Gerhard Michel ist einer der erstaunlichsten Menschen die in Niederbayern leben. Im Gespräch kommt es einem vor, als wäre er gerade einmal 80 Jahre alt, so frisch, fröhlich und oft spitzbübisch plaudert er über seine Berufung die Malerei, über sein Leben und längst vergangene Zeiten. Gleichzeitig ist das gesamte Gespräch von einer ruhigen Gelassenheit geprägt, die man wohl, im positivsten Sinne, Altersweisheit nennt. Wir haben Gerhard Michl im August 2024 in seinem Haus in Schönberg getroffen, dem man, kaum überschreitet man die Schwelle, sofort ansieht, dass es das Haus eines Malers ist, denn es gibt fast keine Wand, die nicht ein Bild zieren würde. Im ersten Teil unseres Gesprächs stehen Michels Kindheit und Jugend sowie seine Jahre bei der Marine im Zentrum.

Kulturheimat: Lieber Herr Michel, es freut uns ungemein, dass wir Sie heute hier in Ihrem wunderbaren Haus besuchen dürfen. Erzählen Sie uns doch bitte etwas von Ihrer Kindheit und Jugend. Wie war es in den 1920er und 1930er Jahren aufzuwachsen?

Michel: Ich bin 1923 in Aussig an der Elbe in Nordböhmen geboren. Mein Vater war Baumeister, hatte ein eigenes Baugeschäft gehabt und die beiden Brüder meines Vaters haben die Schreinerei der Großeltern betrieben. Der Großvater, der die Schreinerei begründet hatte, stammte aus dem böhmischen Niederland. Er ist nach Aussig gezogen und hatte dann dort eine Schreinerei mit vielen Gesellen. In seiner Jugend war er viel unterwegs. Bis nach Rumänien ist er damals gekommen. Er hat künstlerische Einlegearbeiten gemacht und wie dann die chemische Fabrik in Aussig gebaut wurde, hat er die Vertäfelung mein Großvater gemacht. Also es ist ein künstlerischer Zug in der Familie gewesen. Der älteste Bruder meines Vaters, der Onkel Franz, der Schreinermeister war, war nebenbei Hobbymaler und er hat unwahrscheinlich viel im böhmischen Mittelgebirge gemalt und da durfte ich als Kind bereits, ich war sehr oft bei ihm, weil er mein Patenonkel war, fest in die Farbe greifen. Und von da an ging es eigentlich los mit der Malerei. Mein Onkel malte das böhmische Mittelgebirge und ich war fasziniert von der Elbe und ihren Schiffen. Das war, ich weiß auch nicht, vielleicht der Jugenddrang zum Wasser. Ich hatte in der Jugend meine Ferien in der Schwimmschule an der Elbe verbracht und dort auch ein Faltboot. Nach der Volksschule habe ich die deutsche Staatsrealschule besucht, nicht zu vergleichen mit der heutigen Realschule, eher mit einem naturwissenschaftlichen Gymnasium. Das führte in sieben Jahren bereits zur Hochschulreife. Und als ich in der fünften Klasse war, kam ja schon der Anschluss Österreichs.

Kulturheimat: Wie war das Verhältnis zu den Tschechen?

Aussig hatte damals 60, 70.000 Einwohner, davon etwa fünf Prozent Tschechen. Das war bis in die 1930er Jahre kein Problem. Ich kann mich nicht erinnern, dass es da Spannungen gab. Das Problem war, dass die Tschechen unter ihrem Präsidenten Masaryk [Tomáš Garrigue Masaryk (1850-1937)] alles tschechisieren wollten und von deutschen Kolonisten gesprochen haben, dabei waren die Mehrheit in der Tschecheslowakei Deutsche. Und dann kam 1933 Hitler in Deutschland an die Macht. Die nationalen Sudetendeutschen waren schon früh bei Hitler und haben versucht ihn als Schutzmacht zu gewinnen, aber er hat sich dafür überhaupt nicht interessiert. Er hat gesagt: „Ihr müsst euch mit den Tschechen vertragen!“ Noch dazu hatten die Tschechen damals eine sehr starke Grenzbefestigung gegen Deutschland aufgebaut, aber nicht zu Österreich hin. Dann kam 1938 der Anschluss Österreichs und auf einmal hat sich Hitler plötzlich für die sudetendeutsche Frage interessiert. 1938 beim Münchner Abkommen saßen die Beteiligten gar nicht mit am Verhandlungstisch. Da waren Frankreich, England, Deutschland, Italien – aber es waren weder Tschechen, noch Sudeten dabei. Die deutschen Truppen, die einmarschiert sind, haben sich gewundert, dass deutsch gesprochen wurde. Die hatten keine Ahnung, wie die politischen und ethnischen Verhältnisse eigentlich waren. Ja und zunächst war da eine Rieseneuphorie. Aber nach vier Monaten bereits, als die Verwaltung nur mit Reichsdeutschen besetzt, wurde folgte die große Enttäuschung. Die Schule auf die ich ging, wurde damals in eine deutsche Oberschule umgewandelt – ohne Latein. Natürlich haben wir uns gefreut, dass wir kein Latein lernen mussten, aber später war das mein großes Handicap, weil für alle Berufe, die ich gern ergriffen hätte ein Latinum vorausgesetzt war.

Kulturheimat: Welche Berufen waren das?

Michel: Ja, Historiker oder Kunsthistoriker.

Kulturheimat: Wie ging es dann weiter?

Michel: Meine Liebe war ja immer schon das Wasser und außerdem war ich ein guter Wintersportler und ich war auch beim deutschen Wintersportverein. Der Verein hatte im Erzgebirge eine Skihütte und dort lag ein Magazin aus, in dem das Schiff Typ A1 abgebildet war. Das war der Typ, den die deutshce Kriegsmarine gebaut hat. Das sogenannte Westentaschenschlachtschiff. Die Deutschen hatten ja nach dem Versailler Vertrag einen kleinen Teil ihrer Flotte behalten, durften aber die Washington-Klasse von 10.000 Tonnen nicht überschreiten. Aber sie haben es trotzdem geschafft, einen Kreuzer mit einer sehr großen Reichweite zu konstruieren. Und eines dieser Schiffe, mit dem Namen Lützow, war in diesem Magazin abgebildet und das hat mich derart begeistert und ich dachte mir, wenn ich zur See fahren könnte, ich würde so gerne auf so einem Schiff fahren. Und das hat sich dann nachher tatsächlich bewahrheitet. 1942 wurden wir sofort eingezogen und ich habe mich freiwillig zur Kriegsmarine gemeldet und bin dann bei der Marine gelandet, und zwar bei den Minenräum- und Suchverbänden. Vier Jahre bin ich dann zur See gefahren: Zwei Jahre Norwegen, ein halbes Jahr Ostsee. Mein erstes Bordkommando hatte ich danach im englischen Kanal auf einem Sperrbrecher [Minensuchboot]. Nach der Kapitulation haben die Engländer gesagt, wir brauchen die deutschen Mienenräumboote, die kennen ihre eigenen Sperren ja am besten und so habe ich mir die Gefangenschaft erspart.