Volkslieder geben Einblick in die vielfältige Lebenswelt der Menschen. Die Texte greifen Themen auf, die uns beschäftigen. Vom Schlaflied für die Allerkleinsten bis zum Liebeslied, vom lustigen Wirtshausgsangl bis hin zum Protestlied oder zum verklärten Heimatlied findet sich kaum ein Themenfeld, das nicht musikalisch behandelt wird.
Auch die Tierwelt ist hier gut vertreten. Dies wiederum lässt Schlüsse ziehen auf einen engen Umgang zwischen Mensch und Tier. Ein Blick ins Volkskulturarchiv des Bezirks Niederbayern mit seiner umfangreichen Liedsammlung fördert etwa 50 verschiedene Tiere zutage, die in zahlreichen regionalen Volksliedern in Erscheinung treten. Nicht wenige davon zählen, obwohl sie viele Jahrzehnte alt sind, bis heute zum Repertoire von Volksmusikgruppen. Die Lieder spiegeln eine reichhaltige Tierwelt wider und sind klingende Entsprechung einer – oftmals idealisierten – bäuerlichen Welt. Spitzenreiter der besungenen Tiere sind die Henne, das Schwein bzw. die Sau, die Taube und die Katze. Dahinter folgen Gans, Hahn, Kuh, Ochse, Pferd, Frosch und Floh bis hin zur gut vertretenen Vogelwelt mit Star und Stieglitz, Sperling und Spatz, Krähe und Kuckuck – allesamt keine Exoten, sondern im ländlichen Leben durchaus verankert.
Die Tierlieder begegnen uns in unterschiedlichen Liedsparten. Als Kinderlieder behandeln sie harmlose Szenerien, die der kindlichen Vorstellungskraft entsprechen. „Steht a Heisserl (= Fohlen) drausst im Stoi, `s Heisserl ghört mir ganz alloi, is mei Freind und i da sei, kannt net schöner sei“ entspricht dem Kindertraum vom eigenen Pferdchen. Durchaus kindgerecht ist auch der Einsatz lautmalerischer Tierrufe, etwa bei „Bin i ned a scheener Hoh (=Hahn), kikerikiki, schauts grad her, was i ois ko, kikerikiki“ oder „Da Frosch, der blaht si machti auf und nachat fangt er o: Quak quak quak quak quak quak quak quak, so schreit er, was er ko“.
Darüber hinaus geben Tierlieder auch Einblick in regionaltypische Strukturen der Vergangenheit wie die agrarische Beschaffenheit, die einen Landstrich prägt. So wird der als fruchtbar eingestufte Gäuboden im Lied folgendermaßen beschrieben: „Drei Stunden hinter Dingolfing is ´s niederboarisch Gäu. Da gibt’s vui Woaz und Zuckerruam und aa recht große Säu.“ Karger dagegen präsentiert sich die Landwirtschaft im Bayerischen Wald, etwa im Liedtext „Wenn oana a stoanigs Ackerl hat und hat nur grad oa Kuah, wenn oana siebzeh Kinda hat, na hat er z‘ doa grad gnua. Lass göi, lass göi! Es wird scho wieda bessa wern, lass göi, lass göi! Es wird scho wieda wern.“ Bezug auf den Stellenwert des Rottaler Pferds nimmt hingegen der Liedtext „Vo Minga (=München) ins Rottoi geht’s dreimoi gen Toi und da gibt’s schöne Höf, schöne Ross überoi“. Das Rottaler Pferd, ein kräftiger Warmblüter, war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nämlich die dort vorherrschend gezüchtete Rasse.
Die Liste der volksmusikalischen Bereiche, in denen uns Tiere begegnen, ließe sich lange weiterführen: Im humoristischen Gesang sind sie ebenso vertreten wie in der Betitelung von Volkstänzen und Zwiefachen. Dort spiegeln sie durch ihre Textbetonung den wechselnden Rhythmus einer Melodie wider: „Aba d’Ochsn, d’Ochsn, treib i ned aus“ verdeutlicht, betont gesprochen, einen Auftakt, zwei 2/4-Takte und zwei 3/4-Takte. „Hinter mein Vatern sein Stadl, Stadl, da hockt a kohlschwarza Kodl, Kodl“ beginnt dagegen mit zwei 3/4-Takten und zwei 2/4-Takten. Die Texte dienen damit auch als Erinnerungshilfe für die rhythmuswechselnden Melodien der Zwiefachen.
Tiere begegnen uns im Volkslied demnach in großer Vielfalt und zeugen von einer mit Tieren vertrauten Lebenswelt von Kindheit an.
Veronika Keglmaier
Illustration: Steffi Duckstein
Lied: Regionale Lieder für die Grundschulen in Niederbayern. 50 Kinderlieder, versehen mit Begleitstimmen, Tanzbeschreibungen und lustigen Illustrationen, Landshut 2005 (2001).