Für Deutschland war der 23. Mai 1949 ein entscheidendes Datum: Das Grundgesetz wurde verkündet und die Bundesrepublik gegründet. Lokalgeschichtlich könnte man für Straubing auch den 13. August 1949 benennen: als deutliches Zeichen für eine bessere Zukunft nach dem Zweiten Weltkrieg, in einer Stadt, die zu einem Viertel zerstört worden war und zu ihren 28.000 Einwohnern noch bis 14.000 Evakuierte, Flüchtlinge, Vertriebene, Displaced Persons aufgenommen hatte. Denn an diesem Tag begann das Volksfest und zwar nicht winzig klein und „ohne Bierausschank“, wie 1946, oder unter Lebensmittelknappheit und Holzmangel leidend wie 1947. Das Volksfest vor 75 Jahren galt und gilt als erstes „wahres“ Volksfest nach dem Zweiten Weltkrieg – so wie man auch in München das von 1949 als „erstes offizielles Oktoberfest“ bezeichnet, obwohl bereits seit 1946 „Herbstfeste“ stattgefunden hatten. Und das Straubinger Volksfest war „kein gewöhnlicher Rummelplatz“, sondern es hatte sich seit seiner Gründung als Landwirtschaftsfest für Niederbayern im Jahr 1812 zum zweitgrößten Volksfest Bayerns entwickelt.
„Fest der Heimat“
Schon allein die umfangreiche Festbeilage des „Straubinger Tagblatts“ signalisierte, dass das Volksfest 1949 ein großes Ereignis werden würde. Zugleich war sie ein geschickter Schachzug des Verlegers Dr. Georg Huber: Seine Zeitung durfte am 12. August 1949 zum ersten Mal nach dem Krieg wiedererscheinen, da die amerikanische Militärregierung nun endlich die Pressefreiheit erlaubt hatte. Diese erste Ausgabe samt Festbeilage war kostenlos – und trug sicher zum überaus erfolgreichen Neustart des „Straubinger Tagblatts“ bei. Auch sein Konkurrent Dr. Hans Kapfinger, der die „Niederbayerischen Nachrichten“ herausgab, veröffentlichte eine Festzeitung, in der bewusst „zum Fest der Heimat“ aufgerufen wurde: „Alles haben wir verloren. Das Reich ist zerfallen. … Unser Land ist zerstückelt, gevierteilt. Unsere Grenzen sind nicht gesichert. Staatsrechtlich gesehen sind wir ein Niemandsland … Die Zeiten sind ernst. Und doch ist uns eins geblieben: die Heimat.“ Das Volksfest sollte in der Bevölkerung wieder Selbstbewusstsein und Stolz wecken, die Besinnung und Beschränkung auf die Heimat schloss aber auch eine Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit aus: „Die Lieder der Heimat werden erschallen, und unsere Seelen werden froh und frei werden.“ In diesem Sinne führte man auch den in der NS-Zeit zum ersten Mal verwendeten Namen „Gäuboden-Volksfest“ weiter.
Das Festprogramm gestaltete man in gewohnter Weise, d. h. wie es sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herauskristallisiert hatte. Nach wie vor war es ein Landwirtschaftsfest, das ein gemeinsames Fest von „Stadt und Land Hand in Hand“ sein sollte. Finanziell und ideell stark unterstützt vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie von der Regierung von Niederbayern und Oberpfalz stellten die Stadtverwaltung und der Bayerische Bauernverband eine große landwirtschaftliche Lehr- und Leistungsschau auf die Beine. Sie informierte über Saatzucht und Obstbau, umfasste Rinder-, Pferde-, Schweine-, Ziegen-, Kaninchen-, Fischerei-, Geflügel-, Hunde-, Landmaschinenausstellungen, prämierte herausragende Tiere und Produkte, ehrte treue Dienstboten und Arbeitsjubilare. In der neu errichteten Gewerbehalle zeigten einheimische Handwerker und Gewerbetreibende ihre Produkte und Leistungen. Der Auszug zum Festplatz, die offizielle Eröffnungsfeier, die im Stadttheater stattfand, die Pferderennen, die Turnvorführungen, eine Autocorsofahrt, das Schlussfeuerwerk fehlten ebenso wenig wie der von über 20.000 Zuschauern bestaunte Festzug mit 4.300 Teilnehmern; darunter waren allein 2.500 Trachtler, die zum Gäuboden-Trachtenfest nach Straubing gekommen waren.
Übrigens hatte man eine Verlegung des Volksfestes wegen der am 14. August zum ersten Mal stattfindenden Bundestagswahlen abgelehnt. Dafür riefen am Wahltag Lautsprecherdurchsagen auf dem Festplatz zur Wahl auf: „Achtung! Achtung! Volksfestbesucher! Denkt daran, daß heute die Wahl zum 1. Bundestag stattfindet. Vergeßt über Freude und Erholung nicht Eure staatsbürgerliche Pflicht. … Geht alle zur Wahl!“
„Bildnerischer und kultureller Wert“
Anspruch der Straubinger war es stets, „kein Volksfest im gewöhnlichen Sinn“, keinen „flüchtigen Rummel“, sondern „ein Fest, das einen bildnerischen und kulturellen Wert darstellen soll“ zu organisieren. Als besonderen Glanzpunkt hatte sich der Stadtrat 1949 eine Sonderschau „Deutsche Optik“ zu Ehren Joseph von Fraunhofers, des berühmten Sohnes Straubings, einfallen lassen. Die Ausstellung, die ebenfalls in der Gewerbehalle stattfand, wurde stark unterstützt vom Deutschen Museum und vor allem von der erst kurz vorher, am 26. März, gegründeten „Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung“. Den Festvortrag zur Eröffnung des Festes hielt daher Dr. Walter Gerlach, Präsident der Gesellschaft und Rektor der Münchner Universität. Der Mineraloge Dr. Friedrich Karl Drescher-Kaden, der Initiator der „Fraunhofer-Gesellschaft“, resümierte nach dem Volksfest in einem Schreiben an den Oberbürgermeister über das große Interesse der Bevölkerung an der Ausstellung: „Ich hoffe sehr, dass Stadt Straubing und Fraunhofer-Gesellschaft nicht zum letzen Mal an dem gemeinsamen Ziel der Fraunhofer-Forschung und Ehrung zusammengearbeitet haben.“ Immerhin ist die Fraunhofer-Gesellschaft seit 2009 mit einem Teilinstitut BioCat in Straubing ansässig.
„Lust und Freude“
Es war vor allem dieses vielfältige Ausstellungs- und Begleitprogramm, das das Volksfest von 1949 heraushob. Aber das Vergnügen durfte natürlich nicht fehlten. So luden zu „Lust und Freude“ 17 Fahrgeschäfte ein, zum Beispiel ein Toboggan, ein Riesenrad, eine Zugspitzbahn, eine Schiffschaukel, ein Autoscooter, ein Riesen-Flieger-Karussell und eine Geisterburg, dazu gab es sieben Schieß- und Wurfhallen und elf Schaugeschäfte wie der Tempel indischer Wunder, der Vogeljakob, der Lachpalast oder die Billy-Jenkins-Wildwestschau. Für das leibliche Wohl sorgten zwölf Imbissstände, unter anderem Krapfen- und Waffelbäckereien, Eispaläste, Fisch- und Wurstbratereien. Daneben hatte die Stadt neue hölzerne Dultbuden und -stände anfertigen lassen, die wie gehabt ein paar Tage vor Festbeginn an interessierte und zum großen Teil bedürftige Bürgerinnen und Bürger verlost bzw. versteigert wurden; in diesen 49 Geschäften wurden vor allem Zucker- und Backwaren, Eis, Limonaden angeboten. Hier fand man aber zum Beispiel auch „waschechte“, „konkurrenzlose“, „bunte Bauern- und Juxtücherl“. Auch mobile „Kleinhändler“ wurden zugelassen, die Luftballons und Brezen verkauften, in deren Bauchläden Scherzartikel oder Rauchwaren lagen.
Zur finanziellen Absicherung hatte der Stadtrat ein Eintrittsgeld von täglich 50 Pfennig beschlossen, gab aber zu, dass der Eintritt auch bei der Bevölkerung „großen Unwillen“ auslöse. Immerhin fanden 65 Arbeitslose als Kontrolleure und Kassierer Beschäftigung. Für das Bierzelt musste die Schlossbrauerei Moos 10.000 DM an die Stadt als Platzgebühr überweisen, dafür hatte sie das Monopol als „Festbierzelt“. Als weitere, kleinere Imbisszelte, die ihr Bier aber von der Brauerei Moos beziehen mussten, gab es noch eine „Weißbierhalle“, ein „Bratwurstglöckerl“ und eine „Gulaschküche“.Das Volksfest war mit seinen „nicht zu hoch gegriffenen“ 150.000 Besuchern, einem Ausstoß von 500 Hektolitern Bier, einem Verzehr von 110.000 Bratwürsten und einem finanziellen Plus am Ende von etwa 2000 DM ein „voller Erfolg“, bildete einen „mächtigen Wirtschaftsauftrieb“ für die Stadt und „hat den Ruhm Straubings als Feststadt weit über Niederbayern hinausgetragen“. Oberbürgermeister Höchtl betonte bei seinem Fazit aber auch, „daß es besonders gewinnbringend war, die Fröhlichkeit zu pflegen“ – und zwar gemeinsam mit Heimatvertriebenen und amerikanischen Besatzungssoldaten, denen das Bier besonders gut schmeckte. Dass es beim Volksfest 1949 wirklich „hoch herging“, beweisen erhaltene Fotos und Presseberichte: Im Bierzelt wurde „auf Tische und Bänke“ geklettert, „wenn unbeschwerter Frohsinn ein Stillesitzen einfach nicht mehr gestattete“.
Dr. Dorit-Maria Krenn