Heuer sind es 40 Jahre: Im Jahr 1979 lud die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde zum Kongress „Heimat und Identität. Probleme regionaler Kultur“ nach Kiel ein. Namhafte Volkskunde-Lehrstuhlinhaber deutscher Universitäten hatten „Heimat“ zum kulturwissenschaftlichen Betrachtungsgegenstand erhoben. Damit begann die historische Aufarbeitung des Heimatbegriffs, allerdings begrenzt auf eine überschaubare Anzahl von Akademikern aus so genannten Orchideenfächern.

Ansonsten interessierten sich damals weder die Gesellschaft noch die Politik für dieses politische Thema. Zu unwichtig schien dies in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten. Zeitlich zu nah lag noch der nationalsozialistische Heimat-Missbrauch. Posttraumatisiert ließ sich allenfalls von links pauschal und bequem in die rechte Ecke stellen, was mit Heimat in Verbindung zu bringen war. Als ewige Gestrige scherte man Trachtenträger und Heimatpfleger lange Zeit über einen Kamm – nicht nur in den Medien. Kaum jemand wollte bemerken, dass sich seit den 1980ern eine neue Kulturhistoriker-Generation in der Heimatpflege etablierte, die – anstatt weltvergessen Heimatlieder vor sich hinzuträllern und Trachtenknöpfe abzuzählen – zur kritischen Analyse des Vergangenen und Gegenwärtigen fähig war. Doch dies passte nicht ins Klischee: Die Verweser überlebten Vätererbes empfanden diesen Aufbruch als Nestbeschmutzung, während Medien weiterhin bevorzugt das Bild von den Heimat-Exoten aufrecht hielten. Thema und Interpretation zeigen, wie Scheuklappen den Blick verengten, und zwar von jeder Seite, und vielleicht nicht nur damals. Denn Heimat ist mehr als ein wenig Volkstumspflege zwischen Kitsch, Kultur und Politik.

Offensichtlich sind es Krisen, die das Thema Heimat auf den Plan rufen: Im 19. Jahrhundert waren es die Industrielle Revolution und die gesellschaftlichen Umwälzungen. Gegenwärtig sind es die rasanten Umbrüche, die mit der Globalisierung, Urbanisierung, Migration und Digitalisierung einherschreiten. Wo solche Ängste im Spiel sind, lässt die Sehnsucht nach Sicherheit, Überschaubarkeit und Kontinuität nicht lange auf sich warten. Immer dann wird Heimat, die man gern im Ländlichen zu finden glaubt, zum Kompensations(w)ort, sei es nun fiktiv oder real.

Fast 40 Jahre nach dem ersten wissenschaftlichen Heimat-Kongress nimmt man sich jetzt – nicht mehr zu früh – von staatlicher Seite des Themas an. Man hat Heimatministerien gegründet, zuerst auf Landesebene in Bayern, zuletzt auf Bundesebene. Von der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist die Rede. Das signalisiert Dörfern, Kleinstädten und Landgemeinden staatliche Zuwendung „von oben“. Abzuwarten bleibt, was für das Land dabei wirklich herausspringt. Mit ein paar Heimatfesten mehr wird es nicht getan sein.

MS
(Foto: Klaus Leidorf)