter hoher Aussichtsturm errichtet. Auf mehreren Wanderwegen kann man den Gipfel erklimmen oder ihn auch einfach nur umrunden. Auf dem Gipfel steht seit den 1950er Jahren ein großer Rundfunk- und Fernsehturm. Er ist über 100 Meter hoch und man sieht ihn von weit her. Von dort aus werden sämtliche UKW-Frequenzen ausgestrahlt. Seit 2001 werden vom „Brotjacklriegel“-Sender auch die Signale für den digitalen Radioempfang (DAB) und seit 2006 die Signale für das digitale Fernsehen (DVB-T) ausgestrahlt.
Christoph Goldstein
Foto: Brigitte Grantner
Auf Sicht fahren – was bedeutet das eigentlich?
Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte der Mensch gar nicht anders, als auf Sicht zu fahren. Dann kam die Eisenbahn. Und auf einmal bewegte sich der Mensch so schnell, dass er es selbst nicht mehr kontrollieren konnte. Mit einem Zug kann man im Notfall ja auch nicht einfach mal so anhalten. Deswegen hat man Signale erfunden. Signale zeigen dem Lokführer an, dass die Strecke sicher ist und er sozusagen in den Blindflug gehen kann. Nur im Notfall, wenn die Strecke nicht sicher ist, zeigen die Signale dem Lockführer an, dass er auf Sicht fahren muss, also viel langsamer als normalerweise. Signale sind ein Versuch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren.
Vor der Corona-Krise mussten wir noch nicht auf Sicht fahren. Wir sind also im Blindflug gewesen; wie ein Lokführer, der darauf vertraut, dass irgendwer in einem Stellwerk schon die Signale richtig stellt. Aber wer sollte die Signale für uns stellen, die wir in eine ungewisse Zukunft hineinrasen? Schienen führen ja an ein Ziel. Sie setzen ein Ziel voraus. Aber woher sollten wir das Ziel kennen, das in der Zukunft auf uns wartet? In die Zukunft führen keine Schienen. Unser Signal war bis jetzt: „Es wird schon so weitergehen wie bisher.“ Ob sich darauf ein Lokführer verlassen würde?
Schienen steuern also auf ein Ziel zu. Die Natur aber kennt kein Ziel; außer das Ziel der Selbsterhaltung. Die Natur bewegt sich nicht geradlinig auf ein Ziel zu, sondern im Kreis. Die Natur ist ein unendlicher Kreislauf von Tag und Nacht, von Ebbe und Flut, von Geburt und Tod, usw. Das Ziel der Selbsterhaltung der Natur aber haben wir im Blindflug aus den Augen verloren. Im Rausch der Geschwindigkeit ging es uns fast nur noch um Rendite und Gewinn ermöglicht durch Ausbeutung von Mensch und Natur.
Wie bei jedem Rausch gibt es irgendwann ein Erwachen. Meistens brummt einem dann der Schädel und man fragt sich, warum in Gottes Namen, man so viel getrunken hat. Und vielleicht erinnern wir uns dann auch daran, dass wir auf der Erde nur zu Gast sind. Die Erde kommt auch gut ohne den Menschen aus, der Mensch aber nicht ohne sie.
CG
Creative Commons Zero – CC0
Die Ochsenau in Landshut oder das Kreuz mit der sogenannten Natur
Am östlichen Zipfel der Stadt Landshut, ganz nah beim Dorf Auloh, liegt die Ochsenau. Heute ist die Ochsenau ein Naturschutzgebiet. Früher grasten dort die Ochsen. Daher auch der Name. Auch der Name Auloh hat etwas mit Tieren zu tun. Und zwar mit Schweinen. Ursprünglich hieß es nämlich „Sauloh“. „Sau“ bedeutet: Hier wurde früher eine Menge Schweine gehalten. „loh“ bedeutet, dass dieses Gebiet früher nass und sumpfig gewesen ist. Kein Wunder, denn die Isar, die damals noch sehr wild war, trat ständig über ihre Ufer.
1880 mussten die Ochsen und einige Höfe einem Exerzierplatz für das Schwere-Reiter-Regiment der Max-II-Kaserne weichen. 1936 wurde die Schochkaserne gebaut. Aus der Ochsenau wurde ein Truppenübungsgelände. Nach dem 2. Weltkrieg nutzten die Amerikaner und später die Bundeswehr bis 1994 das Gelände. Durch all diese Nutzungen im Laufe der Jahrhunderte entstand eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt, die ihre Entstehung weitestgehend der Schafbeweidung verdankt. 1999 ließ die Stadt deshalb auch einen Pflege- und Entwicklungsplan samt Beweidungskonzept erstellen und 2001 wurde die Ochsenau Naturschutzgebiet.
Seit 2008 kümmern sich Gebietsbetreuer um die naturschutzfachlichen Vorgaben und Ziele, um der örtlichen Bevölkerung die verordneten Einschränkungen und den hohen naturschutzfachlichen Wert der scheinbar wertlosen Wiesen zu erläutern. Da die Bebauung von 20 Hektaren in der Ochsenau nach 20jähriger Schonzeit Teil des Deals zur Naturschutzgebiet-Ausweisung zwischen der Stadt und dem Bund Naturschutz waren, hat sich jetzt eine brisante politische Diskussion entzündet. Was ist wichtiger: eine satte Kapitalisierung des Baugrundes in Zeiten knapper Haushalte und der Bau einer zukunftsweisenden neuen Siedlung oder die unberührte weiterhin behutsam gepflegte „Natur“? Zumal inzwischen neueste botanisch-zoologische Erhebungen ergeben haben, dass sich deutschlandweit äußerst seltene Arten in der Ochsenau nachweisen lassen. Und deshalb der ursprünglich garantieren Bebauung Europa-, Bundes- und Landesrecht entgegensteht.
Seit letztem Jahr grasen in der Ochsenau auf Initiative des Landschaftspflegeverbandes Landshut vier ungarische Graurinder, die selber vom Aussterben bedroht sind. In einem zunächst für 2 Jahre geförderten Projekt der Regierung von Niederbayern soll erforscht werden, wie sich die Beweidung auf den Pflanzenbestand auswirkt und bei der Bevölkerung Verständnis und Interesse für derartige Beweidungsprojekte gefördert werden.
Früher waren Ochsen ein schmackhafte Nahrungsmittel, ihre wertvolle Haut wurde zur Lederherstellung verwendet und auch über die Nutzung der gewaltigen Hörner profitierte ein ganzer Handwerkerzweig von den Tieren. Vielleicht waren ja die 323 Ochsen, die während der Landshuter Hochzeit 1475 verspeist wurden, ungarische Graurinder. „Nix Gwies woas ma net „– wie man sagt.
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