Gerhard Michel wurde am 12. Februar 1923 im nordböhmischen Aussig an der Elbe als Sohn eines Bauunternehmers geboren. Auf das Abitur folgte nach 1942 bis zur Kapitulation im Mai 1945 der Dienst bei der Kriegsmarine. Daraufhin war Michel bis Ende dieses Jahres mit anderen deutschen Marinesoldaten im Auftrag der englischen Regierung beim Minenräumen – wie in der letzten Phase des Krieges an der norwegischen Nord- und Polarküste – eingesetzt und entging so der Gefangenschaft. Eine Rückkehr in seine sudetendeutsche Heimat war nicht möglich, so verschlug es Gerhard Michel nach Dillingen, wo er 1946 in die bayerische Finanzverwaltung eintrat und 1947 heiratete. Da er sich bei seinen Einsätzen in Nordeuropa eine Fieberkrankheit zugezogen hatte, wurde ihm aufgrund des dortigen Klimas eine Versetzung in den Bayerischen Wald empfohlen. Er entschied sich für das Finanzamt Schönberg und nahm dort zusammen mit der Familie seinen Wohnsitz. Später war er in Viechtach und zuletzt als Amtsvorsteher in Grafenau tätig. Mit Hermann Eller, Josef Fruth, Rupert Kamm, Konrad Klotz, Oskar Langer, Karl Mader, Erica Steppes und Hans Wölfl gründete er 1966 den Bayerwaldkreis und organisierte bis zu dessen Auflösung im Jahre 1997 als Geschäftsführer der Vereinigung über 70 Ausstellungen. Darüber hinaus engagierte Michel sich jeweils mehrere Jahrzehnte bei der Zusammenstellung von Kunstwerken für die einstige Ausstellung in St. Englmar sowie den „Zwieseler Buntspecht“ und die „Viechtacher Ausstellung“, die alljährlich im Sommer zu sehen sind. Nach seiner Adoption durch Erica Steppes im Jahre 1983 heißt er mit bürgerlichem Namen Gerhard Steppes-Michel. Mit Hingabe widmet er sich der Verwaltung der Künstlernachlässe von Erica und deren Vater Edmund Steppes. Michel wurde unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Kulturpreis des Landkreises Freyung-Grafenau ausgezeichnet.
Was das Schaffen von Gerhard Michel betrifft, war im Kindheitsalter das gemeinsame Malen mit seinem Onkel prägend, es folgten unter anderem die Förderung durch einen Kunsterzieher an der Aussiger Oberschule und später die Auseinandersetzung mit den Werken verschiedener im Bayerischen Wald ansässiger Künstler. Michel befasst sich in erster Linie mit dieser Landschaft, dabei faszinieren ihn vor allem „die Linien der Höhenzüge und die stets wechselnde Beleuchtung“. (Der Maler Gerhard Michel, Grafenau 1992, S. 50) Ein anderes Thema in seinem Schaffen ist die Seefahrt beziehungsweise das Meer. Der Künstler, der mit seinem Vater in der Gegend von Aussig öfter auf einem Elbedampfer fuhr, erinnert sich: „Das Dampfschiff mit seinen mächtigen Schaufelrädern und der Kolbendampfmaschine hatte es mir angetan. Dazu der Kapitän auf der Brücke und sein Steuermann!“ (Ebd., S. 46) Seit seinem Dienst bei der Marine steht sein Interesse für das Meer in engem Zusammenhang mit seiner Begeisterung für Nordeuropa. Vor allem Norwegen hat er immer wieder – oftmals per Schiff – erkundet, um Anregungen für seine Arbeiten zu finden, unter anderem als Marinemaler mit einem Schnellbootgeschwader der Bundesmarine in den Jahren 1992 und 1993. Über dieses Land äußert der Künstler: „Mit Norwegen erging es mir wie mit der oft zitierten ‚Liebe auf den ersten Blick‘. Ich kam von diesem Lande nicht mehr los und immer wieder zog es mich dorthin. (Gerhard Michel. Naturlandschaften. Malerei und Grafik, Grafenau 2002, S. 12) Seine Faszination für nordeuropäische Landschaften entspricht der geradlinigen und konsequenten Haltung des Künstlers: „Für mich bedeutet der Norden Klarheit der Linien und der Farben. Es ist die Einfachheit einer Landschaft, die nur Wesentliches verträgt.“ (Der Maler Gerhard Michel, Grafenau 1992, S. 47) Michel gestaltet aber auch abstrakte Arbeiten, worüber er schreibt: „An der gegenstandslosen Malerei beeindruckt mich vor allem der Reiz der Farben, aber auch die intellektuelle Herausforderung, einen logischen Bildaufbau und eine ausgewogene Farbigkeit zu komponieren.“ (Ebd., S. 48) Was die eingesetzten Techniken betrifft, ist der Künstler ebenfalls äußerst vielseitig: Neben Ölbildern, Tuschezeichnungen, Pastellen und Aquarellen stehen Arbeiten in Ölkreide oder Kasein-Tempera und ein- sowie mehrfarbige Holz- und Linolschnitte.
Der ausgeprägte Ordnungssinn des pensionierten Finanzbeamten Gerhard Michel äußert sich unter anderem darin, dass er ein Werkverzeichnis führt, in dem mittlerweile annähernd 5000 Arbeiten erfasst sind. Noch immer fährt der Künstler mehrmals pro Jahr in den Nationalpark Bayerischer Wald und fertigt dort Skizzen an, mit deren Hilfe er zu Hause großformatige Bilder malt. Somit hat das, was Regierungsvizepräsident a. D. Heinz Huther 2013 anlässlich des 90. Geburtstags von Gerhard Michel sagte, heute noch mehr als vor zehn Jahren seine Gültigkeit: „Er hat ein biblisches Alter erreicht, aber in und mit seiner Malerei ist er jung geblieben, aktiv und unternehmungslustig, mit klarem Blick und sicherer Hand wie eh und je.“ (Ansprache bei der Eröffnung der Gerhard-Michel-Ausstellung in Schönberg am 15.02.2013, S. 2). In diesem Jahr finden anlässlich des 100. Geburtstags von Gerhard Michel Einzelausstellungen im Kunst- und Kulturzentrum Schönberg, in der Kunstsammlung Ostbayern (Hengersberg) und im Museum im Fressenden Haus (Weißenstein bei Regen) statt.
Florian Jung