Einfach übers Smartphone oder Tablet wischen – und die neue Nachricht erscheint am Touchscreen. Praktisch. Schnell. Mit einem Wisch. Und: Weg ist sie auch schon wieder. „Digitalisierung“, ein Schlagwort, das derzeit ständig in den Nachrichten auftaucht, lässt uns nicht mehr los. Die Digitalisierung verändert unser Leben wie kaum eine gesellschaftliche Entwicklung zuvor. Im Alltag schreiben immer weniger Menschen mit der Hand. Doch für besondere Anlässe greifen sie – anstatt E-Mails auf dem Laptop oder auf dem Handy tippen – zu Papier und Stift. Die eigene Schrift gehört zu unserer Identität, vermittelt Persönliches und Nachhaltigkeit.
Schreiben – diese Jahrtausende alte Kulturtechnik erschließen sich Schulanfänger in kleinen Schritten; in Bayern zuerst in Druckschrift, später in Schreibschrift. Am Ende der vierten Klasse sollen sie eine individuelle Handschrift gefunden haben, die sie flüssig und leserlich schreiben können. So steht es in den Bildungsstandards für die Grundschule.
Schreiben versetzt uns Menschen in die Lage, Wissen zu bewahren und Erfahrungen zu überliefern. Die Digitalisierung verändert jedoch auch das Lernen und das Schreibenlernen maßgeblich. In Finnland arbeiten beispielsweise bereits Grundschüler mit Tablet, erlernen das Schreiben auf der Tastatur. Ihr Abitur absolvieren finnische Schüler am Laptop. Der Einsatz digitaler Medien im Schulunterricht wird seit Jahren auch in Deutschland heftig diskutiert. Das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien an der Technischen Universität München hat 2017 im Auftrag der Kultusministerkonferenz 79 Studien ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis: Die Wirkung der digitale Materialien auf die Leistung davon ab, wie sie im Unterricht eingesetzt werden. Die erwünschte Wirkung digitaler Medien ist beispielsweise größer, wenn sie klassische Unterrichtsmaterialien nicht vollständig ersetzen. Erfolgversprechend sei, sie ergänzend zu analogen Methoden zu verwenden.
Ergebnisse mehrerer Studien bescheinigen zudem dem auf Papier Geschriebenen stärkere Nachhaltigkeit: Die US-Forscher Pam Mueller und Daniel Oppenheimer haben die Lernleistungen von Studierenden untersucht. Mit folgendem Resultat: Wenn sich die Probanden zum Inhalt verschiedener Lernvideos handschriftliche Notizen gemacht hatten, konnten sie das Gezeigte später deutlich besser wiedergeben als wenn sie ihre Aufzeichnungen mittels Laptop angefertigt hatten.
Alles, was wir mit einem Stift zu Papier bringen, behalten wir also stärker in Erinnerung. Darüber hinaus trainiert das Schreiben mit dem Stift zusätzlich zur Gedächtnisleistung auch Hände und Bewegungsabläufe. Aber dieses Training findet im Kindesalter immer weniger statt. Denn anstatt gemalt oder gebastelt wird immer mehr mit Laptop oder Smartphone gespielt. Dies zeigen auch jüngste Untersuchungsergebnisse aus den USA und Großbritannien: Sie besagen, dass immer mehr Kinder Schwierigkeiten hätten, Stifte richtig zu halten. Die dafür benötigte Fingermuskulatur würde teilweise ebenso fehlen wie die fürs Schreiben erforderliche Feinmotorik. Vielen Kindern falle es schwer, längere Texte zu verfassen, ohne dass ihnen der Arm oder die Hand wehtue.
Bei all den digitalen Nachrichten sollte also nicht weggewischt werden: Handschriftliche Aufzeichnungen legen den Grundstein, sie sind gut für Feinmotorik und Gedächtnis. Sie lassen Sachverhalte begreifen und nachhaltig Wissen festhalten. Sie vermitteln zudem Persönlichkeit, denn unsere Handschrift ist ein Ausdruck unserer Individualität, ein unverwechselbares Markenzeichen.
KSH
Bild: Freilichtmuseum Massing