Jede(r) Märchen- und Sagenliebhaber/in, die oder der mit „Hänsel Gretel“ oder „Rotkäppchen“ aufgewachsen ist, verbindet mit dem Lebensraum Wald ihre oder seine eigene besondere Vorstellungswelt und Erinnerungen aus der Kindheit. In grauer Vorzeit war ganz Mitteleuropa von Wäldern bedeckt. Alles, was uns heute oberflächlich wie „Natur“ vorkommt, ist in der Regel menschengemacht. Der Bayrische Wald in Niederbayern wurde z.B. von tatkräftigen Mönchen aus Niederalteich besiedelt, die zusammen mit ihren Mitstreitern in mühsamster Handarbeit das flächige Waldgebiet für Siedlungen und Landwirtschaft urbar gemacht haben. Der Wald war über Jahrhunderte Lieferant für die Köhlerei, Pechbrennerei, Brenn- und Bauholz, oder Zufluchtsort in Kriegs- und Notzeiten.
Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt vom Staatsbeamten Carl von Carlowitz, der schon 1713 überlegte, dass es sinnvoll sei, nicht mehr Holz zu fällen als nachwächst, um produktiven Bergbau betreiben zu können. Hinzu kommt heute auch, dass der Wald als Ort der Naturbeobachtung von bedrohten Tier- und Pflanzenarten, der Kontemplation, der Erholung und für sportliche Aktivitäten eine manchmal unvereinbare Vielfalt an Nutzungen erfährt. Außerdem gibt es gibt die Strategie „Wald vor Wild“, die auf den übermäßigen Schalenwildbesatz hinweist. Die starke Jagdverbands-Lobby sähe es vielleicht lieber, es hieße „Wild vor Wald“. Doch damit trifft sie aktuell nicht mehr den Zeitgeist.
Auch in Bayern existieren lediglich nur noch winzige Reste von Naturwaldbeständen und die immer noch umstrittene Ausweisung eines 3. Nationalparks im Steigerwald zeigt, wie brisant und hochpolitisch aufgeheizt die Diskussionen derzeit sind. Oft wirken ehemalige streng eingezäunte fürstliche Mischwald-Jagdgebiete oder sogenannte ehemalige Hutewälder heute am „natürlichsten“. Dort weideten einst bis ins 18. Jahrhundert hinein Schafe, Kühe und Schweine und sorgten so für parkartige Waldbestände. Fichtendominierte Bauernwälder stehen heute durch flächigen Borkenkäferbefall in Trockenzeiten vor einem gewaltigen Umbruch. Die Menschen, die für die Staatsforste zuständig sind, müssen mit ministeriell verordneten Renditevorgaben und vorbildlichen naturnahen Bewirtschaftungsformen jonglieren. Außerdem stehen jetzt hunderte von Windradprojekten in den Startlöchern. Alle Betroffenen suchen nach wirtschaftlichen Nutzungen und trockenheitsresistenten Baumarten der Zukunft.
Doch der Lebensraum Wald ist zäh. Gerade das unlängst gefeierte 50-jährige Bestehen des Nationalparks Bayerischer Wald zeigt, dass geduldiges Beobachten der natürlichen Regenerationskräfte mit dem Motto „Natur Natur sein lassen“ langfristig viel billiger und standortgerechter ist als vermeintliche Eingriffe zugunsten traditionell gewohnter Waldbilder. Sind wir froh, dass wir auch heute noch Relikte wie Holztriften, Niederwälder, Kopf- und Schneitelbäume oder Bildstöcke bäuerlicher Volkskunst mit historischen Begebenheiten aller Art in unseren Wäldern finden können, die überwiegend von ehrenamtlich agierenden Initiativen, Vereinen und EinzelkämpferInnen als Relikte inmitten der Kulturlandschaft gepflegt werden. Die Schutzgemeinschaft deutscher Wald (www.sdw.de) unterstützt die Kampagne zur Kulturlandschaft des Jahres als Kooperationspartner.
Helmut Wartner
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