1899 wird Anna Meilhamer als ältestes von zehn Geschwistern in Stadlreit, ein kleiner Hof in der Nähe von Pocking, geboren. Der Vater Michael ist ein Self-Made Man. Er hat sich als uneheliches Kind von ganz unten hochgearbeitet. Dank eines florierenden Holz- bzw. Kohlehandels und Immobiliengeschäften ist er der reichste Mann Pockings. Zu den Kindern ist der Vater grob. Anna will zur Schule gehen und lernen. Der Vater aber lacht sie aus. Schließlich hat er es auch ohne Bildung zu etwas gebracht. Weil Anna trotzdem etwas lernen will, geht sie 1915 in ein Kloster nach Wien. Schon bald bricht bei Anna Tuberkulose aus, denn 1918 verlässt sie das Kloster aus gesundheitlichen Gründen.
Anna will aus ihrem Leben ausbrechen. Sie geht nach München. Das ist im Jahr 1921. In München besucht sie die Kunstgewerbeschule und arbeitet als Sekretärin. Es ist eine chaotische Zeit: Im Sommer 1923 kostet ein Stück Seife 7 Milliarden Mark und im November putscht Hitler. Auch in München findet Anna nicht, was sie sucht. 1924 wandert Annas Bruder Hans nach Kanada aus. Auch Anna kommt die alte Welt immer kleiner und enger vor. 1927 wandert sie ebenfalls in die neue Welt aus; nicht nach Kanada, sondern in den Großstadtdschungel New York. Doch bald holt sie ihre Krankheit wieder ein. Sie erlaubt ihr nicht in der Stadt zu leben. Anna muss wieder auswandern: Von der Großstadt in die Prärie. Sie geht nach New Mexico.
New Mexico ist hoch gelegen und das Klima dort ist trocken; ideal für Menschen mit Lungenleiden und ideal für Menschen wie Anna, die sich ein Leben wünschen, das nicht von Menschen diktiert, sondern von der Natur bestimmt wird. Zuerst lebt sie als Einsiedlerin in der Umgebung von Hatch, ein kleiner Ort ungefähr 130 Kilometer von El-Paso entfernt, in einem abgelegenen Bergtal in einer Holzhütte, dann in einer Lehmhütte in der offenen Prärie. Das Leben in der High Desert ist hart. Sie hält Hühner und Wachteln, passt als Cowgirl auf das Vieh auf und jagt Wölfe und Stinktiere. Die äußerst begehrten Felle verkauft sie an einen Kürschner in München. Oft schreibt sie Storys und Berichte für Lokalzeitungen und malt Ansichtskarten und Bilder. Auch über Anna erzählen sich die Menschen viele Storys. Schließlich ist ein Cowgirl damals eine Seltenheit. Die Menschen nennen sie Wild Bronco (das bedeutet so viel wie ungezähmtes Pferd).
Briefe sind ihre einzige Verbindung nach Hause. Viele hundert davon schickt sie im Lauf der Jahre dorthin. Aus der ebenmäßigen, gut leserlichen Handschrift spricht eine lebenslustige, zuversichtliche und abenteuerlustige Frau, die froh um ihr Leben ist und es, von der Natur bestimmt, so lebt, wie es eben möglich ist. In New Mexico hat sie schließlich ihre Freiheit gefunden, vielleicht nicht die Freiheit, die sie sich ursprünglich vorgestellt hat, aber eine andere, lebenswerte Freiheit. Dass in den 1940er Jahren ein Medikament entdeckt wurde, mit dem man Tuberkulose heilen kann, hat Anna nicht mehr erlebt. Ab 1939 muss sie sich, sterbenskrank, im Sanatorium von Socorro aufhalten, wo sie am 13. Juni 1940 stirbt. Begraben ist sie auf dem Friedhof für Tuberkulose-Kranke in Socorro.
Brief vom 26.10.1926 an die Eltern Brief-von-1932-10-26-an-die-Eltern.pdf (scharfe Leseansicht)
Herzlichen Dank an Hanns Meilhamer für die vielen Informationen und Fotos!
Christoph Goldstein
Fotos: Hanns Meilhamer