In einem Landstrich, in dem schon Zehntausend-Einwohner-Städte wie Pfarrkirchen, Eggenfelden oder Simbach als Zentren gelten, erwartet man keine großen Kunstschauen, schon gar nicht an Orten, die „Wurmannsquick“, „Kößlarn“ oder „Kottigstelzham“ heißen. Wenn sich aber viele Kleine zusammenschließen, entsteht manchmal eben doch etwas Größeres: Dann gibt es 19 Ausstellungen im Landkreis Rottal-Inn (und ein kleines bisschen darüber hinaus), Landschaftsdarstellung aus der Region, aber auch von Ibiza, vom Atlantik und Pazifik, von Traum- und Seelenlandschaften. Es gibt Malerei, Zeichnung, Fotografie, Video und Installation, in Museen, Galerien, Kunsthäusern. Gemeinsame Themenschwerpunkte verbinden die Ausstellungsorte, an denen es Kunst aus drei Jahrhunderten zu sehen gibt: https://landschaftsmalerei.rottal-inn.de
Dass das Thema Landschaft hier eine Rolle spielt, versteht sich nur scheinbar von selbst. Zwar hat man die Natur im dünn besiedelten Land noch häufiger als anderswo unverstellt vor Augen. Doch zur Abbildung bedarf es auch des interessierten Blickes der Künstler. Die längste Zeit der Kunstgeschichte hatte Landschaftsdarstellung keine große Bedeutung. In der abendländischen Kunsttradition diente sie bestenfalls als Folie, vor der Heilige posierten, sich Biblisches und Mythologisches ereignete. Erst als im 18. und 19. Jahrhundert vor allem Engländer den Tourismus in Europa begründeten, entstand das Bedürfnis nach Reiseandenken, die authentisch an den besuchten Ort erinnerten. In Bayern gehörten die Alpen und das Donaugebiet zu den frühen touristischen Hotspots, und es ist kein Zufall, dass im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Motive aus diesen Regionen besonders häufig waren. Das Land dazwischen, z. B. jenes an Rott und Inn, nahmen jedoch lange Zeit nur ein paar wenige Einheimische wahr, wie z. B. der Kirchenmaler Franz Xaver Zattler (1833‒1907) aus Wurmannsquick. Erst als im 20. Jahrhundert zunächst „Sommerfrischler“ dann – seit den 60er Jahren – Kurgäste im „Niederbayerischen Bäderdreieck“ die Region nach und nach zu einer der umsatzstärksten Urlaubsregionen Bayerns machten, reisten auch Künstler herbei und nahmen die hügelige Landschaft an der Rott und das breite Inntal in den Blick: Josefa Pernstich (1886‒1941), Hans Reiffenstuel (1894‒1980), Anton Leidl (1900‒1975) oder Carlo Schellemann (1924‒2010). Nur der wohl bedeutendste Vertreter dieser Generation, Josef Karl Nerud (1900‒1982), ist in Simbach am Inn geboren.
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zog es zunehmend bildende Künstler in die Gegend. Die wachsende Beliebtheit des Gebiets bei den Touristen mag eine Rolle gespielt haben, mehr noch die Tatsache, dass in den verstreuten bäuerlichen Anwesen der Gegend attraktive und vergleichsweise günstige Wohn- und Atelierräume zu haben waren. Es entstanden (und entstehen) eigene Galerien und Kunsthäuser: der Schauraum K3 von Rudolf Huber-Wilkoff in Kottigstelzham, das neue Kunsthaus „Alte Post“ in Triftern von Bernd Stöcker oder der vom Bezirk 2020 ausgezeichnete Glasbau in Pfarrkirchen. Alle sind sie auch Teil der Verbundausstellung. Soviel Kunst an Rott und Inn!
Ludger Drost
Fotos: Georg Thuringer und Rudolf Huber-Wilkoff