Als die Heiligen drei Könige nach Bethlehem aufbrachen, waren ihre Kamele bepackt mit Gold, Weihrauch und Myrrhe (Mt 2,11). Damals haben die Menschen mit dem Öl, gewonnen aus dem Harz, Babys, Kranke und Tote gesalbt. Und noch heute ist in vielen Kosmetikprodukten Myrrhe. Dieses Jahr hat der „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Uni Würzburg dieses geschichtsträchtige Gehölz zur Arzneipflanze des Jahres 2021 gekürt.

Der bis zu vier Meter hohe extrem dornige Myrrhenbaum bzw. -strauch gehört zu den Balsambaumgewächsen. Er ist in einem Gebiet vom Osten Afrikas mit Schwerpunkt Somalia bis zur arabischen Halbinsel im offenen Buschland auf flachen trockenen Böden in Höhen von 250 bis 1.300 Meter heimisch. Das wertvolle harte, gelbliche Gummiharz entsteht durch Verletzungen oder spontane Absonderungen der unteren Borke, die unter der silbrigen, äußeren Rinde liegt.

Das Wort selbst leitet sich vom arabischen „murr“ oder aramäischen „mriro“ ab, was bitter bedeutet und sicher an dem bitteren Geschmack des Harzes liegt. Myrrhe war ein beliebtes Räuchermittel, aber auch als Aphrodisiakum und Parfüm geschätzt. Im Hohen Lied der Liebe bei Salomo steht im Alten Testament (1,13): „Ein Beutel Myrrhe ist mir ein Geliebter, der zwischen meinen Brüsten ruht.“ Und in der bitteren Sterbestunde Jesu wurde ihm vor der Kreuzigung ein stärkender Trunk gereicht (Mk 15,23), den er aber ablehnte: „Und sie gaben im Myrrhe im Wein zu trinken; aber er nahm‘s nicht.“

Im Jahr 60 n. Chr. schrieb Dioskurides in seinem Werk „Materia medica“, dem lange Zeit maßgeblichen Werk der damaligen Pharmazie, dass die Myrrhe u.a. gegen Husten, Seiten- und Brustschmerzen, gegen starken Durchfall, Darmwürmern oder bei Heiserkeit und Mundgeruch wirke. Das bestätigt auch Ibn Sina, Philosoph und einer der bedeutendsten Ärzte des Mittelalters aus dem heutigen Usbekistan: Myrrhe solle gut sein für die Haare, Narben und Mundgeruch beseitigen, sowie bei Geschwüren und Wunden eine sehr große Hilfe sein. Seine Kollegin Hildegart von Bingen, die bekannteste Naturheilkundlerin des Mittelalters, schreibt in ihrem Hauptwerk Physica: „Die Myrrhe hat die unverderbliche Kraft der Erde […] verjagt alles Windige, und der Teufel verabscheut sie, weil ihre Natur nicht verderbt werden kann und nie ihre Kraft verliert.“

Wer sich heutzutage selber ein einfaches Mundwasser zubereiten will, braucht neben drei Esslöffeln Apfelessig, 5-10 Tropfen Minzöl und 200 ml Salbeitee nur 30 Tropfen Myrrhentinktur. So erhält man eine erfrischende Gurgellösung.

Und wer die bei uns heimische Variante der Myrrhe kennenlernen will, hält sich an die Süssdolde (Myrrhis odorata), über die der Gartenkenner Jürgen Dahl schreibt: „Sie duftet zart nach Anis, macht also einen eher exotischen Eindruck, ist aber eine in den Alpen heimische Hochgebirgspflanze, deren starke Pfahlwurzel jeden Winter übersteht.“

Helmut Wartner
Foto: https://pixabay.com/de/photos/myrrhe-geburt-weihnachten-jesus-6050657/ und Botanischer Garten Würzburg, Dr. Vogg