Für uns heute ist es selbstverständlich von links nach rechts zu schreiben. Aber das war nicht immer so. Die alten Ägypter schrieben von rechts nach links und manchmal von oben nach unten. Auch Menschen, die arabisch oder hebräisch schreiben, fangen immer am rechten Rand des Papiers an zu schreiben. Der Anteil der Rechtshänder ist in Kulturen, die von rechts nach links schreiben, genauso hoch wie bei uns. Daran liegt es also nicht, dass wir von links nach rechts schreiben. Es gibt einen anderen, einen tieferen Grund: Zuerst haben wir es mit der Frage zu tun, für wen die Schrift eigentlich ist. Sie ist dazu da, Menschliches dem Vergessen zu entreißen. Das kann ein Roman sein, ein Gedicht, ein Märchen oder einfach ein Einkaufszettel. Die Schrift ist also hauptsächlich für den Leser gemacht.
Die alten Ägypter, Hebräer, Araber und Aramäer schrieben von rechts nach links. In der Antike aber kehrte sich die Schriftrichtung um. Das hat zum einen damit zu tun, dass die europäischen Sprachen zum Großteil indogermanischen Ursprungs sind. Der eigentliche Grund aber war der: Lesen hatte in der Antike nichts mit sehen, sondern mit hören zu tun: Die alten Griechen und Römer waren „Lautleser“. Sie hatten die Gewohnheit ausschließlich laut zu lesen: Eltern ließen sich von ihren Kindern vorlesen, denn sie selbst hatten es bereits nach all den Jahren wieder verlernt. Und Cicero hatte eigens einen Sekretär, der nur dazu da war, ihm vorzulesen.
Heute sind wir „Leiseleser“ geworden. Wir können lesen ohne einen Laut von uns zu geben. Das würde Cicero für eine Art Wunder halten; ähnlich wie wir es heute bewundern, wenn ein Musiker eine Partitur liest und in seinem inneren Ohr „hört“, wie es klingt. Für die antiken Menschen war die Schrift etwas Akustisches. Und daran passten sie die Schrift an. Sie änderten die Schriftrichtung. Denn wenn man von rechts nach links schreibt, sieht man den letzten Laut nicht, den man gerade geschrieben hat. Er wird von der schreibenden Hand verdeckt. Aber gerade diesen letzten Laut muss man sehen. Probieren Sie es aus: Nehmen Sie sich Papier und Bleistift, schreiben Sie einige Buchstaben von rechts nach links und versuchen Sie gleichzeitig laut zu lesen. Sie werden zwangsläufig in eine Art Stopseln und Stottern verfallen. Ein gleichmäßiger Lesefluss ist unmöglich. Die Hand ist einfach im Weg! Und das ist einer der Gründe, warum wir von links nach rechts schreiben.
Christoph Goldstein
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