Der Mord an George Floyd und die Black Lives Matter-Bewegung haben eine Menge Menschen dazu gebracht, über unsere Gesellschaft nachzudenken, über Rassismus und Diskriminierung. Viele sind überzeugt, der Mohr im Stadtwappen, der Mohr im Hemd, das Mohrengässchen, die Mohrenapotheke, all das hat keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft. Im ganzen Land knöpfen sich Aktivisten gerade den Mohr vor. Haben sie Recht?
Vor einiger Zeit hat eine amerikanische Streaming Plattform den Film „Vom Winde verweht“ aus ihrem Programm gestrichen. Die Begründung: Rassismus. Keine Frage, „Vom Winde verweht“ ist rassistisch. Aber verschwindet der Film deswegen? Nein! Der Film verschwindet nicht aus dem Internet und Rassismus nicht aus unserer Gesellschaft, bloß wegen eines Verbots. Was kann man tun?
Einige Menschen sind auf die Idee gekommen, man könnte dem Film doch einfach einen warnenden Vorspann hinzufügen und die Sache sei erledigt. So könnte man es ja auch mit dem Stadtwappen, dem Gässchen und dem Mohr im Hemd machen.
Darf man es sich so einfach machen? Und: Wo fängt man an, wo hört man auf? Müsste man dann nicht auch vor Shakespeares „Othello, der Mohr von Venedig“ warnen? Oder vor Kant, der in seiner „Physischen Geographie“ von der Überlegenheit der weißen Rasse schreibt? Oder vor Luthers Feindseligkeit gegenüber Juden? Müssten wir nicht auch vor Goethes Faust warnen, weil sich die Hauptfigur am 14-jährigen Gretchen vergeht? Müsste man nicht auch vor jedem T-Shirt warnen, das in den Textilfabriken Asiens hergestellt wird, in denen Menschen wie Sklaven schuften? Oder vor Apple, VW und BMW, die in China uigurische Zwangsarbeiter beschäftigt haben? – Wo anfangen, wo aufhören?
Verbannt man das M-Wort aus dem Wortschatz, bleibt die Wurzel des Problems unberührt. Sigmund Freud und Max Weber haben schon vor mehr als 100 Jahren beschrieben, dass nicht allein Tradition, Sprache und Kultur, sondern auch die Feindseligkeit gegen Minderheiten eine Gesellschaft zusammenschweißen. Die Gesellschaft bringt beständig neue Ausgrenzungsmuster hervor. Alte vergehen, neue entstehen. Die einzige Handhabe, die wir gegen diese Muster haben heißt Bildung. Erst ein gebildetes Bewusstsein kann die Welt und die Menschen nicht nur von seinem eigenen Standpunkt aus sehen, sondern sich in andere hineinversetzen. Bildung führt den Menschen über das hinaus, was er unmittelbar weiß und erfährt. Bildung, das bedeutet auch, etwas anderes ohne eigennütziges Interesse gelten zu lassen und in Gebieten heimisch zu werden, die einem vorher fremd waren, kurz: Zu lernen, im Fremden das Eigene erkennen zu können. Ganz einfach gesagt: Erkennen zu können, dass ein jeder Mensch nicht mehr oder weniger wert als ein anderer ist.
Christoph Goldstein
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