Globalisierung, die weltweite Verflechtung von Handel, Politik und Kommunikation, ist zum beherrschenden Phänomen der postindustriellen und postmodernen Gesellschaft geworden. Sind solche Prozesse mit all ihren Vor- und Nachteilen erst einmal in Gang geraten, hält sie niemand mehr auf. Dies zeigt der Blick in die Geschichte. Wie immer gibt es dann Gewinner und Verlierer solcher Entwicklungen. Während im konkreten Fall beispielsweise große Konzerne in alle Richtungen expandieren, werden kleinere Unternehmen und Betriebe buchstäblich abgehängt.
Aktuell erleben wir eine weitere Kehrseite der Globalisierung, hervorgerufen durch einen weltweit verbreiteten Virus, der nicht nur unsere Bewegungsfreiheit einschränkt. Corona zeigt uns weit mehr Grenzen auf. Vieles was vorher selbstverständlich erschien und das Leben ausmacht, war mit einem Mal nicht mehr möglich, um nicht zu sagen verboten: die Umarmung liebgewonnener Menschen, größere Zusammenkünfte, der unbeschwerte Einkauf, der Besuch eines Restaurants oder einer Veranstaltung, das Reisen.
All dies lässt sich durch die voranschreitende Digitalisierung mit ihren Segnungen nicht kompensieren. Wie auch? Und das Unbehagen, weil diese uns zu gläsernen Menschen macht, bleibt – Datenschutz hin oder her.
Wir scheinen uns zu verlieren in dieser so komplizierten und unüberschaubaren Welt. Deshalb gilt es umso mehr, sich zurechtzufinden. Dies funktioniert sicher nicht durch Flucht in die Vergangenheit oder in eine fiktive heile Welt. Hilfreich ist es aber, sich von Zeit zu Zeit seiner Herkunft und kulturellen Identität zu vergewissern. Ober um mit Theodor Heuss zu sprechen: Wer weiß woher er kommt, weiß wohin er geht.
Zwar sind wir in gewisser Weise alle zu Weltbürgern und auf unserem Kontinent zu Europäern geworden, doch hierzulande sind wir vor allem Deutsche, Bayern, Niederbayern und dementsprechend Landshuter, Straubinger, Rottaler, Waldler etc. Viele von uns bedienen sich ganz selbstverständlich der Weltsprache Englisch, aber unsere Landes- und Muttersprachen weisen uns als Italiener, Franzosen oder Deutsche aus. Unsere Dialekte machen uns zu Ostfriesen, Niedersachsen oder Bayern. Hier reden Unterfranken anders als Oberbayern, und in Niederbayern hört man das Bayerwald-, Gäuboden- oder Hallertauer Idiom ganz gut heraus. Kulturelle Identität ist also hörbar.
Rund um die Welt sind Spaghetti, Kebab und Sushi zu kulinarischen Standards geworden. Trotz solcher Verfügbarkeiten oder gerade deswegen schätzen wir die Landesküche, welche jedem regionalen Gericht, ob schleswig-holsteinische, schwäbische oder fränkische Hausmannskost, ihre Vorzüge zubilligt. Kulturelle Identität geht auch durch den Magen; sie ist genießbar.
Freilich stellen wir Nivellierungen fest – bei Modetrends und in der Textilbranche, in Architektur, Bau- und Wohnkultur oder in der Kunst und Musik, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch je mehr Globalisierung wir einerseits erleben, umso wertvoller wird vielen von uns ihre kulturelle Identität mit all ihren Besonderheiten, welche die Heimat vorhält. Das Vertraute zu leben, Bewährtes zu nutzen, gibt Sicherheit in einer Welt, die gelegentlich überfordert. Dieses Verhaltensmuster erweist sich als erprobte und weitverbreitete, ja als globale Kulturstrategie. Sie hat nichts mit Ideologie zu tun, genauso wenig wie nationale Identität mit Nationalismus und das Wissen um regionale, örtliche und emotionale Zugehörigkeit mit Heimattümelei zu verwechseln sind. Aus heimatlicher Perspektive sind wir hierzulande in erster Linie Niederbayern und Bayern, dann Deutsche und danach auch Europäer und Weltbürger. Wer Ähnliches von sich behaupten kann, aus welchen Winkel dieser Erde er/sie stammt, kann sich seiner kulturellen Identität gewiss sein. Mit diesem Wert und Bewusstsein ausgestattet kann sich jede/r über die eigene Kultur definieren und andere Kulturen achten. Das zeichnet kultivierte Menschen in einer globalisierten Gesellschaft aus.
Maximilian Seefelder
Foto: Sabine Bäter