Dass Kleider Leute machen wissen wir nicht erst seit der Novelle des Schweizers Gottfried Keller von 1874. Denn kaum ein Phänomen spiegelt so sehr Individualität und Zeitgeist wider wie unsere Kleidung. Sie verlangt von jedem Einzelnen alltägliche Entscheidungen, kennzeichnet Zugehörigkeiten oder hebt heraus. Gesellschaftliche Konventionen prägen unser Kleidungsverhalten, weil wir glauben (wollen), dass auf den ersten Blick zu erkennen sei, wen wir vor uns haben.
In zügellosen Zeiten wie dem Fasching sind diese Konventionen seit jeher ausgesetzt. Jeder kann und darf beliebige Spielarten seiner Persönlichkeit zur Schau tragen oder in eine Rolle schlüpfen. Von uniform bis originell ist alles drin. Aus dem Nadelstreifenanzug wird ein schriller Aufzug, aus der grauen Masse ein buntes Durcheinander. Die Welt steht Kopf, der Bischof wird zum Bettelmann, der Handwerksbursch zum König, Frau Nachbarin zum Cowboy Jim.
Die spielerische Leichtigkeit im Umgang mit Rollenbildern, die wir uns einmal im Jahr leisten, ist in den Kinderzimmern der Welt alltägliche Wirklichkeit. Mit wenigen Kleidungsstücken und Requisiten, dafür mit umso mehr Phantasie verwandeln sich Kinder leidenschaftlich gern in wilde Tiere, Burgfräulein und Ritter, Monster und feine Damen, in Ninjas, Feen und Superhelden. Die Schleife im Haar macht zur Prinzessin, der Karton auf dem Kopf zum Astronauten und das laute Geschrei zum wilden Tiger.
Mit zunehmendem Alter schwächelt die Vorstellungskraft etwas. Die Flucht in andere Zeiten und Welten ist dennoch willkommene Abwechslung zum grauen Alltag. Aufwendige Schauspiel- und Musicalproduktionen erfreuen sich daher ungebrochener Beliebtheit und sind Highlight mancher Städtereise. Aber auch die zahlreichen Laienspiel- und Amateurtheaterbühnen – allein ca. 350 in Niederbayern – erfreuen sich eines treuen Publikums und bereichern die Kulturszene alljährlich mit einem abwechslungsreichen, sehenswerten Programm. Ohne Kostüme, Maske und Requisiten geht auch hier nichts. Der kindlichen Lust am Rollenspiel und Verkleiden darf auf der Bühne ganzjährig gefrönt werden.
Seit zwanzig Jahren unterstützt der Bezirk Niederbayern diese Kulturtradition tatkräftig: Im Kostüm- und Requisitenfundus des Laienspielzentrums auf dem Gelände des Bezirksklinikums Mainkofen stehen niederbayerischen Theatergruppen über 1000 Einzelteile kostenfrei zur Verfügung. Für leidenschaftliche Schauspieler und Verkleidungskünstler birgt der Fundus viele Schätze: Von Abendkleid bis Zauberstab, von Zepter bis Abakus. Mehr Informationen auf den Laienspiel-Seiten des Bezirks.
Christine Lorenz-Lossin