Kulturheimat: Sie haben dann direkt nach dem Krieg in der Nord- und Ostsee Minen geräumt.
Michel: Wir wurden mit pinkfarbenem Bestatzungsgeld dafür bezahlt. Ich habe damals 3200 Mark bekommen. Man konnte aber nicht viel damit anfangen. Unsere Boote mussten wir dann in Swinemünde an die Russen übergeben. Eine englische Fregatte war dabei, die gewartet hat, bis der letzte Mann von den Russen freigelassen wurde. Aber das war ein Problem, weil die Russen mit unseren Booten nicht umgehen konnten. Sie haben dann noch im Hafen zwei Boote kaputtgefahren und wollten den Kommandanten die Schuld geben und sie verhaften. Die Engländer aber haben darauf bestanden, dass auch der letzte Mann von Bord ging.
Kulturheimat: Und nun?
Michel: Ich hatte überhaupt keine Möglichkeit mit meiner Familie in Verbindung zu treten. Ich wusste, dass die Deutschen vertrieben worden sind, aber ich hatte keine Ahnung wo meine Familie war. Ich bin dann von einer Kieler Familie aufgenommen worden. Und dann habe ich halt gewartet. Meine damalige Verlobte hatte eine Bekannte in Dillingen und ich habe dann an den Bürgermeister geschrieben, ob die Familie dort gemeldet sei und habe ich im Januar 1946 die Mitteilung bekommen, die Familie sei dort. Dann habe ich mein gastliches Haus in Kiel verlassen und bin nach Dillingen gegangen. In Dillingen habe ich mich an der Philosophisch-theologischen Hochschule eingeschrieben, aber da hat mir wieder das Latein gefehlt. Eines Tages kam einmal einer meiner Mitstudenten und sagte: „Du, beim Finanzamt stellen sie Leute ein. Voraussetzung Abitur für den gehobenen Dienst. Gehen wir mal rüber!“ Und dann sind wir da rübergegangen und haben uns beim Amtsvorsteher vorgestellt. Einige Tage später habe ich einen Brief bekommen, von der Oberfinanzdirektion in München, ich soll mich dort vorstellen. Typisch für die Finanzverwaltung war der Satz: „Fahrtkosten können nicht erstattet werden.“ Ja dann habe ich mich dort bei dem Finanzpräsidenten vorgestellt, Dr. Maier hieß er, und bin dann in Dillingen eingestellt worden. Aber leider hatte Dillingen für meine Gesundheit Nachteile: Da war der Flussnebel der Donau, es gab Föhn und keinen Wald. Und ich hatte mir offensichtlich eine Infektion in Norwegen zugezogen und malariaähnliche Anfälle. Mein Hausarzt hat dann gesagt, „Sie werden nie gesund hier, Sie müssen weg. Viel Wald, kein Flussnebel, kein Föhn.“ „Ja wohin?“, sagte ich. „Für Sie wäre das einzig mögliche der Bayerische Wald.“ Da habe ich gesagt: „Der Bayerische Wald? Ja wo ist der?“ Den habe ich dann auf der Landkarte gesucht. So bin ich also mit dem ärztlichen Zeugnis und meinem Versetzungsgesuch nach München gefahren und bin dort von dem Personalreferenten ungnädigst empfangen worden: „Kaum in die Verwaltung eingetreten, schon versetzt werden wollen.“ Und so weiter. Dann schob ich ihm also das ärztliche Zeugnis und mein Versetzungsgesuch hin und dann las er Bayerischer Wald, wo man damals keinen Menschen hingebracht hat. Und auf einmal rief er ganz begeistert: „Herr Michel, nehmen Sie Platz! Wo wollen Sie hin?“ Damals hatte der Bayerische Wald fünf Ämter: Kötzting, Viechtach, Zwiesel, Schönberg, Freyung. Ich hatte mir vorher von einem Bekannten eine Ansichtskarte von Freyung schicken lassen. Die war so trostlos, dass ich gesagt habe, nach Freyung gehe ich auf gar keinen Fall. Daraufhin hat eine Buchhalterin in Dillingen gesagt, ich solle unbedingt nach Schönberg gehen, da sei ein ganz netter Amtsvorsteher. Schönberg war das einzige Amt wo keine Bahnverbindung war. Und als es dann hieß, „Sie dürfen sich aussuchen, wo Sie hinwollen“, dann habe ich gesagt: „Nach Schönberg!“ Der Personalreferent hat seine Sekretärin angeguckt und gesagt: „Der ist verrückt.“ Und so bin ich im Januar 1950 nach Schönberg gekommen. Es war eine derartig herzliche Sache hier. Alle waren fürchterlich nett und entgegenkommend zu mir. Ich habe mich sofort wie zu Hause gefühlt und habe mir gesagt, hier möchte ich bleiben, hier möchte ich mein Leben verbringen. Nach 25 Jahren hatten wir einmal eine Zusammenkunft der alten Schönberger Finanzbeamten. Ich habe erzählt, wie nett sie alle damals zu mir waren, aber dann hat eine langjährige Mitarbeiterin gesagt: „Es war so: Der Chef hat uns einen Tag bevor Sie gekommen sind zusammengeholt und gesagt: „Also wir kriegen jetzt einen Neuen, der ist schwerkrank. Seid recht nett zu ihm, denn der lebt nicht mehr lange.“ Und jetzt habe ich sie alle überlebt. – In Schönberg habe ich also meine Laufbahn als Finanzbeamter begonnen. 1969 habe ich mich als Vorsteher nach Viechtach beworben, habe das Amt Viechtach auch bekommen, das 1980 bei der Gebietsreform aufgelöst und als Außenstelle neu errichtet wurde. Im selben Jahr bin ich in Grafenau Vorsteher geworden. Und dort war ich dann noch sieben Jahre bis zu meiner Pension.
Kulturheimat: Und die Malerei?
Michel: Nun die Malerei hat mich mein ganzes Leben begleitet. Während des Kriegs hat einer meiner Kameraden Aquarellfarben geerbt und die hat er mir gegeben und so habe ich schon in Norwegen angefangen zu malen. Ich muss sagen, ich habe seitdem nicht viel dazugelernt. – Ich habe damals auch schon einigermaßen gemalt. Und auch als ich in Dillingen war, habe ich gemalt. Dann war ein bisschen eine Pause drin, wegen der Anstellungsprüfung bei der Finanzverwaltung, aber danach, wie ich nach Schönberg versetzt wurde, habe ich sofort begonnen, die Landschaft zu malen, die mich sehr an die Heimat erinnert hat. Zuerst habe ich so für mich gearbeitet und allmählich bekam ich Verbindungen mit anderen Malern und bin 1954 zum Berufsverband bildender Künstler nach Regensburg gefahren. Da waren noch strenge Bräuche. Ich musste 30 Arbeiten vorlegen, damit ich aufgenommen wurde. Und so bin ich seit 1954 im Bayerischen Wald auf den Ausstellungen vertreten.