Geschlossene Schulen, Menschen, die sich nur noch mit Mundschutz vor die Haustür trauen, Verschwörungstheorien und, und, und. Das alles hatten wir schon einmal vor 100 Jahren. Damals war die Spanische Grippe daran schuld.

Eigentlich kommt die Spanische Grippe gar nicht aus Spanien, sondern aus den USA. Dort ist Anfang 1918 das Virus von Tieren auf Menschen übergesprungen. Amerikanische Soldaten haben das Virus dann nach Europa gebracht. Warum dann Spanische Grippe? Die Spanier waren die ersten, die darüber öffentlich berichtet haben. Sie waren im Ersten Weltkrieg neutral und die Presse nicht zensiert.

Die erste Grippewelle im Frühjahr und Sommer 1918 schwächte die Soldaten, die den Krieg eh schon satt hatten. Ungefähr 20.000 der 8 Millionen deutschen Soldaten sind an der Grippe gestorben.

Die zweite, tödliche Welle brach im Spätsommer gleichzeitig in Amerika, Europa und den afrikanischen und asiatischen Kolonien aus. Besonders jüngere Menschen fielen der Grippe zum Opfer. Sie hatten die Russische Grippe Ende des 19. Jahrhunderts nicht durchgemacht. Außerdem wurde ihnen ihr starkes Immunsystem zum Verhängnis. Es produzierte viel zu viele Abwehrzellen, die sich dann gegen die eigene Lunge wandten. Und das rasend schnell. Morgens krank, abends tot, hieß es.

Im Jahr 1918 sind allein in Deutschland 350.000 Menschen und damit 0,7% der Gesamtbevölkerung an der Grippe gestorben. 6,5 Millionen Menschen in den USA mussten ihr Leben lassen. In europäischen Ländern mit schlechterer Gesundheitsversorgung, wie zum Beispiel Italien, sind ungefähr 350.000 Menschen gestorben, also ungefähr 1% der Bevölkerung. Noch schlimmer traf es Afrika und Asien. Die Hälfte der ca. 30 bis 50 Millionen weltweiten Opfer lebten in diesen Teilen der Welt. Allein in Indien sollen über 10 Millionen Menschen an der Grippe gestorben sein. Aber damit war es nicht vorbei. Die Spanische Grippe begleitete die Welt noch bis in die 20er Jahre hinein. Immer wieder gab es Infektionswellen.

Epidemien greifen immer wieder in die politische Geschichte ein, man möchte meinen, zufällig. Das römische Imperium ist wegen einiger Pestwellen schneller zerbröselt und die Spanische Grippe hat die Kriegsmüdigkeit in Deutschland noch mal gesteigert.

Mit der Geschichte ist es wie mit einem Puzzle. So wie ein Puzzle aus vielen einzelnen Teilen besteht, gleicht die Geschichte einem Mosaik aus vielen einzelnen Geschichten. Was in der einen Geschichte wie ein Zufall aussieht, ist in einer anderen Geschichte kein Zufall. In den USA, da wo die Spanische Grippe zuerst ausgebrochen ist, wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts die Bevölkerung jedes Jahr um mehr als eine Million an. Diese vielen Menschen wollten alle auch etwas essen. Also mussten immer mehr Schweine, Hühnchen und Rinder gezüchtet werden, damit die Menschen auch satt wurden. Massentierhaltung ist immer ein Quell für ansteckende Krankheiten und so ist auch das Virus vom Tier auf den Menschen übergesprungen.

Beim Coronavirus heute und beim SARS-Virus Anfang des Jahrtausends war es wahrscheinlich ähnlich: In China und überall in Asien gibt es sogenannte „wet markets“. Das kann man sich so vorstellen, wie auf einem Fischmarkt. Bloß, dass auf diesen Märkten Fledermäuse, Ratten, Schlangen oder auch Hunde teilweise vor den Augen des Käufers geschlachtet werden, um dann später als Delikatesse verspeist zu werden. Viele dieser Tiere, zum Beispiel Schleichkatzen oder Marderhunde, werden in großen Betrieben gezüchtet, in denen das Virus höchstwahrscheinlich entstanden ist. Und so ist das Corona-Virus über Jäger und Zuchtbetriebe, Händler und Gourmets schließlich um die ganze Welt gereist.

CG
Foto: Stefan Bröckling
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