Angesichts zunehmender Trockenheit wundert es nicht, dass eine Baumart jetzt als sog. Zukunftsbaum für die Stadt die Auszeichnung Baum des Jahres 2024 erhielt: die Mehlbeere. Sie verdankt ihren Namen höchstwahrscheinlich der früheren Verwendung der ein bis eineinhalb Zentimeter großen rundlich-ovalen orange bis scharlachroten Früchte als Mehlersatz in Notzeiten, um z.B. Früchtebrot zu backen. Auch Essig oder Branntwein lässt sich nach dem Pressen mit Zuckerzusatz aus ihnen gewinnen.
Der zwischen 10 und 15 m hohe Baum, der ein Alter von 150 bis 200 Jahren erreichen kann, klettert in bergigen Landschaften bis über 1500 m Höhe. Er liebt v.a. sonnige Standorte mit wenig Konkurrenz, Waldränder, Heiden, Mager- und Trockenrasen und sogar Felsblockhalden. So verwundert es nicht, dass sich die Mehlbeere auch vergleichsweise gut in Städten auf kalkreichen Böden entwickelt – wenn der Baum genug Platz hat. Und ihm nicht großzügiger Streusalzeinsatz empfindlich zusetzt. Doch warum ist der Baum so trockenheitsresistent? Der silbergraue Haarfilz der Blattunterseiten reflektiert die Sonne und kann so die Verdunstung merklich herabsetzen.
Neben dem Einsatz für Lawinenschutzwälder wird die Mehlbeere zunehmend auch aus Naturschutzgründen gefördert. Denn Vögel wie die Drosseln, Dompfaffen oder Seidenschwänze lieben die Früchte und tragen ebenso zu ihrer Verbreitung bei wie Mäuse und Wildschweine. Die wohlriechenden weißen schirmrispigen Blütenbüschel dieses Rosengewächses ziehen sehr zur Freude der zunehmenden Zahl von Stadtimkern zahlreiche Insektenarten an. Auch die goldgelbe Herbstfärbung der Früchte und Blätter ist eine Augenweide. Das sehr harte helle Holz mit rotbraunem Kern verwenden Kenner gern für Drechsel- und Schnitzarbeiten. Es eignet sich auch gut für stabile Werkzeugstiele oder Holzfässer.
Eine Besonderheit ist, dass die Mehlbeere gerne von der Stadt aufs Land zieht: d. h. sie verwildert. Und kreuzt sich dort mit der Verwandten Eberesche, Elsbeere und sogar der Apfelbeere (Aronia) oder Kulturbirne. Diese Bastarde sind meist steril, weil die Entwicklung zur befruchtungsfähigen Eizelle blockiert ist. Doch die Bestäubung der Blüte ohne nachfolgende Befruchtung kann solchermaßen blockierte Eizellen umstimmen. Und so entstehen wieder keimfähige Samen. Es sind auf natürliche Weise geklonte Pflanzen – völlig identisch mit ihrer Mutterpflanze. Vielleicht lassen sich aus den über 30 Mischwesen eines Tages auch die Arten herauslesen, die den Launen des Klimawandels noch erfolgreicher trotzen. So wie einst am Ende der letzten Eiszeit, als die Mehlbeer-Hybriden in Jahrzehnten der Insektenarmut auch große Standortvorteile hatten: weil sie nicht bestäubt werden mussten. Eine dieser Hybriden stammt aus Skandinavien: Die schwedische Mehlbeere (Sorbus intermedia), die sogar ein sogenannter Tripel-Bastard ist: eine Kombination aus Eberesche, Mehl-, und Elsbeere. Einen bis zu 4 m hoher Strauch mit diesen drei Zutaten bildet auch die Unterart der Donau-Mehlbeere (S. danubialis), die neben dem Altmühl-sogar im Vilstal vorkommt.
Vielleicht führt die aktuelle Auszeichnung dazu, dass Kommunen und Privatleute den Baum aufgrund seiner Vorzüge auch vermehrt in Niederbayern und rund um Landshut als attraktiven kleinkronigen Baum pflanzen.
Helmut Wartner