Der härteste Konflikt nach dem Artenschutz-Volksbegehren „Rettet die Bienen“ wäre fast vor Gericht entschieden worden: der Landesbund für Vogelschutz (LBV) und der Bund Naturschutz (BN) wollten gegen den im Anschluss an den Runden Tisch unter Leitung von Alois Glück ausgehandelten Kompromiss nach Ihrer Ansicht viel zu laschen Gesetzesentwurf in Sachen Streuobstwiesen klagen. Jetzt sollen nach Unterzeichnung des sog. „Streuobstpaktes“ am 18. Oktober 2021 bis 2035 satte 600 Millionen Euro in die ökologisch wertvollen Streuobstwiesen fließen: in die Neupflanzung mit regional typischen Sorten und in ihre Pflege mit entsprechend aufgestocktem Personal, um den Bestand zu erhalten und von fünf auf sechs Millionen Bäume zu erhöhen.
Doch warum wird dieser Aufwand überhaupt betrieben? Und was zeichnet den Lebensraum Streuobstwiese aus? Die Obstbaumbestände über in der Regel extensiven Blumenwiesen gehören mit ca. 5.000 Tier- und Pflanzenarten zu den artenreichsten Biotopen in Mitteleuropa und sind damit immer noch Hotspots der Biodiversität mit zahlreichen Kleinstlebensräumen. Diese genetische, geschmackliche und gesunde Vielfalt bereichert das Landschaftsbild, steigert die Attraktivität für den naturnahen Tourismus und fördert die Erzeugung regionaler Produkte. In Bayern verarbeiten ca. 400 Keltereien und rund 4.500 Brenner im Schnitt 50.000 Tonnen Streuobst mit einem Wert von 50 Millionen Euro.
Noch 1965 wurden in Bayern 20 Millionen Obstbäume auf rund 70.000 Hektar Fläche erfasst. Die Zahl der Bäume ist bis heute auf unter 6 Millionen gefallen und 70 % der Bestände sogar durch z.T. amtlich geförderte Rodungsprämien verschwunden. In ähnlichen Prozentzahlen sank die Zahl der Schmetterlinge, Insekten und Vogelpopulationen. So rodete man noch 2019 im einst typischen Obstbaum- Landkreis Forchheim einen über 50 Jahre alten Bestand mit großen Hochstamm-Kirschbäumen. Jetzt wächst dort statt einer artenreichen extensiven Blumenwiese nur noch artenarmes fettes Kleegras. Nach der neuesten Biotopkartierung sind nur Streuobstbestände ab 2.500 m² geschützt. Und auch das nur, wenn mindestens 75 % der Bäume einen Astansatz ab 1,80 Meter Höhe haben und mehr oder weniger über die Wiesenfläche „verstreut“ sind. Wem das alles zu wenig ertragreich, zu mühsam und zeitaufwendig ist, rodet seine Bestände einfach…
Dieser Entwicklung will der neue Pakt entgegensteuern: über eine genaue Erfassung und professionelles Monitoring, investive Förderungen in Maschinen, Anlagen, Gebäude, Forschung, Marketing, Vermarktung und Personal. Nicht zuletzt soll eine aktive Beratung und Öffentlichkeitsarbeit dafür sorgen, den fatalen Trend zum fortlaufenden Flächenverlust zu stoppen und zu drehen. In Niederbayern kümmern sich v.a. die Landschaftspflegeverbände, Schaugärten wie der „Hans-Geiselbrechtinger-Garten“ im Landkreis Landshut mit 180 verschiedenen Obstsorten auf ca. 11.000 m² Fläche oder die Obstlehranstalt des Bezirks Niederbayern in Deutenkofen um die fachliche Begleitung dieses ehrgeizigen Projektes. So können dort die Besucherinnen und Besucher auf einem Obstlehrpfad ihr Wissen vertiefen und die jeweiligen Arten und Sorten vor Ort im Wechsel der Jahreszeiten kennenlernen.
Der Landschaftspflegeverband Landshut rief 2016 des Projekt „Landshut blüht“ ins Leben. Seitdem wurden 500 Obstbäume gepflanzt und jedes Jahr 15 Hektar Blumenwiese angelegt (Stand: 2018) Ein Obstbauer bringt den Geist des Streuobstpaktes so auf den Punkt: „Entscheidend ist, dass die Leute begreifen, da steckt ein Kulturgut dahinter, das gepflegt werden muss.“ Oder wie es der Vater von Friedrich Schiller, Johann Caspar sehr anschaulich bereits im Jahr 1767, durchaus zeitgemäß, schon damals ausdrückte:
„Die Baumzucht verschafft denjenigen, die sich damit bemühen, einen angenehmen Teil ihrer Nahrung. Sie gereichet zur Zierde eines Landes, zur Reinigung der Luft, zum Schutz und Schatten und hat überhaupt in vielen anderen Dingen ihren trefflichen Nutzen, zur Notdurft, Lust und Bequemlichkeit des Lebens für Menschen und Thiere.“
Helmut Wartner
Foto: Helmut Wartner