Dirndl an? Dirndl aus?

Ausschnitt Dirndl

Ein Septemberabend an der Tankstelle mitten in Niederbayern: Ich stehe im Dirndl an der Kasse und bezahle. Die junge Kassiererin meint fröhlich: „Na, geht’s zum Oktoberfest?“. Ich verneine und erkläre, dass ich zu einer Veranstaltung vor Ort unterwegs bin. Darauf folgt ihre erstaunte Antwort: „Ach was, da trägt man sowas auch?“

Tracht wird anscheinend mehr und mehr als Verkleidung für die Bierzeltparty wahrgenommen. In den Kleiderschränken der Jugend finden sich das Dirndl respektive die Lederhose als Pflicht-Accessoire. Man will ja zünftig ausgerüstet sein für die diversen Volksfeste im Jahreslauf. Dieses Kleidungsverhalten wird gern als bewusster Ausdruck der Verbundenheit mit der Region interpretiert und hochgelobt. Bayern ist gerade in – wir sahen es, nebenbei bemerkt, im Sommer auch an den aufblasbaren Weißwürsten und Brezen in Übergröße, die in großer Zahl in den bayerischen Badeseen umherschwammen.

Grundsätzlich ist es durchaus erfreulich, dass man sich gern in Tracht oder was man dafür hält zeigt. Auch Touristen bekunden ihre Sympathie mit der Region durch bayerisch angehauchte Kleidung. Dennoch zwingt sich eine Frage auf: Ist regionale Zugehörigkeit etwas, das man nur zu bestimmten Gelegenheiten zeigen soll? Im Dirndl ins Bierzelt – klar, das erwartet jeder. Im Dirndl auf den Wochenmarkt oder ins Klassikkonzert? Da treffen einen schon leicht irritierte Blicke. Ganz so weit her ist es mit der regionalen Verbundenheit, die sich im Kleidungsverhalten ausdrückt, dann doch nicht. Samstagabend ist Bayern quasi in, Mittwochmittag eher nicht. Schade eigentlich. Ganz Mutige sollen ihre Lederhose übrigens schon dann angezogen haben, wenn ihnen grad danach ist. Beim Gassi Gehen mit dem Hund zum Beispiel. Und danach sind sie in der gebleichten Jeans auf’s Oktoberfest gefahren.

Veronika Keglmaier

 

 

Mehr Heimat durch das neue Landesentwicklungsprogramm?

Luftbild vom Gewerbegebiet in Vilsbiburg

Die bayerische Staatsregierung hat gegen den Widerstand der Fachwelt – einer Allianz von Landesplanern, Natur- und Umweltschützern, Heimatpflegern und (Landschafts-)Architekten – ein neues Landesentwicklungsprogramm (LEP) verabschiedet, das künftig die Ansiedlung von Gewerbe im sogenannten Außenbereich ohne Anbindung an die vorhandene Bebauung deutlich erleichtert. Es droht die Versiegelung ganzer Landstriche, wenn es nicht gelingt, den hektarweisen Verlust wertvoller Äcker und unbebauter Kulturlandschaft deutlich zu drosseln und bestenfalls künftig zu vermeiden.

Aber noch immer bevorzugen es viele Gemeinden, einfach am Ortsrand neue Flächen auszuweisen, wieder eine Umgehungsstraße zur Entlastung der Ortskerne zu planen und zu bauen, wo sich weitere Betriebe, Einkaufs- und Logistikzentren ansiedeln. Gleichzeitig beklagt man die Verödung der Ortskerne und den Verlust wohnortnaher Einkaufsmöglichkeiten.

Helfen könnte eine gezielte Förderpolitik der Regierung, ein Führen am „goldenen Zügel“: Kein Geld für edle Ortskernsanierungen, wenn gleichzeitig am Ortsrand der globalisierte Einzelhandel angesiedelt wird und so die gewünschte Revitalisierung ab absurdum geführt ist.

Das gelänge durch eine intelligente Nutzung des vorhandenen Bestandes auch mit Hilfe der allgegenwärtigen Digitalisierung. Auch für das Gewerbe wäre mit etwas mehr Kreativität eine Innenentwicklung möglich, wenn Kommunen innerörtliche Brachen und nicht mehr benötigte Gewerbeflächen an den Ortsrändern gezielt aktivieren würden. Selbst die Konsumenten können einen aktiven Beitrag gegen den Flächenfraß leisten, indem sie vermehrt regionale und lokale Anbieter und Handwerker fördern: Wenn sie wohnungsnah einkaufen statt über das Internet Waren zu bestellen. Dann wäre auch der Frachtverkehr von und zu den Logistikzentren hinfällig, für dessen Infrastruktur wiederum Boden versiegelt wird.

Einseitiges Schielen auf sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen verhindert intelligente interkommunale Lösungen und damit eine mögliche Reduzierung des Flächenfraßes. Durch das neue LEP – von manchen auch als „Landeszerrüttungsplan“ bezeichnet – wird die Zersiedelung unserer Heimat eher angeheizt als eingedämmt. Dass dies ausgerechnet der bayerische Heimatminister zu verantworten hat, ist die besondere Pointe der Geschichte.

Helmut Wartner

Äpfel, Nüss‘ und Mandelkern

Alljährlich am Vorabend des 6. Dezembers bekommen Kinder Besuch vom Heiligen Nikolaus. Ihnen wird erzählt, dass er gute wie böse Taten in einem goldenen Buch verzeichnet. Meist tritt er als Bischof mit Mitra und Bischofsstab auf, der gute Taten mit Geschenken belohnt.

Nikolaus war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in der heutigen Türkei. Er ist der bekannteste und beliebteste Heilige der Ost- und Westkirche. Viele Legenden beschreiben ihn als großen Menschenfreund: Armen Familien soll er ebenso geholfen haben, wie in Seenot geratenen Pilgern oder zu Unrecht Verurteilten. Daher wird er als Patron der Kinder, der Reisenden und Gefangenen verehrt.

Die Legenden rufen in Erinnerung, Gutes zu tun und Freude zu schenken. So gilt Nikolaus seit Jahrhunderten als gutes Vorbild und ist in Kindergärten und Schulen gerne gesehen. Sankt Nikolaus als großer Kinderfreund hat auf der ganzen Welt „Verwandte“: Als Weihnachtsmann im roten Mantel und mit weißem Bart beschert Père Noël, Father Christmas, Sinterklas, Santa Claus oder Noel Baba Kinder in anderen Ländern.

Maximilian Seefelder und Christine Lorenz-Lossin
Illustration: Anja Just

Kultiviertes Rindvieh

Mutterkuh mit Kalb im Stall

Die stattliche Pinzgauerin, die schwarze Tuxer, die zierliche Hinterwäldlerin oder die schlanke Chianina… Man fühlt sich beinahe an die Schönheitsgalerie König Ludwigs I. erinnert, der die schönsten Frauen seiner Zeit von Hofmaler Joseph Karl Stieler portraitieren ließ. Aber hier ist nicht von weiblicher Anmut des 19. Jahrhunderts die Rede, sondern von Rindern. Genauer gesagt, von alten Rinderrassen, also von Haus- und Nutztieren, die der Mensch in wenigen Jahrtausenden aus ihren Wildformen herausgezüchtet hat.

Seit knapp 7000 Jahren lebt das Rind in der Obhut des Menschen. Nach aktuellen Schätzungen gibt es auf der Welt etwa 1,5 Milliarden Rinder. Sie verteilen sich auf ca. 1200 Rassen, die im Lauf ihrer Geschichte durch selektive Zucht an Standorte und klimatische Bedingungen, vor allem aber den Zielen ihrer Halter angepasst wurden. Spektakulär ist die Erkenntnis, welche die Wissenschaft dank modernster DNA-Technik gewonnen hat: Der gesamte Hausrindbestand geht auf gerade einmal 80 Tiere aus dem Vorderen Orient zurück. Nicht weniger beeindruckend ist, dass auf diesen wenigen Individuen bis heute das Überleben und der Wohlstand ganzer Völker beruhen, wie Annette Hackbarth in ihrem 2014 erschienenen „Kuhbuch“ berichtet.

Mit der Domestizierung des Auerochsen vor beinahe 11000 Jahren nahm eine unschätzbare Kulturleistung der Menschheit ihren Anfang. Die Haltung von Wildtieren, ihre genetische Isolierung und permanente Zuchtauswahl zeitigte ihre Auswirkung auch auf die Kulturgeschichte selbst: Aus den ehemaligen Jägern und Sammlern waren sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter geworden. Ihnen dienten die domestizierten Tiere als Zug- und Arbeitstiere. Aus der Haustierhaltung gewonnene Produkte wusste man nutzbringend einzusetzen: Sehnen als Nähmaterial, Hörner für Gefäße, Dung zur Ertragssteigerung des kultivierten Ackerbodens sowie als Brenn- und Baumaterial. Fleisch als Eiweißlieferant war eine überlebenswichtige Energiequelle. Als Qualitätsprodukt ist es bis heute ein begehrtes Lebensmittel geblieben. Aus Milch werden Käse, Joghurt, Quark und Butter gewonnen. Hochwertige Produkte aus Rindsleder wissen Kenner zu schätzen.

Allerdings muss man seit langem um die Vielfalt der alten, robusten Landrassen bangen. Die Gründe liegen auf der Hand: Das Bevölkerungswachstum erforderte größeren Nahrungsmittelbedarf. Damit begann die Zucht von Hochleistungstieren. Neben den Rindern waren auch andere Haustiergruppen betroffen: Schafe, Ziegen, Schweine, Enten, Gänse, Hühner und Kaninchen. Die Gewinnung von mehr Fleisch, Milch, Eiern, Wolle und Leder war erklärtes Ziel. Wachsende Städte bedurften der Versorgung. Die Industrialisierung der Landwirtschaft, Massentierhaltung und Hochleistungstierzucht schritten damit einher. Doch mit Letzterer setzte auch der Rückgang der alten robusten, an ihre Standorte angepassten Haustier- und Landrassen ein. Sie stellen nicht nur eine wertvolle Genreserve dar, sondern sind ebenso wie Kunstwerke und Denkmale von Menschen geschaffenes, lebendiges Kulturgut. Dafür engagiert sich die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. (GEH) seit 1981.

Maximilian Seefelder

Die Angst vorm Wolf…

Einsamer Wolf im Wald

Mitte November, traditionsgemäß in der Nacht auf Martini, ziehen im Bayerischen Wald die Wolferer durch Städte und Märkte. Weithin ist dann der ohrenbetäubende Lärm der Schellen zu hören, mit denen eine Gruppe vorwiegend junger Männer (der „Wolf“) ihren Anführer (den Hirten) begleitet. In den Zeiten, als das Jungvieh noch viele Wochen auf Schachten und Waldweiden verbrachte, erbat sich der Dorfhirte alljährlich zum Ende des Weidesommers seinen Hüterlohn von den Bauern. Wo ihm ursprünglich eine kleine Kinderschar von Haus zu Haus folgte, um Äpfel oder Naschwerk zu erheischen, lockt das medial verbreitete Spektakel inzwischen Tausende von Besuchern in den Bayerwald.
Im sogenannten Wolfauslassen spiegele sich noch heute die früher allgegenwärtige Angst vor dem räuberischen Wolf, der die Existenz der Bauern im Bayerwald jahrhundertelang bedrohte, wider – wird vor allem von auswärtigen Medien gerne kolportiert. Ob der Lärm die Wölfe oder gar Dämonen und heidnische Geister abschrecken sollte, darüber gibt es vielfältige Meinungen. Allein die Waldler wissen, dass „der Wolf“ per se eine Fetzengaudi war und ist, mögen andere hinein interpretieren was sie wollen…

Kaum haben die Wolferer ihre rußigen Gesichter abgewaschen und die Schellen fürs nächste Jahr verstaut, rückt der echte Wolf, Canis lupus, das größte Raubtier aus der Familie der Hunde, wieder in den Fokus – und mit ihm die viel zitierte „Angst vorm bösen Wolf“, die bei aller Aufgeklärtheit und Rationalität unserer Zeit nicht aus den Köpfen der Menschen weg zu diskutieren scheint. Seit Wochen halten uns die aus dem Tierfreigelände des Nationalparks bei Ludwigsthal entlaufenen Wölfe auf Trab. Wird ein gerissenes Schaf oder Reh gefunden, geht ein Aufschrei durch Medien und Bevölkerung – auch, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass wildernde Hunde die ‚Täter‘ waren.
Die Wolfsrudel galten lange Zeit als Aushängeschild des Nationalparks Bayerischer Wald und sorgten bei zahlreichen Besuchern für Entzücken und Begeisterung, aber eben nur solange eine mannshohe Umzäunung Tier und Mensch zuverlässig trennte. Einmal in freier Wildbahn gesichtet, werden die großen Beutegreifer zum Reizthema. Kritische Stimmen können sich dabei oft nur auf wenige konkrete Erfahrungen stützen, vielmehr spiegeln sie große emotionale Befangenheit wider. Die Furcht vorm Wolf, in Märchen und Mythen kulturell verfestigt, prägt bis heute wirksam irrationelle Ängste und Bedrohungsszenarien.
Im Sinne eines konfliktarmen Nebeneinanders von Mensch und Natur wär ein rituelles „Wolfauslassen“ wünschenswert, damit sich Mensch und Tier wieder mit Respekt begegnen können.

Christine Lorenz-Lossin

Karriere nach 5300 Jahren

Plastische Rekonstruktion des Ötzi

Am 19. September 1991 gegen 13.30 Uhr machte das Nürnberger Ehepaar Erika und Helmut Simon am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen einen schaurigen Fund. Aus einer mit Schmelzwasser gefüllten Felsmulde ragten Hinterkopf, Schultern und Rücken eines Toten. Mit dieser Entdeckung nahm die größte archäologische Sensation des 20. Jahrhunderts ihren Anfang. Denn die Untersuchungen, die unmittelbar nach der Bergung aufgenommen wurden, lieferten die schier unglaubliche, aber eindeutige Erkenntnis: Der Mann aus dem Eis lebte vor über 5000 Jahren, zwischen 3350 und 3100 vor Christus.
Was nicht weniger aufsehenerregend war: Weil dieser Mensch, wie seine Verletzungen zeigen, vermutlich ermordet und demzufolge mitten aus dem Leben gerissen wurde, ist er mitsamt seiner Kleidung und Ausrüstung erhalten geblieben. So konnten erstmals in der Geschichte der Medizin anatomische Untersuchungen an einem quasi 5000 Jahre alten Menschen vorgenommen werden. Erstmals in der Geschichte der Archäologie war man in der Lage, steinzeitliche Bekleidungssitten und Ausrüstungen im Detail zu studieren. Die Forschungen sind noch nicht abgeschlossen, aber die vorliegenden Ergebnisse liefern mittlerweile ein facettenreiches Bild vom „Mann aus dem Eis“, der, geradezu liebevoll als „Ötzi“ bezeichnet, in die Kulturgeschichte eingegangen ist.

Heute weiß man nicht nur, wie Ötzi bekleidet war und was er bei sich trug, man weiß auch, wie er aussah und hat Einblick in seinen Gesundheitszustand gewonnen. Einen Serienrippenbruch, einen Nasenbeinbruch, abgenutzte Gelenke, verkalkte Blutgefäße und Zahnkaries werden dem circa 46 Jahre alten Mann noch nach Jahrtausenden bescheinigt. Seine Zähne nutzte er wohl wie Werkzeuge zur Bearbeitung von Sehnen, Knochen oder Leder. Ötzis Körper weist 61 Tätowierungen auf, die vermutlich zur Schmerztherapie dienten, weil sie mit den Hauptakupunkturlinien übereinstimmen. In seiner „Reiseapotheke“ befanden sich zwei Birkenporlinge, also Baumschwämme mit blutstillender und antibiotischer Wirkung. Ihre toxischen Öle dürfte der geplagte Steinzeitmann gegen seine Darmparasiten angewendet haben. Laut Untersuchungen muss Ötzi etwa zwölf Stunden vor seinem Tod einen Brei aus Einkorn, Fleisch und Gemüse verspeist haben. Seine Mahlzeit kochte er sich auf offenem Feuer. Darauf weisen Holzkohlestücke und Mineralien in den Nahrungsresten hin. Sein Reiseproviant bestand aus geräuchertem oder getrocknetem Steinbockfleisch und Früchten.
Sechs Jahre lang wurde die Gletscher-Mumie am Institut für Anatomie der Universität Innsbruck untersucht, bevor man sie samt ihrer Beifunde 1998 in das neueröffnete Südtiroler Archäologiemuseum nach Bozen brachte. Ötzi selbst, seine Bekleidung, Bewaffnung, sein Werkzeug und andere Ausrüstungsgegenstände sind die Attraktionen der Ausstellung. Sie erzählen gut dokumentiert von einer uns fernen archaischen Lebenswelt.

Ötzi, der dort im Museum in einer Kühlzelle bei – 6 °C und 99 Prozent Luftfeuchtigkeit konserviert und unseren neugierig-staunenden Blicken preisgegeben wird, erlebt demnächst seine Geburt als Filmstar. Dargestellt von Jürgen Vogel kommt „Der Mann aus dem Eis“ am 30. November in die Kinos. Man darf gespannt sein, auf welche Weise sich wissenschaftliche Erkenntnis und künstlerische Darstellung begegnen werden.

Maximilian Seefelder

Neue Hecken in Niederbayern

Luftbild von Hecken an Feldrändern in Buch am Erlbach - Vatersdorf.

Derzeit ist das Thema Agrarwende in aller Munde. Auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem dramatischen Insektensterben weisen alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse immer auf die Bedeutung von naturnahen Lebensräumen inmitten der sogenannten „Agrarwüsten“ hin.

Niederbayern ist gekennzeichnet durch seine fruchtbaren Böden, auf denen vermehrt Mais für Biogasanlagen und als Futtermittel für die Schweinemast produziert werden. Deshalb beseitigen die Landwirte immer mehr sogenannte Kleinstrukturen wie Hecken, Raine, brechen Wiesen um und verabschieden sich vom Grundsatz der Fruchtwechsel wie in der Dreifelderwirtschaft mit Ruhepausen für die geschundenen Böden. Reine Monokulturen sind auf dem Vormarsch.

Doch es gibt rühmliche Ausnahmen: Voll-und Nebenerwerbsbetriebe, die einsehen, dass der bayerische Grundsatz „leben und leben lassen“ zukunftsfähiger ist als die einseitige Optimierung von Erträgen. Bauern, die neue Hecken pflanzen und beidseitige Wiesenstreifen tolerieren – wie auf dem Luftbild aus dem Landkreis Landshut – und sich freuen, wenn der Wechsel der Jahreszeiten wieder an Blüten und Früchten am Wegesrand erkennbar ist; Vernetzungslinien schaffen, wo Bienen wieder die so notwendigen Futterpflanzen finden und unsere Vögel die lebenswichtige Insektennahrung.

Auch bei den inzwischen verfügbaren blütenreichen Alternativen zum Energielieferanten Mais finden Tiere bedeutend höhere Lebenschancen. Staatsregierung und EU fördern all diese Maßnahmen auch durch entsprechende Subventionen und Programme. Landwirtschaftsminister Brunner will den Anteil der ökologischen Landwirtschaft mittelfristig bis auf 20 % steigern. Das führt zwangsläufig wieder zu mehr Artenvielfalt, einer reicheren Biodiversität und zu der Postkartenschönheit, die die Tourismus- und Werbefachleute so gern verbreiten. Und als Nebeneffekt sinkt auch die Erosionsanfälligkeit, die jährlich zu gravierenden Verlusten am wertvollsten Kapital der niederbayerischen Landschaft führt: den fruchtbaren Böden.

Helmut Wartner

Martini zur Ehr…

Zeichnung einer Familie am Esstisch mit Gänsebraten

Am Festtag des Heiligen Martin, dem 11. November, trafen früher kirchliche und weltliche Traditionen aufeinander. Der Martinstag stand am Beginn der 40-tägigen Fastenzeit vor Weihnachten. Zugleich beendete er das Wirtschaftsjahr der Bauern. Dann waren traditionell Steuern fällig. Diese wurden oft in Naturalien bezahlt, zum Beispiel mit Eiern, Getreide oder Gänsen.

In jedem Fall fanden an Martini üppige Festessen statt. Dabei kam die sogenannte Martinsgans auf den Tisch. Sie steht bis heute im Mittelpunkt eines festlichen Mahls mit Freunden und Familie.

Der Bezug zwischen dem Heiligen und der Gans ergibt sich auch aus der Legende: Martin sollte im Jahr 371 Bischof von Tours werden. Um der Wahl zu entgehen, versteckte sich der bescheidene Mann in einem Gänsestall, aber die laut schnatternden Tiere verrieten ihn.

Weil der Heilige Martin eigentlich ein römischer Soldat war, der seinen Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt haben soll, wird er als Patron der Soldaten, der Bettler und Armen verehrt. Diese Geschichte wird alljährlich beim Martinsumzug der Kinder nachgespielt. Dabei werden auch Martinsgänse als süßes Gebäck verschenkt und miteinander geteilt.

Maximilian Seefelder und Christine Lorenz-Lossin
Illustration: Anja Just

 

Immaterielles Kulturerbe: Würdigung der Vielfalt!

Tanzpaare beim Zwiefachen-Tanzen

Die UNESCO ist die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Zu ihren Hauptaufgaben gehören Schutz und Erhaltung des kulturellen Erbes, Bewahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt und der Dialog zwischen den Kulturen. Im Oktober 2003 verabschiedete die UNESCO-Generalkonferenz das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Nachdem 30 Staaten es ratifiziert hatten, trat es im April 2006 in Kraft. Das Übereinkommen ergänzt die Welterbekonvention der UNESCO von 1972, die das materielle Kultur- und Naturerbe zum Inhalt hat. Im Dezember 2012 beschloss auch das Deutsche Bundeskabinett den Beitritt zum Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes, im Juli 2013 wurde der Beitritt rechtswirksam. Seither wurden 68 deutsche Kulturformen ins Bundesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen, nachdem sie ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen hatten und ein Expertenkomitee nach Evaluierung der Vorschläge seine Auswahlempfehlung an die Kultusministerkonferenz zur staatlichen Bestätigung geschickt hatte.

Was aber ist eigentlich immaterielles Kulturerbe? Das sind lebendige kulturelle Ausdrucksformen, die unmittelbar von menschlichem Wissen und Können getragen werden. Dazu zählen mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen wie z.B. die Geschichte des Rattenfängers von Hameln, darstellende Künste wie z.B. die Deutsche Theater- und Orchesterlandschaft, gesellschaftliche Bräuche wie z.B. das Kneippen, Rituale wie z.B. die Ostfriesische Teekultur, Feste wie z.B. die Lindenkirchweih Limmersdorf, Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur wie z.B. die Flößerei sowie traditionelle Handwerkstechniken wie etwa das Reetdachdecker-Handwerk.

Immaterielles Kulturerbe wird also sehr konkret benannt und betrifft weite Teile der Gesellschaft. Es vermittelt einer Gemeinschaft ein Gefühl der Identität und Kontinuität. Das Kulturerbe-Verzeichnis dokumentiert dabei kulturelle Vielfalt und schärft unser Bewusstsein für kulturelle Ausdrucksformen. Zugleich bedeutet eine Aufnahme ins Verzeichnis keineswegs die Konservierung eines bestimmten Zustands. Vielmehr werden die gelisteten Fertigkeiten, das Können und Wissen, immer wieder abgeändert, wenn Praktiken und Traditionen sich veränderten Umständen und Zeiten anpassen. Durch die starke Bindung an den einzelnen Menschen, der als Träger der Kulturform eine Schlüsselrolle spielt, werden die kulturellen Ausdrucksformen fortwährend neu gestaltet. Die Veränderung ist also ein Wesensmerkmal des immateriellen Kulturerbes!

So manchem, der das Zwiefachentanzen, das Brotbacken oder das Chorsingen – alles aufgenommen ins Bundesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes – praktiziert, wird die Bedeutung kultureller Errungenschaften erst durch deren Aufnahme ins bundesweite Verzeichnis und die damit einhergehende mediale Präsenz bewusst. Die Ausübung der Kulturform ist ganz selbstverständlicher Teil seiner Lebenswelt. Doch die Auflistung führt dazu, dass auch Außenstehende das Kulturgut wahrnehmen und es wertschätzen. Wir alle erkennen dabei die Vielfalt, in der Menschen sich kulturell entwickeln. Damit öffnen wir uns für regionale Besonderheiten und lernen, kulturelle Unterschiede zu respektieren.

Veronika Keglmaier

Perfektion ist nicht alles – selbstgemachte Musik

„Spiel mit“ heißt die Kinderbeilage der Zeitschrift „Familie & Co“. Basteltipps, Rätsel, Spiele und Erstlesetexte regen den Nachwuchs auf vielfältige Weise dazu an, selbst aktiv zu werden. Dass man Medien in dieser Weise bei der Kindererziehung einsetzen kann, ist längst ein alter Hut – die Vorgängerzeitschrift „Spielen und Lernen“ gab es seit 1968.

Wie ist das aber mit den Erwachsenen? Hat man nicht irgendwann einmal beigebracht bekommen, bestimmte Dinge besser den Profis zu überlassen? Zum Beispiel klassische Musik akademisch gebildeten Musikern? Wir haben gelernt, uns in die stille Rolle des Zuhörers zu begeben, während vor unseren Augen und Ohren eine professionelle Darbietung über die Bühne geht. Das ist natürlich (mal mehr, mal weniger) reizvoll. Aber bekommt man da nicht doch manchmal Lust, es selbst auszuprobieren?

Da trifft es sich gut, dass der Klassikbetrieb derzeit offenbar den Laienmusiker neu entdeckt. Schon seit vielen Jahren gehört es zum guten Ton, ein Festival nicht nur mit internationalen Größen zu bestücken, sondern auch Kräfte aus der Region zu berücksichtigen. Zudem lockt man gerne mit interaktiven Zusatzangeboten wie Workshops und Meisterkursen oder lädt zum Blick und Gespräch hinter die Kulissen.

Neuerdings aber wird der Otto-Normal-Bürger sogar als unmittelbar Mitwirkender angesprochen. So riefen die Passauer Festspiele „Europäische Wochen“ im Frühjahr 2017 dazu auf, bei einem Festspielchor mitzusingen. Der konstituierte sich schließlich aus vielen interessierten BürgerInnen, und gemeinsam mit dem Neuen Orchester aus Köln unter Dirigent Christoph Spering stemmte man den finalen Chorsatz der Neunten Symphonie von Beethoven – die „Ode an die Freude“.

Das erwies sich in mehrerlei Hinsicht als geschickter Schachzug: Denn nicht nur war das Ergebnis durchaus hörenswert und man genoss die Freude an der gemeinsamen Sache, sondern es wurde zugleich bei allen die Identifikation gestärkt: Die Mitwirkenden aus der Region fühlen sich „ihrem“ Festival verbunden.

So wirklich neu ist das ja übrigens auch nicht. In der Volksmusikszene pflegt man – gleichsam als Absetzbewegung zur medialen Kommerzialisierung – seit Jahrzehnten das gemeinsame Tanzen, Singen und Musizieren: auf Tanzbällen und Brauchfesten, in Singstunden und Seminaren, auf dem Dorfplatz, in der Kirche oder im Wirtshaus. Nicht von ungefähr titelt eine Veranstaltungsreihe beim Kulturreferat des Bezirks Niederbayern einladend: „Spiel mit!“

Philipp Ortmeier