Die Rassismus-Debatte hat mittlerweile auch die Kultur erreicht: Michael Endes Kinder-Abenteuergeschichte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ sollte nach Auffassung einer Pädagogin aufgrund der literarischen Figur des dunkelhäutigen Jim und darin begründeter rassistischer Klischees umgeschrieben werden. In Astrid Lindgrens „Pipi Langstrumpf“ wurde Pipis Vater, ursprünglich der „Negerkönig aus Taka-Tuka-Land“, bereits zum „Südseekönig“ umbenannt. Aktuell dreht sich die Debatte über die Dreikönig-Darstellung der evangelischen Münstergemeinde in Ulm um ein Phänomen der religiösen Kunst: Die Holzfigur des schwarzen Melchior mit ihren dicken Lippen und ihrer unförmigen Statur sei aus heutiger Sicht eindeutig als rassistisch anzusehen, so heißt es. Damit solle nicht generell das biblische Personal der Drei Könige aus der Krippe verbannt werden, relativiert man mehrfach. Lediglich die unvorteilhafte Ausfertigung des schwarzen Königs führe dazu, dass man diese Figur nicht mehr zeigen und zumindest heuer die Weihnachtsgeschichte nach Lukas erzählen will, in der die Heiligen Drei Könige nicht vorkommen. So reagiert die evangelische Gemeinde mit ihrer Entscheidung auf eine aktuelle politische Debatte.
Wie die meisten dieser Auseinandersetzungen – seien sie links- oder rechts gefärbt – wird auch diese ideologisch-eindimensional geführt, ausgelöst von Ereignissen, die sowohl durch politische Agitation als auch über die Medien zu kollektiver Betroffenheit und Aktionismus führen. Dabei werden die Vorgänge meist ausschließlich vom gegenwärtigen Betrachtungshorizont und von subjektiven Standpunkten aus beurteilt, ohne den historischen Kontext mit einzubeziehen und zu respektieren. Kulturgeschichtliche Komplexität und Symbolik der Heiligen Drei Könige lassen sich aber nun einmal nicht rückwirkend zum Rassismus-Phänomen stilisieren, und ebenso wenig eignen sich die drei Bibelgestalten für jedwede politische Instrumentalisierung.
Aber der Reihe nach: Die Überlieferung spricht von Weisen, Magiern, Sternkundigen und schließlich von Königen. Sie bringen dem Neugeborenen teure Geschenke dar. Es ist also von Gebildeten, Intellektuellen und Privilegierten die Rede, nicht von Benachteiligten, so genannten „underdogs“. Die drei Individuen verkörpern die drei Lebensalter, die Jugend, das Mannes- sowie das Greisenalter, und repräsentieren die damals bekannten drei Erdteile, Asien, Europa und Afrika. Damit werden keine Klischees bedient, sondern es geht um Symbolik, die in ihrer christologischen Botschaft besagt, dass vor Gott alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft und Hautfarbe gleich sind.
So gesehen ließe sich die Ulmer Reaktion geradezu ins Gegenteil verkehren: Eben weil der dunkelhäutige König entfernt wird, könne man sich des Rassismus-Vorwurfs aussetzen. Überdies verschlimmbessert die Berufung auf sein unvorteilhaftes Aussehen die ganze Unternehmung, könnte man doch dadurch auch gleich noch die Bevorzugung der quasi „Schönen“ vermuten. Aber man muss der einen Absurdität nicht mit einer anderen begegnen, zumal beides im Widerspruch zur Krippen-Programmatik steht.
Um beim Thema Ästhetik zu bleiben: Wer in der Kunst bei der Abbildung der menschlichen Gestalt stets die vollendete anatomische Darstellung erwartet, wird bei der Recherche quer durch die Kunstgeschichten der Kulturen, beim Besuch von Museen und Galerien ernüchtert. Insbesondere die Volkskunst – nicht nur die europäische, auch die afrikanische und viele andere – bildet Menschen stark vereinfacht, auf das Wesentliche reduziert oder dieses hervorgehoben, ab. Was zumeist kultischen Zwecken diente, folgte weder den klassischen anatomischen noch ästhetischen Maximen von Malerei und Bildhauerei. Und selbst die Hochkunst setzte sich mit Beginn der Klassischen Moderne im frühen 20. Jahrhundert darüber hinweg. Die künstlerische Avantgarde brach nicht zuletzt durch Abstraktion mit der naturalistischen und gegenständlichen Darstellung. Zwar wurden wenig später ihre wegweisenden Werke von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ diffamiert und verboten, doch hat man diese ideologisch begründete Herabwürdigung kulturpolitisch überwunden. Eine Konsequenz daraus war die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Kunst. Diese Errungenschaft gilt es nicht zu verspielen.
Maximilian Seefelder
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