Vom Heiligen Geist zum Plagegeist?

Taube in der Stadt

Über den Esstischen in den alten niederbayerischen Kuchln und Stuben schwebte zum Segen von Speis und Trank sowie zum Schutz der Tischgemeinschaft häufig der Heilige Geist. Das war eine geschnitzte, farbig gefasste Taube, eingerichtet in eine Glaskugel. Daher rührt die Bezeichnung „Eing’richtl“. Weil der Dampf der heißen Suppe an der gläsernen Heilig-Geist-Kugel kondensierte und zurücktropfte, sprach der bairisch-barocke Volksmund bildlich vom „Suppenprunzer“, der sich segensreich in die Suppenschüssel ergoss. Was hinter dieser erheiternden Benennung steckt, ist nichts anderes als die volksfromme Auslegung eines Bibelworts, wonach der Geist Gottes weht, wo er will. (Joh 2,3)

Die christliche Dreifaltigkeitslehre bezeichnet den Heiligen Geist als dritte göttliche Person nach Gottvater und Jesus Christus, dem Gottessohn. In der christlichen Kunst ebenso wie im religiösen Volksbrauch wird der Heilige Geist von der Taube symbolisiert. Sie steht u. a. für Friede, Sanftmut, Freude, Liebe und Treue. Letzteres wohl auch deswegen, weil Tauben in lebenslanger Monogamie leben. Aus alledem erklärt sich die Hochzeitstaube, die man am „schönsten Tage des Lebens“ so gern in die Lüfte entlässt.

Weit weniger geschätzt wird die Taube im Alltag vieler Großstädte. „Stadttauben“ genießen bei sogenannten „Taubenhassern“ als „Ratten der Lüfte“ und Plagegeister einen denkbar schlechten Ruf. Ihr gehäuftes Vorkommen führt zu Konflikten, weil sie Gebäude, Plätze und Restaurantterrassen verschmutzen. Vor allem sollen sie Krankheiten übertragen. Hingegen relativieren Taubenfreunde und „Taubenfütterer“ solche Aussagen. Denn nach vorherrschender medizinischer Meinung wird die Ansteckungsgefahr für den Menschen als sehr gering eingestuft. Die Denkmalpflege, die sich mit dem Thema Taubenmist auseinandersetzt, weiß mittlerweile aus Untersuchungen, dass seine „ätzenden“ Eigenschaften weitaus weniger aggressiv auf Gebäude einwirken als die Luftverschmutzung und das Streusalz des Winterdiensts.

Tatsächlich treten Haustauben aber in den Städten zum Unmut vieler Menschen in Schwärmen auf, insbesondere dort wo sie Futter finden. Nicht nur deshalb ist Taubenfüttern verboten und wird als Ordnungswidrigkeit sogar mit teilweise empfindlichen Bußgeldern geahndet. Vielmehr soll die weitere Ausbreitung der Tauben auf möglichst unterschiedliche Weise verhindert werden.

Aber wie so oft war es nicht allein die Natur, die zum Dilemma großstädtischer Taubenplagen führte. Schließlich wurden alle Haustauben vom Menschen zu vielerlei Zwecken von der wilden Felsentaube herausgezüchtet: als Brieftaube, Fleischtaube oder Modetaube mit unterschiedlichen Farben und Formen des Federkleids. Ihre verwilderten Nachkommen haben sich als „Stadttauben“ mit ihrer geringen Scheu vor Menschen wieder in deren Nähe angesiedelt. Städtische Strukturen mit hochgelegenen Balkonen, Mauernischen und Gebäudesimsen bieten ideale Brutplätze, die dem natürlichen Lebensraum der Felsentaube ähneln.

Man hat viele Versuche gestartet, um überhandnehmende Taubenpopulationen einzudämmen. Der Fang, der Einsatz von Raubvögeln, Entzug von Nistplätzen, das Verscheuchen oder die Abwehr mit Netzen und Taubenspikes erwiesen sich bisher als wenig wirksam. Aus tierschutzrechtlichen Gründen versagt sich das Vergiften; und der Abschuss ist nur in Ausnahmefällen erlaubt. Das „Leben mit Stadttauben“, wie ein Leitfaden der Landeshauptstadt München titelt, ist zu einer Herausforderung geworden, die auch andere deutsche Großstädte beschäftigt.

Eine Lösung zeichnet sich dennoch ab: Taubenhäuser. Die Tiere halten sich darin nicht nur nachts auf, sondern auch einen Großteil des Tages. Dort werden sie kontrolliert gefüttert und setzen ihren Kot ab, wodurch sich die Verschmutzung der Umgebung spürbar verringert. In den bereitgestellten Brutnischen legen sie ihre Eier ab, die regelmäßig durch Attrappen ausgetauscht werden. So verringern sich die Taubenpopulationen, die hygienischen Risiken für den Menschen und die Gesundheitsgefährdungen, denen die Tiere bei der Futtersuche durch die Aufnahme von Speiseresten und durch Verletzungen ausgesetzt sind. Überdies können sich „Taubenfütterer“ beim Betrieb von Taubenhäusern ehrenamtlich engagieren. Taubenhäuser dienen so dem sozialen Frieden zwischen Taubengegnern und Taubenfreunden wie dem Wohl der Tiere, die eine artgerechte Behandlung verdienen.

MS

Biergärten – Eine bayerische Erfindung

Schild mit der Aufschrift Biergarten

Karierte Tischdecken, Salz und Pfeffer, ein Holzbrett, auf dem dekorativ Radieserl und Käsewürfel angerichtet werden, ein Obazda – das sind klassische Zutaten für einen gelungenen Biergartenbesuch. Dazu noch eine resche Brezn und ein süffiges Bier. Aber woher stammt die Idee eines Trinkkonsumortes unter Bäumen? Jenem geselligen und lauschigen Ort unter den schattenspendenden Kastanien, der heute identitätsstiftend für Bayern und ein Exportschlager ist.

Die Geburtsstunde des bayerischen Biergartens lässt sich auf das Jahr 1812 datieren. Die durch den bayerischen König Max I. Joseph erlassene Verfügung des sog. „Minuto-Verschleißes“ erlaubte den Brauereien den Direktverkauf ihres Bieres auf dem Bierkeller in den Monaten von Juni bis September. Diese Keller, die je nach Region auch als Sommer-, Märzen- oder Felsenkeller bekannt sind, befanden sich häufig getrennt vom Brauereistandort und oft außerhalb der Stadt.

Bis zur Erfindung der künstlichen Kühlung durch Carl von Linde 1875 benötigten die Brauereien für die Gärung und Lagerung ihres Märzen- oder Sommerbieres, also jenem Bier das im März gebraut und im Sommer konsumiert wurde, Bierkeller. Die kühlen Keller, die zum Teil zusätzlich mit Natureis temperiert wurden, waren unerlässlich für die Herstellung untergäriger Biere wie Pils, Lager oder Helles. Denn für diese Biere werden Temperaturen von 4 bis 9 Grad benötigt.

Mit der Freigabe, das Bier „in Minuto zu verschleißen“, durften die Brauer in den Sommermonaten die Keller auch als Ausschankstätte nutzen. Somit haben die Biergärten ihren Ursprung über den kühlen Lagerkellern, in denen das untergärige Bier reifte. Da das Verabreichen von Speisen untersagt war, brachten die Gäste ihre Brotzeit selbst mit. Eine Tradition, die sich vielerorts bis heute gehalten hat.

Die Städter entdeckten im 19. Jahrhundert die Natur als Ausflugsziel. Und aus den Lagerkellern wurden Ausflugslokale mit Bierausschank, in denen die ganze Familie einkehrte. Unter dem schattigen Laubdach der Bäume genossen sie ihr frisch gezapftes Bier. Der Biergarten wurde zu einem Ort gleich einem Paradies, in dessen Mittelpunkt – neben dem Bier und der Brotzeit – die Gemütlichkeit bis heute steht.

Ein Biergarten ist also erst dann ein Biergarten, wenn unter diesem ein Lagerkeller und drüber Kastanienbäume sowie ein Bierausschank sind. Dann kann von einem echten Biergarten gesprochen werden. Alles andere sind sogenannte Schanigärten, Gast- oder Wirtsgärten.

Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege verzeichnet in seiner Denkmalschutzliste 90 unter Denkmalschutz stehende Biergärten. Davon sind nur circa 30 heute noch in Betrieb, die anderen aufgelassen. Die „echten“ Biergarten sind also rar geworden, so dass man jetzt ihren Eintrag in die Liste des immateriellen Kulturerbes beantragt.

CD

Vom Maurergütl zum Kunsthaus

Das Schießl-Haus in Kollburg

Alte Häuser erzählen Geschichten; und sie sind selbst Teil der Geschichte. Nicht selten handelt es sich bei solchen Gebäuden um Baudenkmäler. Das heißt, sie sind laut Denkmalschutzgesetz u. a. wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen oder volkskundlichen Bedeutung erhaltenswert. Diese Aussage, vor allem ihre Umsetzung, nämlich die Erhaltung, ist entscheidend.

Vielen Menschen fehlt beim Anblick meist verlassener und heruntergekommener Häuser zunächst einmal jegliches Verständnis für deren Wert. Sie erscheinen als wertlose Bruchbuden, reif für die Abrissbirne. Also bedarf es Personen, die in Gemäuern und Gebälk zu lesen verstehen wie in Büchern, die den historischen Wert erkennen und zur Instandsetzung solcher Häuser bereit sind. In der Regel werden dann aus vielgescholtenen Schandflecken vielbestaunte Vorzeigeobjekte, deren materieller Wert den in Fläche und Kubatur vergleichbaren Neubauten nicht nachsteht.

Das alte Schießl-Haus in Kollnburg im Landkreis Regen hat einen solchen Wandel erlebt. 1767 wurde es als erdgeschossiges Anwesen auf einer kleinen Anhöhe erbaut. Lediglich der in den Hang hineingebaute hintere Gebäudeteil und der Platz um die „Ruaßkuchl“ herum waren gemauert: Stube, Kammer und Kniestock hatte man vollständig in Blockbauweise gezimmert. Nach 1803 wurden die Holzbaukonstruktion durch Außenmauern und Innenwände aus Bruchstein ersetzt und etwas später mit einem Obergeschoss in Blockbauweise aufgestockt. Die Stube erhielt erst in den 1960er Jahren ihre Ausmauerung.

Aus einen Liquidationsprotokoll, das 1838 zur Ermittlung der Grundsteuer im königlichen Rentamt zu Viechtach angefertigt wurde, kennt man den einstigen Eigentümer, seinen Stand und Besitz. Das Anwesen gehörte damals dem Weber Georg Schießl. Im Protokoll aufgeführt ist ein „1/16 Maurergütl“ bestehend aus Wohnhaus, Stall, Stadl, Backofen und Hofraum. Dazu gehören zwei kleine „Wurzgärtl“ im direkten Umgriff und ein kleiner Acker etwas außerhalb des Orts. Es handelt sich also um ein ehemaliges Handwerker-Anwesen, gerade groß genug zur Deckung eines bescheidenen Eigenbedarfs.

1991 starb die letzte Bewohnerin aus der Schießl-Linie, die 200 Jahre lang auf dem Anwesen war. Zwei Jahrzehnte stand das Haus leer. Niemand wollte es haben. Vernachlässigt und schadhaft wie unbeachtete Denkmäler häufig sind, sollte es schließlich abgerissen werden. Kurzentschlossen kaufte der Künstler Thomas Niggl das Anwesen und entwickelte zusammen mit seinem Architekten ein Nutzungskonzept. Nach einer fachgerechten, substanzschonenden Instandsetzung gibt es in Kollnburg jetzt ein „Kleines Haus der Kunst“ – weil Besitzer und Architekt die Qualität des Gebäudes erkannten. Sie haben in der Bausubstanz gelesen wie aus einem Buch. Deswegen kann heute die Geschichte des Schießl-Hauses erzählt werden, die dank seiner beherzten Rettung noch lange nicht zu Ende geschrieben ist.

MS

Kirche? – Kirche!

Pflegekraft hält Hände eines alten Menschen

Am 15. August feiert der Freisinger Dom sein Patrozinium, Mariä Himmelfahrt. Der Dom ist schon eine Viertelstunde vor Messbeginn bis auf den letzten Platz gefüllt, auch aus den benachbarten Städten und Gemeinden sind viele Leute da, trotz Ferienzeit.

Festmesse von Mozart, großes Orchester und der Domchor mit Solisten. Der Rektor der Domkirche in einer reichbestickten alten Kasel aus der Domsakristei und zwei Diakone in historischer Dalmatik, passend zum Messgewand des Zelebranten. Feierlicher Einzug. Der barocke Asam-Dom, illuminiert durch die Sommersonne, leuchtet in seiner ganzen ornamentalen Pracht, die Orgel jauchzt, Kerzen flackern auf großen historischen Ständern rund um den Altar. Großes Ministranten-Ballett, Weihrauch geschwängert das Kirchenschiff, Kräuterbuschen in der Hand der Gläubigen. Der Priester lebt die Liturgie, weit ausholend die Arme, kräftig die Stimme, die Hände fromm gefaltet beim Gebet. Die ganz große Inszenierung. Ein Fest. Katholische Kirche! Kirche?

Tags zuvor, am 14. August, haben wir meine Mutter beerdigt. Sie war fast 93 Jahre alt. Wegen ihrer Demenz wurde sie die letzten dreieinhalb Jahre in einem Pflegeheim der Barmherzigen Schwestern liebevoll versorgt. Der Orden hat seit mehr als zwei Jahrzehnten keine Novizin mehr, die allermeisten Klosterfrauen sind in einem Alter, in denen man längst die Rente genießt.

Die Pflegekräfte auf der Station mit 26 dementen Frauen und Männern kommen aus Bosnien, Kroatien, Ungarn, Peru, Brasilien, verschiedenen Ländern Afrikas, aus der Türkei, aus Nepal, aus Indien. Vier Deutsche sind auch dabei. Es sind weltliche Pflegekräfte. Schichtdienst. Sie machen alle einen Knochenjob. Es ist schwer, die hilfebedürftigen oder auch hilflosen Menschen an- und auszukleiden, sie auf die Toilette zu bringen, sie zu füttern, sie zu waschen, sie in den Rollstuhl oder ins Bett zu hieven. Und es ist noch schwerer, mit den Aggressionen umzugehen, die sich aus der Hilflosigkeit und Verwirrtheit der Menschen entwickeln, deren Gehirn nicht mehr funktioniert.

Katholisches Alten- und Pflegeheim?! Träger ist der Orden, aber die Pflege machen nicht die Ordensfrauen, sondern weltliche Kräfte. Nicht nur katholische. „Wir können es uns schon lange nicht mehr leisten, auf das Glaubensbekenntnis unserer Mitarbeiter in der Pflege zu schauen“, sagt die Oberin. „Wir schauen auf die Qualität.“ Der Orden bezahlt übertariflich, er bietet günstige Mietwohnungen für das Personal an – und hat dennoch immer wieder Probleme, Pflegekräfte zu finden. Auch die Fluktuation ist hoch, die Arbeit ist für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Dauer zu belastend.

Meine Mutter wurde dreieinhalb Jahre lang im Heim liebevoll umsorgt. Auch in ihren letzten Tagen. Sie und auch wir wurden bei ihrem Sterben nicht allein gelassen. Ihr Loslassen und unsere Begleitung dabei wurden deswegen leichter. Katholisches Pflegeheim? Ich weiß nicht, welches Gebetbuch die Betreuerinnen haben, die die letzten Stunden bei meiner Mutter waren. Sie haben ihren Dienst liebevoll und einfühlsam gemacht. Kirche? Kirche der Gegenwart!

EL

Die neue Lust am Huhn

Zwei Hühner im Garten

Das Bild von genügsam im Gras unter Bäumen scharrenden und gaggernden Hühnern weckt bei vielen eine Art „Bullerbü-Gefühl“. Kinder kannten jedoch über Jahre hinweg freilaufende Hühner und einen krähenden Hahn nur noch aus den Freilichtmuseen oder Bilderbüchern. Jetzt ist das Gackern und Glucksen vermehrt auch in Wohngebieten zu hören. Hühnerzüchter vermelden seit einigen Jahren steigende Nachfrage von Hobby-Hühnerhaltern.

Gartencenter, Baumärkte und Zoohandlungen haben bereits auf den Trend reagiert: „Happy Home“, „Cocoon“, „Palace“, „Holiday“, „Ambiance“ und “Cottage” heißen beispielsweise die Hühnerställe, die in den Online-Shops und den Regalen der Garten-Supermärkte stehen; das dazugehörige Futter „Snack Garden Mix“, „Kräuterkraft“, „Geflügelglück“ oder „Glückslegemehl“. Unzählige Bücher über Hühnerhaltung sind seit 2018 erschienen. Hunderte von youtube-Filmen über Hühnerhaltung sowie „Happy-Huhn“-Merchandising-Artikel wie Kalender und Tagebücher kommen dazu. Also viel Glück und Freude, die uns die Hühner beziehungsweise die Händler und Verlage vermitteln.

Studien, die belegen, wie schlau Hühner sind, finden ebenfalls vermehrt den Weg in die Öffentlichkeit. Hühner können beispielsweise große und kleine Mengen voneinander unterscheiden und der Größe nach ordnen. Laut der US-Biologin Lori Marino können Hühner auch bestimmte logische Schlüsse ziehen, zu denen Menschen erst im Alter von sieben Jahren fähig sind. Hühner haben zudem individuelle Charakterzüge. Jeder Hobby-Hühnerhalter wird dies bejahen können.

Den Trend zum Huhn im eigenen Garten hat nach Ansicht des Verbandes Bayerischer Rassegeflügelzüchter vor allem der Lebensmittelskandal um belastete Eier ausgelöst. Hört man sich bei Hobby-Hühnerhaltern um, ist ebenfalls eines der Hauptargumente: Die Versorgung mit eigenen Eiern.

Rund 210 Hühnereier verzehrt ein Deutscher übrigens durchschnittlich pro Jahr. Bei den Hobby-Hühnerhaltern sind daher die unkomplizierten und robusten Hühnerrassen mit guter Legeleistung und wenig Brutneigung beliebt. Legehühner, die für die Gartenhaltung geeignet sind, liefern durchschnittlich etwa 180 bis 220 Eier im Jahr, manche Rassen sogar 300 Eier im Jahr. Rund 200 verschiedene Hühnerrassen gibt es in Deutschland. Unterschieden wird vor allem zwischen Lege-, Mast- und Zierhühnern.

Ein weiterer Ansatz ist die Erhaltungszucht gefährdeter Hühnerrassen. Dazu zählt beispielsweise die einzige bayerische Hühnerrasse: das Augsburger Huhn. Nach Angaben der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen ist die Rasse „extrem gefährdet“. Der Bestand wird auf wenige hundert Tiere geschätzt. Bis in die 1960er Jahre war das Augsburger Huhn in Süddeutschland sehr beliebt und weit verbreitet. Mit dem Aufkommen der Hochleistungsrassen veränderte sich die Lage rasant: Das Augsburger Huhn hat zwar mit durchschnittlich 150 bis 180 pro Jahr eine gute Legeleistung. Mit den Hochleistungshühnern in der industriellen Landwirtschaft kann es jedoch nicht mithalten; auch nicht mit den konventionellen Masthähnchen der Landwirtschaftsindustrie. Die wenigen Landwirte, die das Augsburger Huhn nach Slow-Food-Kriterien züchten, halten diese artgerecht und extensiv mit Freilandauslauf in angemessen großen Ställen.

Für die Hobby-Hühnerhaltung im eigenen kleinen Garten sind die Augsburger jedoch derzeit nicht zu haben. Denn: „Einzelne Hühner ohne Hahn zur Hobbyhaltung können momentan nicht abgegeben werden, da diese keinen Beitrag zum Erhalt der Rasse leistet und die Anzahl der Tiere zu gering ist“, so der „Sonderverein der Züchter des Augsburger Huhnes und der Zwerg-Augsburger“. Aber: „Für das Augsburger Huhn wäre es sehr wichtig, wenn ein interessierter und engagierter Landwirt es wieder als Nutztier entdeckt und vielleicht einen kleinen Bestand aufbauen und vermarkten will.“

KS

„Fels’n-Pralinien“ für ein Denkmal

Pralinen

Nein, hier handelt es sich um keinen neuen Denkmalpreis, der von der öffentlichen Hand für die gelungene Instandsetzung eines Baudenkmals verliehen wird. Hier ist die Rede vom privaten Engagement eines findigen Passauer Konditormeisters und Chocolatiers, der mit seiner feinen Pralinen-Kreation die Sanierung eines bedeutenden örtlichen Gebäudes unterstützt.

Aber der Reihe nach: „Zur Fels’n“ heißt ein ehemaliges Gasthaus in der Passauer Ilzstadt. Es ist das älteste urkundlich erwähnte Wirtshaus Passaus, wie ein Kaufvertrag aus dem Jahr 1647 bezeugt. Ihren außergewöhnlichen Namen verdankt die „Fels’n“-Wirtschaft dem Gneisfelsen, der sich direkt hinter dem Gebäude erhebt. Vorne führt heute die verkehrsreiche B12 vorbei. Ehedem war es der „Goldene Steig“, jener historische Handelsweg für den Warenaustausch zwischen Bayern und Böhmen. Jahrhundertelang kehrten in der „Fels’n“ deshalb Salzsäumer und Fuhrleute ein. Seine Blütezeit erlebte das Wirtshaus im 19. Jahrhundert, als ab 1868 Elisabeth Weiß, die legendäre „Fels’nliesl“, den Betrieb führte. Unter der feschen, selbstbewussten jungen Wirtin erblühte das Gasthaus zu einem beliebten Treffpunkt für eine bunte Stammgäste-Schar aus honorigen Passauer Bürgern, Kaufleuten, zünftigen Schiffsmeistern und zechfreudigen Offizieren. Nach dem Tod von Elisabeth Weiß betrieben wechselnde Besitzer die Wirtschaft. Vor 20 Jahren wurde der Wirtsbetrieb dann eingestellt und das Gebäude verlassen. Der Leerstand, vor allem aber das Jahrtausendhochwasser 2013 fügten dem traditionsreichen Haus großen Schaden zu.

Die Initiative zur Rettung des Gebäudekomplexes ergriff 2016 der Denkmalpfleger und Generalkonservator a. D. Prof. Dr. Egon Johannes Greipl, der zu diesem Zweck auch die „Felsenfreunde Passau e. V.“ gründete. Als treibende Kraft entwickelte Greipl ein Instandsetzungs- und Nutzungskonzept, als Netzwerker organisierte er öffentliche Zuschüsse. Doch einen beachtlichen finanziellen Beitrag leisten die Felsenfreunde selbst.

Überdies ließ sich eines der Mitglieder, Chef einer eingessenen Passauer Confiserie, berufsbedingt eine besonders charmante Idee einfallen: Er kreierte Original Passauer FELS’N PRALINEN. Zur Rettung des Passauer Baudenkmals Gasthaus „Zur Fels’n“ – so steht es auf der ansprechend designten Pralinenschachtel zu lesen. Denn ein Teil des Erlöses aus dem Verkauf dieser örtlichen Spezialität kommt der Instandsetzung des Traditionswirtshauses zugute. Neun felsenförmige Criollo-Schokoladen-Pralinen gefüllt mit zartem Malzkaramell, überstreut mit einer feinen Prise Bergsalz befinden sich in einer 100gr-Packung. Die Zutaten Malz und Salz sind der ehemaligen Bierwirtschaft und ihren Gästen, den Salzsäumer, gewidmet. Was für eine clevere, geschmackvolle und zugleich hilfreiche Idee! Das fragt man sich, ob es ein Zufall ist, dass die Praline von einem deutschen Koch Mitte des 17. Jahrhunderts erfunden wurde, etwa zur selben Zeit, als in der Fels’n-Wirtschaft das Bier zu fließen begann?

MS

 

Volksmusikpflege 3.0

Volkstanz

Volksmusik gilt als Aushängeschild für regionale Identität. Sowohl die bayerischen Bezirke als auch zahlreiche Vereine schreiben sich die Pflege dieser Musik auf ihre Fahnen. Wie zeitgemäß ist das?

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte man Volksmusik als Forschungsgegenstand: Ab diesem Zeitpunkt wurden vermehrt Lieder und Musikstücke aufgezeichnet und veröffentlicht. Nach der Instrumentalisierung von Volksmusik im Dritten Reich erfuhr sie ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erneute Aufmerksamkeit durch die Bestellung haupt- und nebenamtlicher Volksmusikpfleger sowie durch große Bühnenveranstaltungen mit Vorzeigegruppen. Darüber hinaus erhöhte die Präsentation ausgewählter Volksmusik im Radioprogramm deren Wertschätzung enorm. Dabei wurden auch musikalische Neuschöpfungen und neue Ensemblebesetzungen wie die Stubenmusik oder der Dreigesang als traditionell präsentiert. Und was (vermeintlich) alt war, galt als „echt“, wertvoll und unveränderlich.

Seit Ende des 20. Jahrhunderts ist ein Umdenken spürbar: Die Stärke der Volksmusik liegt in der Teilhabe und der Gemeinschaft. Einfache musikalische Strukturen ermöglichen vielen Menschen, Volkslieder zu erlernen, gemeinsam zu musizieren, beim Volkstanz zu partizipieren, aber auch musikalisch zu experimentieren. Die Tradition als Begründung für eine Fortführung der Volksmusikpflege reicht also nicht mehr aus. Unsere ethnisch durchmischte Gesellschaft, in der Teilhabe und Selbstverwirklichung eine zentrale Rolle spielen, hat andere Ansprüche.

Diesen wird das Profil gerecht, das sich die führenden Institutionen der Volksmusikpflege im Frühjahr 2019 beim Seminar für Volksmusikforschung und -pflege in Bayern gegeben haben: Es verbindet Volksmusikpflege ganz selbstverständlich mit Begriffen wie Dynamik, Offenheit, Integration oder Gegenwartsorientierung. Denn musikalische Überlieferung ist ein sich fortlaufend verändernder Prozess, der nicht an starren Formen festhält. Stilistische Neuerungen wie die Einbindung ungewöhnlicher Instrumente oder innovativer Rhythmik und Harmonik gehören ebenso dazu wie neue Veranstaltungsformate, z.B. das Volksmusikpicknick des Bezirks Niederbayern oder die Wohnzimmerkonzerte beim Volksmusikfest „drumherum“.

Eine integrative Volksmusikpflege, die alle Bevölkerungsgruppen einbindet, ist offen für die Musik eingewanderter Menschen und bietet generationenübergreifende Angebote für Jung und Alt. Die Gegenwartsorientierung der Volksmusikpflege zeigt sich wiederum in digitalen Angeboten zum Download von Musik und Noten oder im kritischen Umgang mit Liedtexten, die überholte gesellschaftliche Rollenbilder bedienen. Braucht unsere Gesellschaft etwa noch Lieder über saufende, raufende Männer und schimpfende Frauen? Wohl kaum, zeitgemäß ist es nicht. Volksmusikpflege wird heute daher als traditionsorientierte Musikpflege verstanden, nicht als statische Traditionspflege.

Nach verschiedenen Entwicklungsphasen sind Volksmusik und Volksmusikpflege durchaus in der Gegenwart angekommen. Diese „Volksmusikpflege 3.0“ schafft situative Erlebnisräume mit regionalen Bezügen und stiftet Identität. Jeder ist willkommen und kann sich einbringen. Damit entspricht sie den immateriellen Bedürfnissen einer postmodernen Gesellschaft, die eine prinzipielle Offenheit von Kunst und Kultur fordert.

VK
(Foto: Peter Litvai)

Niederbayern ist eigen

Ein Blankziegel-Vierseithof im Rottal

Bayern ist nicht überall alpenländisch, auch wenn dies viele Touristen meinen. Das Voralpenpanorama mit bunt bemalten Häusern und barocken Zwiebeltürmen, die vor der Gebirgskulisse ins Himmelsweißblau ragen, hat sich zwar in den zurückliegenden 200 Jahren als Klischee verfestigt, doch lässt diese Sicht ganze Landstriche und ihre Eigenheiten – kurzum die Vielfalt Bayerns – verschwimmen. Aber was bedeuten schon zwei Jahrhunderte innerhalb einer viel längeren Geschichte? Immerhin sind die ersten Baiern von Niederbayern aus nach allen Seiten vorgedrungen. Wer das Urbayerische sucht, muss sich also mit Niederbayern beschäftigen.

Lebensader dieses Landstrichs ist die Donau. Die Kelheimer Gegend zählt zu den frühest besiedelten Räumen des Erdkreises überhaupt. Hier lebten schon vor 12.000 Jahren die Jäger und Sammler der Altsteinzeit. Bäuerliches Leben regte sich erstmals vor 6000 Jahren entlang der Donau. Um 500 v. Chr. entstanden mit den frühen Keltensiedlungen die Keimzellen der späteren Städte Regensburg, Straubing und Passau. Ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert bildete die Donau 500 Jahre lang die Grenze des römischen Weltreichs gegen Germanien. Die Stammesbildung der Baiern – ein Gemisch aus Germanen, Alamannen, Ostgoten, Langobarden und Römern – erfolgte im 5. Jahrhundert. Ihre Heimat war der Donauraum um Straubing.

Mit der ersten politischen Teilung Bayerns durch die Wittelsbacher Herzöge Ludwig den Strengen und Heinrich XIII. im Jahr 1255 ergab sich die Trennung in die beiden Teilherzogtümer Ober- und Niederbayern. Das Wissen um die höhere (Oberland) bzw. tiefere Lage (Unterland) der einzelnen Landstriche war dabei wortprägend. Regiert wurde das bayerische Unterland von der Hauptstadt Landshut aus.

Unabhängig aller politischen Geschehnisse sind es die markanten Naturräume, die Niederbayern seine unterschiedlichen Gesichter verleihen: Südlich der fruchtbaren Donauebene, dem Gäuboden, der als Kornkammer Bayerns gilt, liegt das tertiäre Hügelland, nördlich erstreckt sich der holzreiche, aber karge Bayerische Wald, der bis an die tschechische Grenze reicht. Die Landwirtschaft des Hügellandes vom niederbayerischen Teil der Hallertau bis ins Rottal prägt das Landschaftsbild. Hopfengärten, Weizen- und Gerstenfelder wechseln mit Kartoffel-, Rüben-, Mais-, Rapsäckern und Grünland. Dazwischen stehen immer wieder lichte Mischwälder.

Die Bewohner des Bayerischen Waldes hatten ihre Erträge von jeher dem rauen Klima und den steinigen Böden abzutrotzen. Ihnen blieben lediglich der „Holzreichtum“ und die Steinbrüche. Granit, Diorit und Syenit lieferten Pflaster- und Bausteine, die sich auf Plätzen und in den Bauten verarbeitet finden. Quarz bildete die Grundlage für die Jahrhunderte lang florierende Glasfabrikation. Der „Gläserne Wald“ ist eine Erfindung der Tourismusbranche, der aber auf die lange Tradition verweist.

All diese natürlichen und klimatischen Gegebenheiten bestimmten über lange Zeiträume hinweg die Kultur und Lebensweise: das Wohnen und Wirtschaften, den Tages- und Jahresablauf, die Einteilung in Arbeits- und Festzeiten, den Speisezettel, das Handeln und Denken. Das hatte auch Auswirkung auf Haus- und Hofformen oder bäuerliche Arbeitsgeräte bis hin zu den technischen Erfindungen, die das Werkeln in der ländlichen Welt erleichterten. Daher unterscheidet sich ein Hallertauer Hopfenbauernanwesen samt Inventar von einem stattlichen Rottaler Vierseithof oder von einem bescheideneren Waldlerhaus.

Freilich haben sich die Zeiten geändert. Wo es das Wirtschaften erforderte, wichen die alten Gebäude den neuen, größeren. Selbst die vielgerühmte Leidenschaft der Rottaler für ihre warmblütigen Rösser war kein Hindernis für den Einzug des Traktors und die Mechanisierung der Landwirtschaft. Das „Volk“ erwies sich stets als pragmatisch. Nur ein geringer Teil der niederbayerischen Bevölkerung bestreitet mittlerweile sein Auskommen aus der Landwirtschaft. Trotz alledem sind die ländlich-bäuerlichen Traditionen nicht ganz vergessen.

Was Niederbayern noch immer auszeichnet und unterscheidbar macht, sind die kulturellen Leistungen, die sich in steinernen Zeugnissen verfestigten. Im Jahr 620 entstand am Donaudurchbruch bei Kelheim das Kloster Weltenburg, das älteste der noch bestehenden bayerischen Klöster. Mit Niederalteich, Metten und Oberalteich folgten weitere mittelalterliche Klostergründungen. Von Metten und Niederalteich aus wurde die Rodung und Besiedelung des Bayerischen Waldes in die Wege geleitet. Das ermöglichte auch den Handel nach Böhmen hinein.

Planmäßig erfolgten viele wittelsbachische Stadt- und Marktgründungen. Bei der Anlage der Märkte verbreiterte man die Straße zum „Straßenmarkt“. Den Städten gab man in Anlehnung an die römischen Kastelle den Grundriss eines Rechtecks. So kann man am Beispiel von Kelheim, Landshut, Straubing, Landau oder Deggendorf die städtebaulichen Strukturen auch nach Jahrhunderten eindeutig ablesen.

Unverkennbar und stadtbildprägend stechen die Blankziegelkirchen wie z. B. St. Martin und St. Jodok in Landshut oder St. Jakob in Straubing aus den Silhouetten heraus. Diese niederbayerische Backsteingotik wirkte auch auf das Umfeld. Weil der Boden den nötigen Lehm hergab, verfügte beinahe jeder größere Bauer über einen Ziegelofen. Das erklärt die profanen Blankziegelbauten, die unverputzten Städel, Wirtschaftsgebäude und Bauernhöfe insbesondere des Rottals, für die der Sakralbau jahrhundertealte Vorbilder lieferte.

Dieses lange Zeit belächelte Niederbayern besitzt also bestimmt nicht wenig Kultur. Ihm fehlen lediglich die spektakulären Tourismusziele. Überhaupt scheint das Spektakuläre, die große Geste, nicht die Sache der Niederbayern zu sein. Ohne den Charakter- und Mentalitätszuschreibungen vergangener Jahrhunderte das Wort zu reden: Vielleicht ist man in Niederbayern ja doch zurückhaltender als anderswo. Solche Zurückhaltung zeigt sich zumindest an der historischen ländlichen Architektur, an den Schlössern des Landadels, den städtischen Bürgerhäusern und den Bauernhöfen. Hier wurde sparsamer mit dem Material umgegangen, Schmuckelemente halten sich in maßvollen Grenzen, die Bewusstheit im Aufwand schafft den gestalterischen Ausdruck und strahlt Ruhe aus.
Ähnliches gilt für die überlieferten Volkslieder, die sogenannten Arien, deren Melodien getragen dahinfließen ohne große Sprünge. Und die ledernen Kniebundhosen lassen ebenso wie die knöchellangen Stiefellederhosen, die man hierzulande einmal trug, keine Stickereien erkennen. Das muss seine Gründe haben.

MS
(Foto: Seefelder)

Der Ludwigskanal in Kelheim

Luftbild Ludwigskanal bei Kelheim

Die Vision, zwei Meere über eine durchgehende Wasserstraße miteinander zu verbinden, führte im 19. Jahrhundert zum Bau des Ludwig-Donau-Main-Kanals. Neben Bamberg markiert der Hafen der alten wittelsbachischen Herzogsstadt Kelheim eines der beiden Einfahrtstore. Der Ludwigskanal, benannt nach seinem königlichen Initiator Ludwig I., ist längst still gelegt. Mit seinen Schleusen und Schleusenwärterhäusern, Brücken und Dämmen ist er heute als Kultur- und Landschaftsdenkmal, das sich über 173 Kilometer hinzieht, von besonderem Reiz.

Der Ludwigskanal stellte die Verbindung zwischen Main und Donau her. Mit diesem Großbauprojekt konnte die europäische Wasserscheide zwischen den Flusssystemen Rhein/Main und Donau überwunden und eine geschlossene schiffbare Flussstrecke zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer geschaffen werden. Damit war der Nordwesten Europas mit Südosteuropa verbunden.

In Zeiten, in denen der Transport größerer Warenmengen auf dem Landweg ausschließlich mit Pferdefuhrwerken möglich war, verhieß die höhere Ladekapazität von Flussschiffen wirtschaftlichen Fortschritt. Doch angesichts der sich abzeichnenden Konkurrenz durch die Eisenbahn war es wohl weniger der wirtschaftliche Nutzen, der beim Bau des Ludwigskanals im Vordergrund stand. Denn schon bei Baubeginn zeichnete sich eines ab: Das seit 1835 in Bayern entstehende, verzweigte Schienennetz und die damit einherschreitende Geschwindigkeit des Güter- und Personenverkehrs würden dem Kanal langfristig keine Chance lassen. Umso mehr offenbarte sich darin ein politisches und kulturelles Projekt, dessen Realisierung eine technische und bauliche Meisterleistung darstellte. Seit Karl dem Großen steckte europäisches Denken dahinter: Die Verbindung beider Flusssysteme sollte ein einheitliches Herrschaftsgebiet symbolisieren.

Den langen Vorplanungen folgte 1836 der Baubeginn. Die Kanaltrasse verlief von Bamberg bis Nürnberg durch das Tal der Pegnitz, führte weiter durch das Schwarzachtal über Neumarkt, von dort über die südlich davon gelegene Wasserscheide hinweg durch das Sulztal und mündete bei Dietfurt in die Altmühl. Den südlichsten Streckenpunkt bildete der Kelheimer Hafen, der von der Altmühlmündung abzweigte und nur noch durch eine Schleuse von der Donau getrennt war.

Am 6. Mai 1843 fuhr das erste Schiff von Bamberg nach Nürnberg. 1846 war der 173 Kilometer lange, 15,8 Meter breite und 1,46 Meter tiefe Stillwasserkanal mit 100 Schleusen und zehn Brückenkanälen von Bamberg (Schleuse 100) bis Kelheim (Schleuse 1) nach einer Bauzeit von nur zehn Jahren in voller Länge befahrbar. Der 100 „Schiffstreppen“ bedurfte es, um von 230 Meter über dem Meer in Bamberg auf die 417 Meter hohe Voralb zu gelangen und bei Kelheim die Donau auf 338 Meter zu erreichen.

Von Kelheim bis Bamberg benötigte man ca. fünf Tage. Transportiert wurden vor allem Baumaterialien, Holz aus dem Bayerischen Wald und Steine für die Bauten entlang des Kanals, sowie Kohle und Agrarprodukte. Die Schiffe mit 120 Tonnen Ladekapazität waren bis zu 21 Meter lang, knapp 5 Meter breit und hatten einen Tiefgang von 1,17 Meter.
Bis zur Jahrhundertwende wurde getreidelt: Jeweils ein Pferd zog ein behäbiges Kanalschiff. Die Altmühl aufwärts benötigte man zwei Pferde pro Schiff. Die Erfindung der Schiffsschraube löste die Treidelpferde und ihre Führer ab.

Jedoch wurde die Flussschifffahrt aufgrund des Ausbaus des Schienennetzes zunehmend unrentabel. Damit schritt der langsame Verfall des Kanals einher.

Allerdings schmälerte sein wirtschaftlicher Bedeutungsverlust nicht seine Beliebtheit bei der Bevölkerung. Insbesondere in Nürnberg und Fürth erfreuten sich in der Zwischenkriegszeit romantische Kanalfahrten und die sogenannten Schlagrahmdampferfahrten großer Beliebtheit. Ferner gab es Schwimm- und Kanalfeste, im Winter trafen sich die Schlittschuhläufer, Eisstockschützen und Eishockeyspieler. Der Kanal war ein Ort der Geselligkeit. 1950 erfolgte seine endgültige Stilllegung als Schifffahrtsstraße. Seither schafft die Symbiose von historischer Technik und Natur ihre eigene Idylle. Während dem Bau des 1992 eröffneten Main-Donau-Kanals und dem Frankenschnellweg weite Teile des Ludwigskanals geopfert wurden, stehen die erhaltenen Streckenabschnitte samt der dazugehörigen Bauwerke heute unter Denkmalschutz. Die Wander- und Radwege entlang des alten Kanals, gesäumt von kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten, bieten touristische Abwechslung, Naturgenuss und Erholung.

MS

KULTURmobil kommt! Ein Projekt für alle. Vieles ist neu.

Mobiles Theater

Wie jeden Sommer seit 21 Jahren tourt KULTURmobil durch Niederbayern. Am vergangenen Wochenende hat mit einer erfolgreichen Premiere in Plattling die KULTURmobil-Tournee begonnen. Ähnlich wie die fahrenden Gaukler und Komödianten des Mittelalters bereist das KULTURmobil-Ensemble bis einschließlich 1. September jeweils an den Wochenenden Niederbayern. Der Ochsenkarren ist allerdings einem modernen Fuhrpark mit Bühnentechnik gewichen. So haben theaterinteressierte Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, darstellende Kunst vor Ort zu erleben – und dies bei freiem Eintritt! KULTURmobil öffnet seine Bühne auf Dorf- und Marktplatzen oder bei schlechtem Wetter ganz pragmatisch in Feuerwehrhallen. So oder so, ein Vergnügen wird es allemal. Ermöglicht wird dieses Projekt vom Bezirk Niederbayern.

Selbstverständlich stehen bei KULTURmobil jedes Jahr neue Bühnenproduktionen auf dem Programm. Ebenso findet das künstlerische Ensemble für jede Inszenierung neu zusammen. Erstmals werden drei Vorstellungen von zwei Gebärdendolmetscherinnen übersetzt, sodass auch gehörlose Gäste das Abendtheaterstück voll miterleben und genießen können.

Außerdem reist KULTURmobil im 22. Jahr mit neuem Fuhrpark an. Dieser Anschaffung hat der Bezirkstag zugestimmt, nachdem sich das Projekt in der Vergangenheit als Erfolgsmodell bewiesen hat. Alleinstellung genießt es sowieso. Denn KULTURmobil in dieser Form gibt es eben nur in Niederbayern.

Jeweils am Nachmittag ab 17 Uhr wird heuer für Kinder und Junggebliebene die Zaubershow „Pure Magic“ von und mit Sebastian Nicolas geboten. Der Zauberkünstler ist international unterwegs und ausgezeichnet, unter anderem war er 2009 Vizeweltmeister auf dem Weltkongress der Magier in Peking. Für KULTURmobil kehrt er in diesem Sommer in seine niederbayerische Heimat zurück.

Für die Erwachsenen steht abends um 20 Uhr mit „Unkraut“ eine moderne, temporeiche Volkskomödie auf dem Spielplan. Das Stück stammt von dem Erfolgsautor Fitzgerald Kusz und wurde vom Regisseur Wastl Goller inszeniert. Der Niederbayer hat mit seiner erfolgreichen Molière-Inszenierung bereits in der zurückliegenden KULTURmobil-Saison seine künstlerische Visitenkarte hinterlassen.

„Aus der Region – für die Region!“ lautet ein Motto von KULTURmobil. Ein anderes: „KULTURmobil soll Spaß machen!

Mehr Informationen unter www.kulturmobil.de.

MS