Die Tierwelt wird fleißig bemüht, geht es um symbolische Verschlüsselungen: Häufig begegnet sie einem im sogenannten erotischen Volkslied, wo sinnliche Anspielungen sprachlich versteckt sind. Das reicht von harmlosen Wortspielen bis hin zu Derbheiten. Hinter zahlreichen Texten aus dem letzten Jahrhundert steckt eine Kenntnis von Symbolen und Metaphern, die uns heute mehr und mehr abhandenkommt. Freizügige Moralvorstellungen nötigen heutzutage nicht mehr zur Verschlüsselung von Inhalten, dennoch kann ein sprachliches Versteckspiel, das nackte Tatsachen im ästhetischen Gewand verhüllt, reizvoll sein. Ob man „Bauer, bind dein‘ Pudel o, dass er mi ned beißen ko. Beißt er mi, verklag i di, tausend Taler kost‘ es di“ nach Entschlüsselung seiner Zweideutigkeit immer noch als Kinderlied verbreiten sollte, ist durchaus fraglich. Unstrittig ist jedoch die Kreativität hinter den codierten Texten, wenn es heißt: „O du mei liabs Liesal, wer maht da dei Wiesal, wer schaut nach da Kuah, wann i dir’s net tua.“ Was es mit der Wiese und der Kuh des Lieserl auf sich hat, erschließt sich dem nicht allzu naiven Hörer leicht. Auch die Filzlaus und der Säbel sind nicht schwer zu entschlüsseln, nimmt man folgenden Liedtext unter die Lupe: „Auf da Doanabruckn steht a Wirtshaus, da is‘ a Kellnerin, dö hat a Filzlaus. Da kommt da Kellnersbua und ziahgt an Sabe‘ raus und sticht da Filzlaus die Augen aus.“
Volkskulturarchiv Bezirk Niederbayern VABN L161
Bestimmte Tiere begegnen in der Symbolwelt des Volkslieds vermehrt: So gilt etwa das Schwein als fruchtbar und triebgesteuert und der Kuckuck als Frühlingsbote, ist er doch ein Zugvogel mit verlässlichem Rückkehrtermin. Zugleich ist er, der seine Eier von anderen Vögeln ausbrüten lässt, aufgrund seiner Ablehnung familiärer Verpflichtungen ein Sinnbild für Ehebruch. Der Vogel scheint nicht nur zufällig in einer Strophe des überregional bekannten Liedes vom ‚Jäger aus Kurpfalz‘ auf: „Jetzt reit ich nimmer heim, bis dass der Kuckuck ‚kuckuck‘ schreit. Er schreit die ganze Nacht, allhier auf grüner Heid.“ Eine vorausgehende Strophe beschreibt, wie der Jäger auf der durchaus doppeldeutigen Jagd ein achtzehnjähriges ‚Mägdlein‘ antrifft. Nachdem er sich die ganze Nacht – bis der Kuckuck schreit – vergnügt hat, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die junge Frau ein ‚Kuckuckskind‘ von ihm zur Welt bringt. Dies bezeichnet ein Kind, das nicht vom biologischen Vater aufgezogen wird. Der Ausdruck leitet sich vom Gebaren des Kuckucks ab, seine Eier in fremde Nester zu legen. Das Gegenteil zum Kuckuck symbolisiert die Taube, die sich lebenslang an einen Brutpartner bindet und dadurch Liebe und Treue verkörpert: „Zwoa schneeweiße Täuwala, a Mandl und a Weiwal, müassn si gern ham, weil’s a Nestal zamtragn“. Weit verbreitet ist zugleich der erotische Symbolismus des Vogels. So gelten kleine Wildvögel im Lied als Symbol für den nachts ‚ausfliegenden‘ Burschen, der Einlass am Fenster seiner Liebsten begehrt: „Es flog ein kleins Waldvögelein, der Lieben fürs Fensterlein, es klopfet leise mit seinem Goldschnäbelein: ‚Stand auf, Herzlieb und lass mich ein!‘“
Der genaue Blick auf die Sprache im Volkslied ist durchaus lohnend: Er eröffnet eine Welt der Symbole und sensibilisiert für sprachliche Verschlüsselungen.
Veronika Keglmaier
Foto: Erk, Ludwig; Böhme, Franz M.: Deutscher Liederhort, Bd. 3, Leipzig 1894, S. 315.