Bei früheren Ministrantengruppen, die von ihrer Pfarrei traditionsgemäß als Sternsinger ausgesandt wurden, war es selbstverständlich, dass einer aus der Dreikönigsgruppe den Schwarzen König darstellte, der den afrikanischen Kontinent repräsentierte. Zu diesem Zweck wurde mehr oder weniger gekonnt ein maskenbildnerisches Hilfsmittel angewandt, nämlich schwarze Schminke. Niemand hinterfragte diese Darstellungsweise.
Heute gilt Gesichtschwärzung (Blackfacing) als rassistisch und erntet harsche Kritik. So geschehen anlässlich einer Premiere am Münchner Gärtnerplatztheater. Auf dem Spielplan 2022 stand die von den Nazis als „entartet“ verbotene Oper „Jonny spielt auf“ (Uraufführung 1927) des Wiener Komponisten Ernst Krenek (1900–1991). Die Titelfigur, der schwarze Jazzmusiker Jonny, wurde von einem schwarz geschminkten Sänger dargestellt. Die Inszenierung entfesselte einen „Shitstorm“. Dass sich „Jonny“ am Ende des Stücks sogar auf offener Bühne vor den Augen des Publikums abschminkte, wollte von den empörten Kunstrichtern nicht als kritische Attitüde der Regie verstanden werden. Die Intendanz sah sich schließlich zur Absetzung der Produktion genötigt. Im April 2021 schlüpfte der Kabarettist Helmut Schleich in seiner Sendung SchleichFernsehen mit schwarz bemaltem Gesicht in die Rolle eines afrikanischen Diktators. Die Reaktionen darauf lassen sich in einer gebräuchlichen Redewendung zusammenfassen: Dasselbe in Grün – Shitstorm.
In beiden Fällen wurde niemand persönlich verunglimpft wie beispielsweise der umstrittene türkische Staatspräsident Erdoğan, den der Entertainer Jan Böhmermann 2016 in einem Gedicht schmähte. Ebenso wenig führten die genannten „Blackfacing“-Beispiele zu einem diplomatischen Eklat auf internationaler Ebene. Aber alle drei Vorkommnisse zeigen Grenzphänomene aus unterschiedlichen Perspektiven auf: In einem Fall handelt es sich um ein Gedicht, das an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten ist, in den anderen Fällen um ideologisch motivierte „Cancel Culture“, welche damit zwangsläufig die im Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit infrage stellt. Wenn sich dann „Kunstinstitutionen [z. B. durch die Absetzung von Theaterproduktionen] sogar selber zensieren, um nicht in den Fokus eines Shitstorms zu geraten, wirft das kein gutes Licht auf den Zustand unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft“, stand in der Bayerischen Staatszeitung zu Jahresbeginn zu lesen.
Um diese kontrovers geführte Debatte von der sogenannten Hochkultur und Unterhaltungskunst auf die weniger spektakulärere Ebene der Brauchausübung zu verlagern: Wie wirkt sich das Gebot politisch-korrekten Verhaltens auf die „Bräuche im Jahreslauf“ aus? Die niederbayerische Sternsingergruppe, die heuer aus Altreichenau zum Bundeskanzler-Empfang nach Berlin reiste, verzichtete auf einen gesichtsgeschwärzten König. Auch findet sich kein solcher auf dem offiziellen Pressefoto des Bundeskanzleramts, das die große Gruppe mit Kindern aus den 27 deutschen Diözesen zeigt. Daraus ersieht man, wie selbst die vielfach als unveränderlich geglaubten „alten Bräuche“ stillschweigend den gesellschaftspolitischen Diskurs spiegeln. Und war das Sternsingen der Vergangenheit ein dörflicher Heischebrauch, der von jungen Burschen und erwachsenen Männern ausgeübt wurde, so wandelte er sich in den Nachkriegsjahrzehnten zur kirchlich-karitativen Aktion. Neben den als Brauchträger dominierenden Buben etablierten sich raschen Schritts ministrierende Mädchen, wie das Kanzleramtsfoto ebenfalls beweist.
Wenn alljährlich am 11.11. je nach Region der Fasching bzw. Karneval ausgerufen wird und nach Jahresbeginn in seine Hochphase mündet, hat man fast vergessen, dass auch die „närrische Treiben“ und der Brauch des Maskierens kirchlichen Traditionen entspringt. Vor der strengen Fastenzeit sollten die Menschen noch einmal ausgelassen feiern dürfen. Deshalb haben sich ausgerechnet Zentren der katholischen Welt wie Venedig, Mainz, Köln, München oder Rio de Janeiro als Karnevalshochburgen entpuppt. Die Symbolik der Kostüme und Masken liegt im einst religiösen Denken begründet: Der Narr hat sinnbildlich das verheißene Paradies aus dem Blick verloren. Teufel und Hexen galten als Verführer der Welt. Die Fleckengewänder verweisen auf die von Sünde „Befleckten“. Ebenso lassen sich Schwarz-Maskierte, „Indianer“- oder Chinesen-Kostüme erklären: Es sind jene Ethnien, die man in der christlichen Geschichte als Heiden deklassierte. Ob angesichts dieser Symbolik der Vorwurf des Blackfacings zum „Red-“ oder „Yellowfacing“ mutiert und darüber hinaus manche Maskierung wegen „kultureller Aneignung“ (cultural appropriation) obsolet erscheint, wird abermals die Gesellschaft entscheiden. Die Aufregung um den „jungen Häuptling Winnetou“ hat jedenfalls offenbart: Eine emotionsgeladene Debatte darüber ist längst in Gang – entweder aus ideologischer Empörung oder traditionalistischer Betroffenheit heraus, bedauerlicherweise selten entspannt und sachlich. Dass deswegen der Fasching verboten werden und aussterben wird, ist kaum zu erwarten. Er verändert sich. Figuren der Film- und Fantasy-Industrie scheinen die Hoheit zu gewinnen. Captain Jack Sparrow, Spider-Man, die Jedi-Ritter oder „Elsa, die Eiskönigin“ können sich außerdem nicht diskriminiert fühlen.
Maximilian Seefelder
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