Rosen, Tulpen, Nelken…

Der heilige Valentin lebte um 270 als Priester und Mönch in Rom. Der Legende nach schenkte er Menschen, die bei ihm Rat und Hilfe suchten, Blumen aus seinem Garten. Er traute Liebespaare nach christlichem Zeremoniell, obwohl der römische Kaiser dies bei Todesstrafe verboten hatte. Deshalb wurde Valentin enthauptet und fortan als Märtyrer und Schutzheiliger der Liebenden verehrt.

Bereits im Mittelalter überbrachten heiratswillige Männer ihren Liebsten am 14. Februar, dem Valentinstag, Blumen oder kleine Geschenke. Im 19. Jahrhundert war es in England und Amerika üblich, Valentinspostkarten zu verschicken. Bei uns wurde der Valentinsbrauch nach dem Zweiten Weltkrieg populär. Soldaten, die auf dem europäischen Festland stationiert waren, brachten diese Tradition nach Deutschland. Seither ist der Valentinstag neben dem Muttertag und dem Allerheiligenfest zu einem der Hauptgeschäftstage für Gärtnereien und Blumenläden geworden. Der Heilige wurde 1970 aus dem offiziellen kirchlichen Kalender gestrichen, doch die weltlichen Traditionen werden weiterhin gepflegt.

MS/CLL
Illustration: Anja Just

Katholisch-närrisch und paramilitärisch

blau-gelb gekleideter Narr mit Narrenkappe

Der Fasching oder Karneval mit seinen fröhlichen Bräuchen stellt eine Ausnahmezeit dar. Faschingsumzüge, Prunksitzungen und Maskenbälle sind ausschließlich dieser sogenannten „Fünften Jahreszeit“ vorbehalten. Wer würde aber vermuten, dass hinter dem vordergründigen Unsinn viel Symbolik steckt?  Und wer käme gar auf die Idee, der Fasching wäre ein von der katholischen Kirche gefördertes Vergnügen?

Doch warum entpuppen sich ausgerechnet Zentren der katholischen Welt wie Venedig, Mainz, Köln, München oder Rio de Janeiro als Karnevalshochburgen? Tatsächlich sind die Motive der Fastnachtsbräuche in christlicher Zeit zu finden. Die Kirche hatte nämlich erkannt: Ausgelassenheit, Tanz, Spiel und Maskerade, Ess- und Trinklust vor dem gesetzten Verzicht der Buß- und Fastenzeit waren berechtigte Verlangen, die befriedigt werden mussten. Benennungen wie „Fasching“ oder „Karneval“ weisen darauf hin: Das mittelhochdeutsche „vastschanc“ bezeichnet den Ausschank vor der Fastenzeit, das lateinischen „Carne vale“ heißt „Fleisch, lebe wohl!“

Aber warum herrscht in Fasching und Karneval kurzzeitig Narretei? Dafür lieferte die „Zwei-Welten-Lehre“ des Hl. Augustinus die Vorlage: Er unterschied zwischen der irdisch-vergänglichen Welt mit ihren Lastern, für das einfache Volk symbolisch dargestellt als närrische Zeit, und einer überirdisch-ewigen, erreichbar durch Bußfertigkeit und Abstinenz.

Daraus erschließt sich auch die Schlüsselfigur des Faschings, der Narr: Dieser hat das verheißene Paradies aus dem Blick verloren. In seiner Torheit sitzt er dem Vergänglichen, einem vorübergehenden närrischen Reich, auf.
Ganz wesentlich zum Fasching gehört die Maskerade. Hierin scheinen alte Glaubensvorstellungen auf. Teufel und Hexen versinnbildlichen die Verführer der Welt. Neben Narrenkönigen, -prinzen und Hofstaat als Herrscher treten die Bürger dieser verkehrten Welt in Narrenkostümen auf. Ihre „Fehler“ offenbaren sich in farblich zweigeteilten Kostümen. „Sünder“ treten als Befleckte in Fleckengewändern auf. Maskiert als Schwarze, Indianer, Türken oder Chinesen begegnen uns im Fasching jene Ethnien, die in der christlichen Geschichte abfällig als Heiden bezeichnet wurden.

Die Zehn Gebote, die im Christentum den verbindlichen Wertemaßstab vorgeben, sind in der flüchtigen Narrenwelt außer Kraft gesetzt. Die Zahl Elf ist infolgedessen zur Zahl der Narren geworden, weshalb der Beginn der närrischen Zeit am 11.11. um 11.11 Uhr ausgerufen wird.

Jüngeren Ursprungs als die schwäbisch-alemannische Fastnacht und der baierisch-österreichische Fasching ist der rheinische Karneval. Er etablierte sich im 19. Jahrhundert als Spott auf die napoleonische und preußische Besatzung der rheinischen Gebiete. Dies erklärt die Gardeuniformen als Faschingskostüme, Marschmusik, Prinzengarde wie überhaupt alles pseudomilitärische Zeremoniell. Der Elferrat als Karnevalsparlament spielt auf den Jakobinerrat der Französischen Revolution an. Höhepunkte des rheinischen Karnevals stellen neben den Prunksitzungen die großen Faschingsumzüge dar. Diese beziehen ihre Vorbilder wiederum aus der Zeit der Gegenreformation. Denn bereits die Jesuiten erlaubten ihren Studenten am Faschingssonntag den Umzug mit Schlitten, auf denen die Schwächen der Welt kritisch dargestellt werden durften. Helau, wer hätte das gedacht!?

MS

Alternative Buildings

Renoviertes Waldlerhaus im Schnee

Hört ihr Leut‘ und lasst euch sagen, eine Ritterburg soll im Zwieseler Land entstehen! Der Nachbau einer Burg aus dem 11. Jahrhundert ist die grandiose Idee eines Planers, der damit ein deutschlandweit einzigartiges Projekt in den Wald stellen möchte. Eine mittelalterliche Burg mit Schenke, Restaurant, Rittersaal und Gewölbekeller. Die „Burg Rothberg“ soll auf dem Kellerberg bei Lindberg thronen. Das wird grandios! Gigantisch! Vor unseren Augen entsteht die großartigste Burg, die je gebaut wurde! Die „neue mittelalterliche“ Burg soll mit Naturstein und Holz verblendet werden, damit sie „echt alt“ aussieht, ein „alternative castle“. Ein Handwerkerdorf und eine Eventarena werden mittelalterliches Lebensgefühl vermitteln. Der Natur- und Erlebnispark mit angelegten Wanderwegen auf einem Areal von rund 80 000 Quadratmetern – eine Größe von rund elf Fußballfeldern – soll Natur- und Entschleunigungstourismus vereinen. Hier werden „alternative facts“ in die Tat umgesetzt.

Im Zwieseler Land regt sich heftiger Widerstand. Die Bewohner der anliegenden Rotkotsiedlung fürchten Verkehrsbelästigung und Umweltzerstörung. Zudem gibt es auf dem Kellerberg ein Landschaftsschutzgebiet und ein ehemaliges Bergwerk, in dem seltene Fledermäuse hausen. Derart kleine Tiere haben schon ganz andere Planungen verhindert.

Architektur ist Ausdruck von Kultur, ist Heimat. Wo man nicht mehr unterscheidet zwischen „echt alt“ und „auf alt gemacht“, geht Identität verloren. Gebäude bestimmen den Ortscharakter, neue Gebäude verändern die Landschaft. Wer mit offenen Augen durch die Gegend wandert, findet alte Höfe und Häuser, Burgen und Dörfer mit mittelalterlicher Substanz. Der Bayerische Wald braucht keine Kulissenarchitektur, er hat – immer noch – Bauten vorzuweisen, die von der Heimat und ihrer Geschichte Zeugnis ablegen. Mit Vorstellungskraft, Mut und Phantasie lassen sich diese echten alten Häuser wieder bewohnbar machen und bieten ein unvergleichliches Wohngefühl. Ihre Patina ist unersetzlich, sie haben eine Seele und vermitteln Heimat. Mittlerweile gibt es Vorreiter.  Einige coole Bauherren haben sich in das Abenteuer der Sanierung gestürzt und es nicht bereut. Diese gelungenen Beispiele sind beeindruckend und zur Nachahmung empfohlen.

Der „Waidler“ darf seinen eigenen Werten gerne mehr vertrauen. Der Nationalpark Bayerischer Wald mit echter Wildnis liegt vor der Haustür, sein Potential ist längst noch nicht ausgeschöpft. Natur, Tiere, Wildnis bieten Erholung und Entschleunigung pur. Wandern, Radeln, Reiten, Skifahren und eine gute Gastronomie, das ist sanfter Tourismus, der Entspannung schenkt. Hier gibt’s noch viel zu tun. Mittelalterfans treffen sich im Bayerischen Wald schon seit Jahren zu Gelagen, sie campen in Zelten, baden im Freien, tragen Kämpfe aus und kochen am offenen Feuer. Sie brauchen keine schicke Burg, sie wollen keine „alternative culture“, sie wollen Erlebnis hautnah, echt und ohne Komfort. Eine nachgebaute Ritterburg kann das nie bieten.

Ines Kohl

Kleider machen Leute

Szenenbild Fliegender Holländer als Pirat

Dass Kleider Leute machen wissen wir nicht erst seit der Novelle des Schweizers Gottfried Keller von 1874. Denn kaum ein Phänomen spiegelt so sehr Individualität und Zeitgeist wider wie unsere Kleidung. Sie verlangt von  jedem Einzelnen alltägliche Entscheidungen, kennzeichnet Zugehörigkeiten oder hebt heraus. Gesellschaftliche Konventionen prägen unser Kleidungsverhalten, weil wir glauben (wollen), dass auf den ersten Blick zu erkennen sei, wen wir vor uns haben.
In zügellosen Zeiten wie dem Fasching sind diese Konventionen seit jeher ausgesetzt. Jeder kann und darf beliebige Spielarten seiner Persönlichkeit zur Schau tragen oder in eine Rolle schlüpfen. Von uniform bis originell ist alles drin. Aus dem Nadelstreifenanzug wird ein schriller Aufzug, aus der grauen Masse ein buntes Durcheinander. Die Welt steht Kopf, der Bischof wird zum Bettelmann, der Handwerksbursch zum König, Frau Nachbarin zum Cowboy Jim.

Die spielerische Leichtigkeit im Umgang mit Rollenbildern, die wir uns einmal im Jahr leisten, ist in den Kinderzimmern der Welt alltägliche Wirklichkeit. Mit wenigen Kleidungsstücken und Requisiten, dafür mit umso mehr Phantasie verwandeln sich Kinder leidenschaftlich gern in wilde Tiere, Burgfräulein und Ritter, Monster und feine Damen, in Ninjas, Feen und Superhelden. Die Schleife im Haar macht zur Prinzessin, der Karton auf dem Kopf zum Astronauten und das laute Geschrei zum wilden Tiger.

Mit zunehmendem Alter schwächelt die Vorstellungskraft etwas. Die Flucht in andere Zeiten und Welten ist dennoch willkommene Abwechslung zum grauen Alltag. Aufwendige Schauspiel- und Musicalproduktionen erfreuen sich daher ungebrochener Beliebtheit und sind Highlight mancher Städtereise. Aber auch die zahlreichen Laienspiel- und Amateurtheaterbühnen – allein ca. 350 in Niederbayern – erfreuen sich eines treuen Publikums und bereichern die Kulturszene alljährlich mit einem abwechslungsreichen, sehenswerten Programm. Ohne Kostüme, Maske und Requisiten geht auch hier nichts. Der kindlichen Lust am Rollenspiel und Verkleiden darf auf der Bühne ganzjährig gefrönt werden.

Seit zwanzig Jahren unterstützt der Bezirk Niederbayern diese Kulturtradition tatkräftig: Im Kostüm- und Requisitenfundus des Laienspielzentrums auf dem Gelände des Bezirksklinikums Mainkofen stehen niederbayerischen Theatergruppen über 1000 Einzelteile kostenfrei zur Verfügung. Für leidenschaftliche Schauspieler und Verkleidungskünstler birgt der Fundus viele Schätze: Von Abendkleid bis Zauberstab, von Zepter bis Abakus. Mehr Informationen auf den Laienspiel-Seiten des Bezirks.

Christine Lorenz-Lossin

Shabby Chic® oder Von den Widersprüchlichkeiten des Alltags

Ein Stapel alter Fransen-Tücher

Im kalifornischen Santa Monica, am Pazifikstrand vor L.A., steht die Wiege des Shabby Chic-Trends, den Lifestyle-Magazine und Einrichtungsberater längst in alle Welt getragen haben. 1989 eröffnete die englische Stylistin Rachel Ashwell hier einen Laden, der mit Flohmarktstücken handelte. Inzwischen ist sie Teilhaberin mehrerer Labels und das Oxymoron Shabby Chic als Warenzeichen geschützt.
Shabby Chic (von engl. shabby = schäbig, heruntergekommen) meint einen Einrichtungsstil, bei dem Erbstücke, Flohmarktkäufe und Selbstgemachtes ungeniert gemischt werden. Sichtbare Gebrauchsspuren sind dabei kein Makel, sondern gehören genauso zum Konzept wie rostige Scharniere, schlieriges Glas und abblätternder Lack.
Die im Angebot von Online-Portalen und Möbelhäusern zahlreich zu findenden antik anmutenden Möbel und Gegenstände stammen – aufgrund der großen Nachfrage – aber längst nicht mehr vom Flohmarkt oder Omas Speicher, sondern aus Fabriken und Industriehallen, wo Oberflächen und Bezüge einem künstlichen Alterungsprozess unterzogen werden. Dabei soll es sich bei Shabby Chic, wie die einschlägige Literatur beteuert, nicht um wertlosen Plunder handeln, sondern um Möbel, die ihre eigene Geschichte erzählen. Ach ja?!

Was in den 1980er Jahren als Gegenbewegung zur kostspieligen Innenausstattung der oberen Mittelklasse-Landhäuser in England entstand, hat über das hippe Santa Monica als massentauglicher Trend zurück nach Europa gefunden. Shabby ist in! Ob als Stilmöbel, patinierter Schmuck oder Jeans im used look – Gebrauchsspuren suggerieren uns Einzigartigkeit, Charakter und Geschichte. Mit Sorgfalt ausgesuchte Accessoires werden scheinbar beliebig zusammengestellt. Was zählt ist Gemütlichkeit statt Schlichtheit, Üppigkeit statt Purismus. Alt darf es aussehen, aber praktisch und bequem muss es sein – und Geld spielt keine Rolle, wo Geschmack und Individualität unter Beweis gestellt werden wollen.
Das samtige Sofa abgewetzt wie von Generationen gemütlicher Kaffeekränzchen, aber mit modernster Federkerntechnik; die Häkeldeckchen wie handgemacht, aber ohne Stockflecken; die Rüschenbluse wie aus Omas Wäscheschrank, aber ohne Mottenkugelduft; die Boots wie nach tagelangem Viehtrieb, aber zu teuer für Regenwetter – Shabby Chic ist und bleibt ein Widerspruch in sich.

Leider stimmt auch nicht, was uns als Mehrwert dieses Trends verkauft wird: Die Wertschätzung von historisch Überliefertem wird nicht größer, weil wir uns mit stilvollen Imitaten umgeben. Vielmehr verliert sich der Blick für die wahren Schätze immer mehr, je kunstvoller die Attrappen werden. Wie sonst ist zu erklären, dass im Zwieseler Land ein Erlebnispark mit künstlichem Mittelalterflair entstehen soll, während ringsum historische Denkmäler verfallen?

Christine Lorenz-Lossin

Ort schafft Mitte

Spielplatz in Johannesbrunn, Landkreis Landshut

Auf dem Spielplatz in Johannesbrunn herrscht reges Leben. Kleine und größere Kinder tollen auf den hölzernen Geräten und Bauten herum, Mütter und Väter plaudern oder picknicken an den verstreuten Sitzgruppen, in den Kinderwägen liegen brabbelnd die Kleinsten. Mit dem 2009 eingeweihten Spielplatz neben der Pfarrkirche hat sich der Ort Johannesbrunn eine neue Mitte geschaffen. Es brauchte dazu keine Millionen aus öffentlichen Fördertöpfen, keinen Stararchitekten, keine Riesenchristus- oder Konzerthaus-Hybris aus der elitären Geisteswelt selbsternannter Kulturbotschafter. Der kreative Kopf des Projektes ist der seit 2010 ortsansässige Bildhauer Örni Poschmann. Mitgewirkt aber haben sie alle, die jungen Familien, Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde. Sie waren von Beginn an in den kreativen Prozess eingebunden, durften den Platz selbst – ideell und materiell – mitgestalten. So kann es auch gehen. Gemeinsam, alle zusammen.

Szenenwechsel. Ich bin zu Gast in der neuen Heimstatt des Künstlers und seiner Familie, einer alten Hofstelle am Ortsrand von Johannesbrunn. 2010 hat es sie von Wendeldorf bei Aham, wo sie seit 1996 wohnten, hierher verschlagen. Der Bildhauer führt mich durch das neu erbaute Atelierhaus im Garten hinter dem Hof, wo er neben einer großzügigen Werkhalle und mehreren Arbeitsräumen auch Schlaf- und Gemeinschaftsräume eingerichtet hat. Der Bau soll nicht nur ihm und seiner Frau, der Künstlerin Judith Lipfert, als Atelier dienen, sondern zugleich Freunden, Künstlern und Handwerkern eine Wohn- und Werkstätte sein. Momentan sind zwei Handwerksgesellen auf der Walz zu Gast. Der eine sitzt gerade in der Stube, hilft Poschmanns Ältestem bei den Hausaufgaben, der andere sonnt sich draußen auf der Türschwelle. Demnächst werden weitere eintreffen, um für einige Tage gemeinsam im Atelierhaus zu wohnen und zu arbeiten.

Die Eingangs-Szenerie, die ich vorfinde, ist bezeichnend für Poschmann: als Mensch, aber auch als Künstler. Er selbst versteht sich mehr als Handwerker. Auch das Atelierhaus ist sein Werk. 1965 in Berlin geboren, machte er von 1986 bis 1989 eine Bildhauerlehre. Es schlossen sich Wanderjahre im In- und Ausland an, die 1992 bis 1994 in eine Zimmererlehre mündeten. Noch heute pflegt er regen Kontakt zu den Handwerksgesellen von damals. Das Haus der Familie Lipfert-Poschmann ist ein offenes Haus.

Diese Haltung setzt sich im Werk fort. Denn Kunst ist bei Poschmann vor allem Mittel und Ausdruck von Kommunikation. Bei vielen Holzobjekten für den öffentlichen Raum steht das spielerische Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund. Auf einem großen Mühlespiel bilden die Kinder selbst die Mühlensteine. Aus der Interaktion im Spiel entsteht Gruppendynamik; soziales Erleben und Erlernen wird auf diese Weise gefördert. Dasselbe gilt auch für andere Spielobjekte, wie sie Poschmann mittlerweile für viele Auftraggeber – häufig Kindergärten und Horte – geschaffen hat: die offene Kaufladentheke ebenso wie der Schlangenturm, der anhand von Tierskulpturen den Naturkreislauf veranschaulicht. Gäbe es für Bildende Kunst ähnlich wie für Filme das Prädikat „besonders wertvoll“, Poschmanns Werke hätten es verdient.

All das zeigt uns, dass die Kunst von Örni Poschmann nicht für sich alleine stehen will. Ihr Werden ist kein isolierter Akt im Atelier; ihr Sein braucht die Umgebung, die Natur und den Menschen als Resonanzraum. Und wenn sie wie beim Johannesbrunner Spielplatz konkret gemeinschaftsstiftend wirkt, findet dieser Wesenszug seine ideale Erfüllung. Und unsere Welt ist um einen heimatlichen Ort reicher geworden.

Philipp Ortmeier

Drei Weise aus dem Morgenland

Als Jesus Christus geboren wurde, leuchtete ein besonderer Stern am Himmel. Ihm folgten drei Weise aus dem Morgenland. Im Stall zu Bethlehem fanden sie den Neugeborenen, den sie als Sohn Gottes erkannten. Sie beschenkten ihn mit Kostbarkeiten: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Die Menschen glaubten, nur Könige könnten sich solche Geschenke leisten. Deshalb spricht man von den Heiligen Drei Königen.

Das Fest der Heiligen Drei Könige am 6. Januar ist eines der ältesten Kirchenfeste. Es heißt auch Epiphanie oder Erscheinung des Herrn. Schon 300 n. Chr. wurde es als Fest der Geburt und Taufe Jesu begangen. Die orthodoxen Christen feiern an diesem Tag noch heute ihr Weihnachtsfest.

Als Weise aus dem Morgenland zogen früher Schüler und Handwerksgesellen von Haus zu Haus. Mit einem Dreikönigslied baten sie um milde Gaben. Seit etwa 1950 werden Ministranten als Sternsinger ausgesandt. Sie sammeln Spenden für wohltätige Zwecke. Zum Dank schreiben sie ihren Segensspruch an die Haustüren: Die Jahreszahl und C + M + B. Was aussieht wie die Initialen der Heiligen Drei Könige – Caspar, Melchior und Balthasar – bedeutet eigentlich „Christus Mansionem Benedicat“ (Christus segne dieses Haus).

Maximilian Seefelder und Christine Lorenz-Lossin
Illustration: Anja Just

Magische (literarische) Orte

Noahs Barthaare, Fischgräten von der Speisung der 5000, Tränen Christi oder Milch der Gottesmutter in handlichen kleinen Fläschchen – jahrhundertelang glaubten Christen an die Wundertätigkeit dieser Dinge und ihre Verweiskraft auf weit entfernte heilige Stätten. Der aufgeklärte Mensch belächelt solch skurrile Auswüchse mittelalterlicher Reliquienkulte, die mit rationalem Denken nicht nachvollziehbar sind. Die Moderne hingegen hat ihre eigenen, säkularen Gnaden- und Wallfahrtsorte geschaffen. Hier sind Generationen von Fans zu nennen, die ans Grab von Elvis Presley, Lady Di oder Michael Jackson pilgern. Aber auch (hoch)kulturaffine Menschen, die sich gefeit vor solchem Starkult wähnen, erliegen oft der Strahlkraft historischer Persönlichkeiten. Dies gilt im ‚Land der Dichter und Denker‘ vor allem für eine Vielzahl von Autoren und Schriftstellerinnen, die deutsche Literaturgeschichte geschrieben haben. Wer Weimar besucht, kommt an Goethes Gartenhaus und Schillers Arbeitszimmer nicht vorbei. Tabakdose, Schreibfeder und Tintenfass werden hier ebenso sorgsam gehütet, wie andernorts Kirchenschätze.

Die europaweit einzigartige „Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V.“ vertritt über 215 Mitglieder mit dem erklärten Ziel, die literarische Vielfalt Deutschlands zu erhalten und ihr weiterhin die nötige Anerkennung und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zum Dachverband gehören zahlreiche Literaturmuseen und Dichterstätten im In- und Ausland. Obwohl öffentliche wie private Träger mit immer knapperen Etats zu kämpfen haben, ist der Boom musealer Einrichtungen, gerade auch im Bereich Literatur, ungebrochen.

Zu den niederbayerischen Glanzstücken gehört die Ausstellung „Born in Schiefweg“, die seit 2010 im Geburtshaus der Heimatdichterin Emerenz Meier (1874-1928) nicht nur dieser starken Frau ein Denkmal setzt, sondern auch die Geschichte der Auswanderung aus dem Bayer- und Böhmerwald „ins Amerika“ erzählt. Im Rosenberger Gut bei Lackenhäuser erinnert ein Museum an Adalbert Stifters (1805-1868) dortige Aufenthalte. Auch hier darf der originale blitzsaubere Schreibtisch mit Tintenfass und Feder nicht fehlen.

Ein neues Kapitel ist Paul Friedl (1902-1989) gewidmet: Sein Geburtshaus in Pronfelden bei Spiegelau wird in den kommenden Jahren ins Freilichtmuseum Finsterau transloziert, um das denkmalgeschützte Gebäude vor dem Verfall zu retten und darin eine Begegnungs- und Pflegestätte für die Literatur des Bayerischen Waldes einzurichten. Auch, wenn der „Baumsteftenlenz“ nur die ersten drei Jahre seines Lebens in dem Haus verbracht hat – es wird Fans und Besucher finden, die sich von diesem Ort magisch angezogen fühlen.

Christine Lorenz-Lossin

 

Stille Nacht, Heilige Nacht – ein weltumspannender Friedensgruß

Notenblatt "Stille Nacht"

Wir singen es alle Jahre wieder am Heiligen Abend, und mit uns etwa 2,5 Milliarden Menschen weltweit in mehr als 300 Sprachen und Dialekten: Stille Nacht, Heilige Nacht – das berühmteste aller weihnachtlichen Volkslieder.
Text und Musik entstanden etwas zeitversetzt und an verschiedenen Orten im benachbarten Österreich. 1816 verfasste der Hilfspfarrer und Dichter Joseph Mohr in Mariapfarr im Lungau im Südosten des Salzburger Landes die sechs Strophen der Originalversion. Die Melodie dazu ersann zwei Jahre später der Komponist und Lehrer Franz Xaver Gruber in Arnsdorf im Flachgau im nördlichsten Teil des Landstrichs. In Oberndorf an der Salzach, an der Grenze zum bayerischen Laufen, erklangen Text und Komposition erstmals gemeinsam. Am 24.12.1818 erlebte „Stille Nacht, Heilige Nacht“ bei der Christmette in der Kirche St. Nikolaus seine Uraufführung. 2018 wird man also das Zweihundertjährige einer zunächst „einfachen Composition“ feiern, deren heutige Popularität ihre Schöpfer wohl in Erstaunen versetzen würde.

Die Verbreitung des Weihnachtslieds setzte schon unmittelbar nach seiner Entstehung ein. Es waren Zillertaler Händler, die zwischen Advent und Lichtmess weit umherreisten, um auf städtischen Märkten ihre Waren feilzubieten. An den Ständen lenkten sie mit bunten Trachten und anrührenden Volksliedern aus der Heimat so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass sich Letztere bald als die eigentlichen Verkaufsschlager erwiesen. Auf diese Weise entstanden im frühen 19. Jahrhundert die berühmten Zillertaler Sängerdynastien Rainer und Strasser. Mit „Stille Nacht“ im Reisegepäck gelangten sie nach Leipzig, Berlin, Paris, London, Sankt Petersburg und trugen das Lied schließlich bis nach Amerika und in die Welt hinaus. Ein erster Faltblattdruck erschien 1833 in Dresden. Damit war die internationale Verbreitung eingeleitet. Im 20. Jahrhundert sorgte Bing Crosby für seine Popularität. 1937 nahm er „Silent Night“ erstmals auf und verkaufte es in ständig neuen Versionen über 30 Millionen Mal. Weit über tausend Tonträger dürften es mittlerweile sein, auf denen das Stille-Nacht-Lied eingesungen wurde, u. a. von Berühmtheiten wie Plácido Domingo oder den Wiener Sängerknaben. Nicht zu vergessen sind die Filme der Jahre 1910, 1934, 1968, 1988, 1997 und 2012, die von der Stille-Nacht-Geschichte handeln. Der heutige Bekanntheitsgrad von „Stille Nacht“ liegt bei 80 bis 100 Prozent – nicht nur in Europa, auch in Amerika, Afrika, Russland, Australien und China.

Die geschickte Vermarktung des Lieds und seiner Geschichte ist die eine Sache. Aber was spricht für seine Bedeutung und Beliebtheit? Nun, im Zuge der Aufklärung wurde auch die Kirchenmusik reformiert. Damit war eine wesentliche Voraussetzung für deutschsprachiges Liedgut im Gottesdienst geschaffen worden. Auch historisch-politisch betrachtet hätte es keinen passenderen Zeitpunkt gegeben: Das Stille-Nacht-Lied entstand wenige Jahre nach den Napoleonischen Kriegen, die über Europa hinwegfegten, ganze Landstriche verwüsteten und die Bevölkerung in Not und Elend stürzten. Dementsprechend groß war die Sehnsucht nach Frieden. Eben diese Sehnsucht bringt die schlichte Pastorale von der Stillen Heiligen Nacht zum Ausdruck. Hinzu kommen musikalische Aspekte: Die eingängige Melodie mit der Wiederholung von Tonfolgen, die gut singbare Tonlage, der gefällige Wiegenlied-Rhythmus sowie die einfache Zweistimmigkeit, die dem kollektiven Musikverständnis des bayerisch-alpenländischen Raums traditionsgemäß entgegenkommt. Nicht zu vergessen ist das beglückende Erlebnis gemeinsamen Singens. In hochemotionalen Momenten wie etwa am Ende der Christmette bewegt es die Herzen – nicht zuletzt weil wir uns in der Gemeinschaft friedfertiger Menschen geborgen fühlen dürfen. „Stille Nacht“ macht’s möglich.
In diesem Sinne friedliche, frohe Weihnachten!

Maximilian Seefelder

Heimat kulinarisch

Zeichnung von Blunzengröstl aus Blutwurts und Kartoffeln

Der Gaumen hat ein langes Gedächtnis. Gerüche und Geschmäcker bleiben lebenslänglich erhalten, die guten wie die weniger angenehmen. Nach Leibspeisen befragt, fallen einem wohl meist nicht ungewöhnliche exotische Gerichte ein, sondern schlichte Speisen aus der Kindheit, vielleicht ein Erpfezwirl, Maultaschen oder Zwetschgenknödel. Und trotz ernsthafter Bemühungen, weniger Fleisch zu essen, kann mich hie und da nichts von Leber- und Blutwurst mit Kraut und Kartoffeln abhalten.

Die traditionelle regionale bayrische Küche ist nicht fleischlastig, wie das manchen Schweinshaxenfans in ihren Träumen erscheinen mag. Sie richtet sich nach Kulturlandschaften, Bräuchen und Jahreszeiten. Nach dem Krieg brachten die Zuwanderer aus dem Osten ihre Kochtraditionen mit, später dann kamen Einflüsse aus Italien und Jugoslawien, aus Griechenland und der Türkei und auch aus der asiatischen Küche hinzu und haben dazu beigetragen, dass der Spagat zwischen traditioneller und moderner, leichter Küche gelingen konnte.

Das Bewusstsein für regionale und saisonale Produkte ist gewachsen, immer mehr Köche entdecken vergessene Genüsse neu. Sie besinnen sich wieder auf ihr Handwerk, machen sich die Mühe, Innereien aufzutischen, wenn auch dazu manchmal außer dem Aufwand in der Küche zusätzlich Überzeugungsarbeit beim Gast geleistet werden muss. Dafür verschwinden zuagroaste Zutaten langsam wieder aus den Töpfen und den Köpfen der bayerischen Köche, die Gemüse und Obst, Milch und Käse aus der Region bevorzugen. Und wenn endlich unsere niederbayerischen Bauern und Metzger stolz sind auf ihre Produkte und sehen, dass sich ihr Käse nicht verstecken muss hinter einem Pecorino, ihr Gselchtes es aufnehmen kann mit einem Pastrami, dann wird alles gut.
Küche und Kochen hat viel mit Identität zu tun. Das Essen ist ein Gradmesser für Kultur. Dass sich unsere Küche durch vielerlei Einflüsse verändert und dazugewonnen hat, ist ein Indikator für die Vielfalt der Gesellschaft. Die hat dazu beigetragen, dass Rezepte keine Dogmen mehr sind. Am Herd herrscht nicht die Vorschrift, sondern die Freiheit. Der Kochlöffel ist der Dirigierstab, Nase und Gaumen, Hände, Augen und selbst die Ohren sind beteiligt an dem, was im Kochtopf passiert. Der Duft der Gewürze, die Textur eines Teigs, die Farben der Gemüse und das Knistern von heißem Fett – hier sind alle Sinne beteiligt und vereinen sich zum guten Ende am Gaumen des Genießers. Essen macht glücklich, ist Gemeinsamkeit und Heimat!

Ines Kohl
Illustration: Claudia Weigert-Trinkler

Die Illustration ist entnommen dem „Koch-Kunst-Sammelsurium“ – Kulinarrisches (!) und Kurioses.
Rezepte und Texte: Ines Kohl / Bilder: Claudia Weigert-Trinkler / Druck: Verlag Ebner, Deggendorf  ISBN:978-3-934726-83-3