Wenn die anfangs grünen Kelchblätter verblüht sind, färben sie sich braun. Daher der deutsche Name Braunelle. Braun liegt heuer anscheinend eh im Trend: der Vogel des Jahres ist das Braunkehlchen. Es gäbe auch noch die Heckenbraunelle (Prunella modularis), die noch auf ihre Wahl wartet. Wir neigen ja schnell dazu, mit gesunder Natur die Farbe Grün zu verbinden: ein sattgrüner makelloser Rasen ist in unseren Augen schön, ein kleines ungemähtes Wiesenstück, ein Wegesrand mit braunen Flecken gelten landläufig als ungepflegt oder „gschlampert“, wie der Bayer sagt.
Die kleine Braunelle gehört wie ihre Schwester, die deutlich höhere großblütige Braunelle (Prunella grandiflora) zur Familie der 7.000 Lippenblütlerarten. Zu denen gehören auch so bekannte Küchenkräuter wie der Rosmarin, alle Minzen oder der Thymian. Die attraktiven blauvioletten Blüten kommen bei der großblütigen Art deutlich stärker zur Wirkung. Hummeln, Honig- und Wildbienen nutzen den wertvollen Pollen zur Aufzucht ihrer Larven. Mindestens 18 Schmetterlingsarten trinken den Nektar, angelockt durch die attraktive Blütenfarbe. Dabei profitieren sie auch von der langen Blütezeit. Auch die Blätter finden Abnehmer bei Magerrasen-Perlmuttfalter- und Braunellen-Zwergminiermotten-Raupen.
Und wir? Die ätherischen Öle und Gerbstoffe nutz(t)en heilkundeaffine Menschen. In der europäischen Volksmedizin dienen die Blätter als Gurgelwasser und helfen bei Augenentzündungen, Lungenleiden, Magen- und Darmerkrankungen oder auch zur Wundheilung. Die Traditionelle Chinesische Medizin setzt die Braunelle bei Leber- und Gallenleiden ein. Blüten und Blätter sind auch als Salatbeilage essbar.
Doch warum sind die Braunellen schon fast verschwunden aus unserer heutigen Kulturlandschaft? Es ist wie so oft ihr Anspruch an nährstoffärmere Standorte, die aus unserer Landschaft wegrationalisiert, weggespritzt und weggedüngt wurden – zugunsten von Hochleistungsflächen. Es fehlen Pufferräume als Natur-Erholungsgebiete in der modernen Agrarlandschaft. Wo jahrhundertelang zweischürige Wiesen üblich waren, sind heute bis zu 5 oder gar 6 (!) Schnitte möglich. Der entsprechende Dünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz vertreibt die einst häufige Allerweltsarten und die darauf angewiesenen Insekten.
Um das derzeit immer noch unaufhaltsame Artenstreben und den fortschreitenden Verlust an Biodiversität zu bremsen, brauchen wir auch eine Zeitenwende in der Landschaft. Denn die Veränderung beginnt im Kopf. Hin zu naturnäheren Gärten oder einer zukunftsfähigeren Landwirtschaft. Dazu gehören deshalb die blüten- und insektenreichen Lebensräume – im Kleinen wie im Großen. Das heißt nicht, dass wir ins „Mittelalter“ oder gar in die „Steinzeit“ zurückkehren müssen, sondern den urbayrischen Grundsatz „leben und leben lassen“ mit aller Kreativität wieder ernster nehmen müssen.
Was können wir also unternehmen, um diese besondere Heilpflanze wieder zurückzubekommen? Nicht jeden Quadratmeter intensiv bewirtschaften, auf Mähroboter und Schottergärten verzichten, eine frisch gesäte Blütenwiese nach entsprechender Bodenvorbereitung nicht zu oft mähen, nicht düngen und das Mähgut abtragen, denn aus einem Zierrasen wird ohne Zeitenwende nie eine Blumenwiese.
Helmut Wartner
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