Seit Jahrzehnten versuchen diverse Regierungen, Kommissionen und Fachgremien das Thema Flächenverbrauch in den Griff zu bekommen. Unterm Strich erfolglos. Noch immer werden in Bayern und der Bundesrepublik hektarweise zum Teil hoch wertvolle landwirtschaftliche Böden durch neue Verkehrs-, Gewerbe- oder Wohnbauflächen unwiederbringlich zerstört. 2019 waren es 10,8 ha pro Tag oder 39 km² im Jahr. Das heißt: 15 Fußballfelder unbebaute Landschaft verschwinden täglich unter Beton, Kies, Asphalt.
Dabei gehen auch vertraute, weniger berührte, Landschaftsausschnitte verloren. Je langsamer die Fortbewegungsart der Betrachterin oder Betrachters ist, umso auffälliger ist der Verlust erkennbar. Auch die Vogelperspektive hilft manchmal, das ganze Ausmaß der Veränderungen zu erkennen. Doch wie lässt sich das ungebremste Wachstum der Vernichtung stoppen?
Ohne gründliches Hinterfragen unserer scheinbar unveränderbaren Gewohnheiten wird es nicht gehen. Gerade in einem Flächenland wie Bayern ist die Mobilität dabei ein zentrales Thema. Bestellungen im Internet sind praktisch und bequem? Das eigene Auto ist unverzichtbar? Also brauchen wir dafür neue Straßen. Und neue Flächen für Autohändler oder Logistikzentren aller Art. Mitten auf dem Land. Exemplarisch zum Beispiel im Markt Röhrnbach, wo derzeit die erneute Ausweitung eines bestehenden Sondergebietes diskutiert wird, ein Gewerbegebiet, in dem sich ein Unternehmen mit der Zweckbestimmung „Fahrzeug- und Transportlogistik“ angesiedelt hat. Dort parken hektarweise Autos, die durch den Einbau begehrter Extras veredelt werden sollen.
Das obige Luftbild zeigt das ganze Dilemma: ein kleiner Ort bekommt in exponierter Hanglage auf einen Schlag eine Ortserweiterung um mehr als das Doppelte. Als Baufläche für eine neue überdimensionierte Schuhschachtel samt gigantischen Stellplatz. Das bringt kurzfristig ein bisschen neue Steuereinnahmen. Alles ist abgesegnet vom örtlichen Gemeinderat, nachdem der Flächennutzungs- und Bebauungsplan alle behördlichen Hürden genommen hat, samt Umweltbericht und sogenannter Ausgleichsflächen im Rahmen der Kompensation für Verluste an Kultur- und Naturgütern: „Eine umfangreiche Eingrünung soll dazu beitragen, dass sich der Betrieb gut in das Landschaftsbild eingliedert“ schreibt die Gemeindeverwaltung dazu in einer Stellungnahme. So entstehen ganz legal auf demokratischem Weg landesweit täglich neue anachronistische Versiegelungsruinen.
Der unleugbare Klimawandel, die Corona-Pandemie und die anhaltende Krise der Landwirtschaft mit dem anscheinend zwangsläufigen Gesetz vom „Wachsen oder Weichen“ zwingen uns zu einem radikalen Kurswechsel. Immer mehr besorgte Bürgerinnen und Bürger haben das erkannt. Gefragt sind intelligente Ansätze, die die persönliche Verantwortung für die not-wenigen Veränderungen belohnen und die egoistischen Anspruchshaltungen nach dem Motto „Ich will alles am nächsten Tag geliefert haben“ so verteuern, dass sie künftig unwirtschaftlich sind.
Unsere „Zuvielisation“ missbraucht den Begriff Wachstum, der aus der Biologie kommt. Bäume wachsen bekanntlich nicht in den Himmel und das Leben findet in Kreisläufen statt. Sprache und Begriffe verändern die Welt. Deshalb sollten wir statt vom Wirtschaftswachstum eher von Vermehrung, Vergrößerung oder Aufblähung reden. Und von Mitwelt statt Umwelt. Oder vom Gebrauch statt Verbrauch.
Mit diesem neuen Verständnis müssen sogenannte Sondergebiete wie das obige Beispiel nicht mehr erweitert, sondern könnten eines nicht so fernen Tages vielleicht sogar rekultiviert und rückgebaut werden. Zugunsten einer geheilten Wunde in der Heimatlandschaft vor der Tür.
Helmut Wartner
Foto: Klaus Leidorf