I.
Im Feuilleton der Landshuter Zeitung vom 3. Dezember war ein bemerkenswerter Artikel des Germanistikprofessors Jürgen Wertheimer zu lesen. „Jeder Krieg hat ein Vorspiel aus Sprache“ – so die Überschrift. Der Artikel war die Zusammenfassung eines Vortrags. Diesen hielt Wertheimer vor kurzem im Rahmen der Vortragsreihe „Aus Erfahrung lernen – Frieden bewahren“, die von der Mediengruppe Attenkofer und der Landshuter Zeitung veranstaltet wurde.
Die zentrale Aussage des Referenten ist es wert, wiedergegeben zu werden:
„Ganz offenbar herrscht gerade in so komplexen, verwirrenden Zeiten wie der unseren ein starkes Bedürfnis nach einfachen ‚Wahrheiten‘ bzw. nach ‚Lügen‘, die im Gewand der Wahrheit auftreten. Und genau diese Gefühle werden von jenen erzeugt, die es auf Konflikte anlegen. Jeder Krieg hat ein Vorspiel aus Sprache, jedem Krieg geht ein Krieg der Wörter voraus: Feindbilder werden aufgebaut, Opfermythen ausgegraben, Schwarz-Weiß-Bilder gemalt – zwischen ‚uns‘ und ‚denen‘ wird erst eine sprachliche, dann eine faktische Mauer gezogen. So werden die Fronten systematisch verhärtet – der Zeitpunkt und die Art der Explosion ist nur mehr eine Frage der äußeren Umstände. Hat man diese beiden Faktoren klar erkannt und in Rechnung gezogen, kann die Frage nach der Wahrung des Friedens neu gestellt und neu beantwortet werden. […] Zugleich lernen wir, den Krieg nicht als naturgegebenes Schicksal hinzunehmen, sondern als gemacht, also strategisch vorbereitet zu begreifen. Was von Menschen gemacht ist, kann durch Menschen verhindert werden. Zwischen den Taten der ideologischen Scharfmacher und der massenhaften Eskalation des Konflikts vergehen in der Regel Wochen, Monate, Jahre. Exakt dieses Zeitfenster gilt es zu nutzen, um wieder die Luftherrschaft im Bereich der Sprache zu erlangen.“
An dieser Stelle fällt vor allem den „Meinungsbildnern“ und Kommentatoren, also den Medien eine wichtige Rolle zu. Sie sind gefordert, objektive Informationen zu liefern, Hintergründe zu beleuchten, die Kriegsrhetorik von Ideologen und Kriegstreibern zu entlarven und als Korrektiv zu fungieren. Denn, wie erwähnt, Kriege bahnen sich an und werden erklärt – nicht von der Bevölkerung, die ausschließlich darunter zu leiden hat, sondern von paranoiden Machthabern. Sie gefallen sich in ihren Rollen und nutzen alle Mittel der ideologischen Beeinflussung und Selbstdarstellung zur Erreichung ihrer menschenverachtenden Ziele schon lange im Vorfeld. Im Hintergrund agieren die Profiteure, die mit Krieg und im Kriegsgewirr viel Geld verdienen. Auch diese Art des Zynismus kann der Donnerhall nicht überdecken. Dass sich die Auswirkungen von Kriegen stets als menschenfeindlich erwiesen, zeigt die Geschichte. Doch was hat die Menschheit, die sich zivilisiert, aufgeklärt und kultiviert nennt, aus 3000 Jahren Kriegsgeschichte wirklich gelernt?
II.
Auf das Phänomen der „gewaltsamen Sprache“ wurde ich vor Jahren durch die Sprachwissenschaftlerin Mechthild Roswitha von Scheurl-Defersdorf aufmerksam. Ich belegte einen Kurs ihres LINGVA ETERNA-Instituts und widmete diesem Thema später ein Kapitel in einer meiner Publikationen. Scheurl-Defersdorf sagt: „Wörter sind machtvoll – im Positiven wie im Negativen.“ Deshalb komme es darauf an, wie wir unsere Sprache einsetzen. [Am besten, wir fangen bei uns selbst an.] Wir haben immer die Wahl zwischen einem Wort-„Schatz“ und Wort-„Müll“. Es gilt, Gewalt in der Alltagssprache zu erkennen und bessere sprachliche Alternativen zu finden. Die Autorin: „Bei genauem Hinhören können so manche Bemerkungen den Hörenden zum Schaudern bringen: Da würgt jemand seinen Gesprächspartner mit freundlicher Stimme am Telefon ab. Eltern hauen am Morgen ihre Kinder aus dem Bett, wieder jemand anderes könnte seinem Kollegen eins reinwürgen, in Firmen müssen manchmal Köpfe rollen, im Büro herrscht bei manchen Menschen der Terror…“
Es gibt viele Redewendungen dieser Art: Manchmal nehmen wir etwas „ins Visier“ oder „in Angriff“, wir sind „gerüstet“, wir fahren mit „scharfem Geschütz“ auf, nehmen uns aus der „Schusslinie“, haben eine „Mords-Gaudi“, freuen uns über „Bombenwetter“, geben Rat-„schläge“ und machen Vor-„schläge“ oder „schlagen uns so durch“. Ideen „schießen“ uns durch den Kopf und wir „krieg“-en Geschenke.
„Es ist an der Zeit, den Krieg und seine vielfältigen Auswirkungen aus alltäglichen, unbedachten Redewendungen zu nehmen“, empfiehlt Scheurl-Defersdorf. Und zwar aus guten Gründen: Sprache hat eine spürbare Auswirkung auf unsere Umwelt, auf unser Verhalten und nicht zuletzt auf unser Leben in Form von autoimmunaggressiven Erkrankungen. Aber jeder Mensch kann allein durch seinen Sprachgebrauch einen Beitrag zum eigenen Wohlbefinden und für eine friedliche Entwicklung leisten. Denn ob man „ein Attentat auf jemanden vorhat“ oder freundlich eine Bitte an jemand richtet, die unterschiedliche Wirkung der beiden Formulierungen werden die Menschen, mit denen wir zu tun haben, spüren. Sie werden sich dementsprechend unwohl oder wohl fühlen, ohne dass sie sich der Ursache bewusst sind. Es stimmt friedlicher, eine Arbeit zu beginnen anstatt sie in „Angriff zu nehmen“. Wir müssen auch nicht „kämpfen“, sondern können uns „für eine Sache einsetzen“.
Ist es nicht befremdend, wie manche Politiker zum Beispiel während des „Wahlkampfes“ immer wieder sprachlich übereinander herfallen, obwohl sie sich lediglich um ein Amt bewerben? Wie oft werden dabei die Grenzen demokratischer Diskussionskultur überschritten? Freilich, wer sich im „Kampf“ wähnt, sieht sich auch einem Gegner gegenüber. Dieser soll besiegt werden. Das zwingt so manchen dazu, „harte Bandagen anzulegen“, „Hiebe auszuteilen“ oder „mit scharfer Munition zu schießen“, was den Gegner wiederum zum „Gegenschlag“ provoziert. Medizinisch nachweisbar sind die neuronalen Systeme von Sprechen und Handeln im Gehirn eng miteinander verbunden. Wie weit ist es also von der sprachlichen Ebene zur Realität? Was erleben wir derzeit in Osteuropa? Krieg begleitet von feindseligen Ansagen, die durch Betonung, Mimik und Körpersprache der gegnerischen Protagonisten noch verstärkt werden. Nicht zu vergessen: Die bewusst gewählte Kleidung, der „Kampfanzug“, der Entschlossenheit, Tapferkeit und Heldentum suggeriert, ist Teil der entsetzlichen Inszenierung.
III.
Kriegerische Auseinandersetzungen ebenso wie waffenlose Konflikte werden der Einfachheit halber bevorzugt in schwarz-weiß dargestellt. In Wirklichkeit handelt es sich aber um komplexe Phänomene. Als solche sind sie zugegebenermaßen schwer zu durchdringen. Von der Warte der Hintermänner aus soll das auch gar nicht geschehen – zumindest nicht von der Bevölkerung. Letztere hat über ihre Steuerabgaben lediglich die Finanzen für Kriegsgerät zu liefern und im Ernstfall rekrutiertes Kriegspersonal zu stellen.
Auseinandersetzungen gleich welcher Art finden stets zuerst auf der sprachlich-rhetorischen Ebene statt. Wird die Kriegsrhetorik lange und intensiv genug von allen Seiten bedient, folgen den Worten verheerende Taten. Wo solche nicht verhindert wurden, können, ja müssen sie beendet werden, und zwar durch Verhandlungen in friedfertiger Absicht und mit konfliktfreier Sprache, dem „Werkzeug“ hochgeschulter Diplomaten. Denn wer will schon Krieg? Die Bevölkerung? Kaum.
Mit Sprache zum Frieden finden, das kann auf der Weltbühne ebenso wie im Privaten gelingen. Auch das beweisen die Geschichte und alltägliche Erfahrungen. Achten wir also mehr auf unsere Sprache, lassen wir uns nicht länger auf aggressive Rhetorik ein und bescheren wir uns Frieden durch eine gute Wortwahl. Beginnen wir im eigenen Umfeld damit. Das emotionsgeladene Weihnachtsfest ist ein symbolträchtiger Zeitpunkt und Anfang dafür. Ich wünsche Ihnen, geneigte Leserinnen und Leser, dass Weihnachten auf diese Weise auch für Sie zu einem Fest des Friedens wird.
Maximilian Seefelder
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