In Deutschland entstehen jährlich 230 Millionen Tonnen Bauschutt. Das entspricht 55% aller deutschen Abfälle und 90 % aller Rohstoffe, die jährlich bei uns abgebaut werden. Theoretisch ließen sich mit diesem Abfall sogar mehr als die jährlich von der Bundesregierung angestrebten 400.000 Wohnungen errichten!
Deshalb verwundert es nicht, dass die Gruppe „Architects for Future“ jetzt einen Abrissatlass veröffentlicht hat (www.abriss-atlass.de), der auch für Niederbayern erste Objekte auf einer interaktiven Landkarte darstellt: zwei Häuser in der Seligenthaler Straße in Landshut, das „Buchner Haus“ der Bahnhofstraße in Passau oder das vom Abriss bedrohte 1920 errichtet Gewerbegebäude am Stadtplatz in Osterhofen. Dem Investor war zum Kauf bekannt, dass es ich dabei um einen Teil eines denkmalgeschützten Ensembles handelt. Trotzdem will er das Gebäude zugunsten einer Tiefgarage abbrechen.
Im Lichte der immer noch weit verfehlten Ziele zur Einsparung von CO² rückt auch die sogenannte „graue Energie“ immer deutlicher ins Zentrum: in diesem Fall die gespeicherte Energie vorhandener Gebäude. Deshalb setzen aktuell eine Vielzahl von Architektinnen und Architekten auf Reparatur und Umnutzung statt Abriss. Der deutsche Pavillon auf der Architekturbiennale und eine Ausstellung in Berlin fordern eine neue Baukultur unter dem Titel „The great Repair“: 40 vorbildliche Projekte widmen sich dem neuen Leitbild der kreativen Weiter- und Wiederverwendung. Vom Hochhaus zum Krankenhaus oder Studentenheim. Verlassene Kaufhäuser zu Tanzschulen, Fitnessclubs oder Bibliotheken.
Der Baukulturbericht 2023 der Stiftung Baukultur (https://www.bundesstiftung-baukultur.de/fileadmin/files/content/publikationen/BBK_BKB-22-23-D.pdf) spricht deshalb sogar von goldener Energie und Emissionen, die in vorhandenen Gebäuden gespeichert sind und fordert zudem: „Bauwerke sollten so geplant werden, dass spätere Nutzungsänderungen und Umbauten möglichst einfach und klimaverträglich umgesetzt werden können. Gerade die öffentliche Hand sollte dabei ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und z.B. die Vergabekriterien im Sinne der Nachhaltigkeit und des Bestandserhalts anpassen. Auf dem Land sollte der Erhalt und die kreative Umnutzung der z. T. leerstehenden Ortskerne Standard sein. Anstatt immer neue phantasielose Neubaugebiete an den wuchernden Ortsrändern auszuweisen.“
Im Landkreis Landshut tobt gerade eine intensive Diskussion um den bereits vom Kreistag beschlossenen Abbruch der Realschule Vilsbiburg – einem der herausragenden Beispiele des Beton-Brutalismus (d.h. aus sichtbar belassenem Beton) der 1960er Jahre, für den sich aber immer wieder begeisterte Architekten und ehemalige Schüler in Leserbriefen erwärmen können. Innerhalb kurzer Zeit haben sich über 3000 Menschen im Netz für einen Aufruf des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) zum Erhalt der Schule ausgesprochen.
Ein wesentlicher Punkt sind dabei aber immer die Kosten für einen Neubau im Vergleich zur Sanierung eines Altbaus. Der Neubau ist etwa 30 Millionen teurer als die Sanierung der bestehenden Schule. Dabei ist die CO²-Einsparung noch gar nicht eingerechnet. Wenn man berücksichtigt, dass Teile der Schule erst vor 10 Jahren generalsaniert wurden bzw. in einem tadellosen Zustand sind, dann erscheint die Entscheidung für den Abriss mehr als unverständlich.
Der BDA veranstaltet am 16. Januar zum Thema „Umbau statt Abriss – Perspektiven für Bayerns Schulen“ eine Veranstaltung im Landshuter Salzstadl – u.a. zusammen mit dem Kabarettisten Hans Well. Ob sich der Stadtrat von Vilsbiburg und der Kreistag im Landkreis Landshut mit dem Landrat an der Spitze noch umstimmen lassen? Noch wäre es nicht zu spät, umzukehren…
Helmut Wartner
Foto: Alexander Bernhard